Einsame Vagabunden
Ein Schriftsteller, Mitte sechzig, wechselt seinen verbrauchten
Körper gegen einen taufrischen aus. Eine Witwe im selben Alter verliebt
sich in den Lover ihrer Tochter. Zwei Geschichten. Ein Autor.
Die Erste erzählt der britische Schriftsteller Hanif Kureishi
in seinem neuen Buch "In fremder Haut". Adam plagen etliche Zipperlein. Auf
einer Party bietet man ihm immer währende Jugend wie prickelnden Champagner
an. Für sechs Monate lässt er sein Gehirn in einen straffen
Körper transplantieren. Hämorriden und Heizdecken ade. Aus Adam
wird Leo, der dynamische Globetrotter.
Die zweite Story - Drehbuch: Kureishi - startete unter dem Titel "Die
Mutter" in der Regie von Roger Michells ("Notting Hill",
"Spurwechsel") in den Kinos. May
lebt mit ihrem Mann in einer Kleinstadt. Ihre Kinder sind aus dem Haus und
wohnen in London. Die Eltern packen die Koffer für einen Besuch in der
Metropole. Dort stirbt der Vater an einem Herzinfarkt. Tochter und Sohn wollen
die Mutter rasch wieder loswerden. May erweist sich als unerwartet eigensinnig.
Sie bleibt in London und beginnt eine Affäre mit dem dreißig Jahre
jüngeren Liebhaber der Tochter.
Der Schriftsteller Hanif Kureishi, 1954 in Bromley geboren, Sohn einer
Engländerin und eines Pakistani, ist nach wilden Jahren in der Londoner
Szene in der Mittelschicht gelandet. Migration, Rassismus und
Homosexualität waren in den 80ern Themen seiner Drehbücher, die
von Stephen Frears verfilmt wurden. "Mein wunderbarer Waschsalon" brachte
Kureishi 1984 eine Oscar-Nominierung ein. Mit den witzigen Schilderungen
aus einer indischen Enklave in der Londoner Suburb ("Der Buddha aus der
Vorstadt") gewann er 1990 den angesehenen Whitbread Prize und festigte seinen
Ruf als unkonventioneller Literat.
Respektlos ging's weiter. In den 90ern schlug Kureishi
Beziehungsschlachten und reflektierte den fortschreitenden Erosionsprozess
seiner männlichen Protagonisten. Seine Novelle "Intimacy" sorgte für
Aufregung wegen der Vermischung von Fiktion und Realität. Ihre Adaption
durch Regisseur Patrice Chéreau schockierte 2001 auf der Berlinale
durch den Austausch von Körperflüssigkeiten in der Großaufnahme
und gewann den Goldenen Bären.
Nahezu alles, was der Brite aufs Papier bringt, findet den Weg auf
die Bühne, die Leinwand oder ins Fernsehen. Für seinen Roman "In
fremder Haut" interessiert sich eine amerikanische Produktionsfirma. "Sie
mögen die Idee, aber sie sind sich wahrscheinlich nicht der Ironie und
Komplexität der Geschichte bewusst", bemerkte der Autor bei einem
Gespräch am Rande des Literaturfestivals in Berlin, auf dem er "Die
Mutter" vorstellte.
Die Ablehnung, auf die besonders beim jüngeren Publikum die
Liebesszenen zwischen May (Anne Reid) und ihrem Lover Darren (Daniel Craig)
stießen, erstaunte Kureishi nicht. "Ich habe diese Reaktion erwartet",
erläuterte er, "weil die Idee schockiert, dass unsere Eltern Sex haben.
Die Vorstellung, dass man mit 70 Jahren einen Orgasmus hat, entsetzt einige
Leute." Die zärtlich gefilmten Sequenzen sind nicht der einzige Tabubruch
in diesem Film. Die Mutter, die ihre Tochter betrügt, handelt sich ein
blaues Auge ein. Der Schlag ins Gesicht erschüttert das zerbrechliche
Fundament der "heiligen Familie". May verlässt London, packt in ihrem
alten Heim wieder die Koffer und geht auf Reisen. Vielleicht trifft sie unterwegs
auf Adam, der in fremder Haut einsam durch die Welt vagabundiert.
Hanif Kureishi: In fremder Haut.
Kindler-Verlag, 14,90 Euro
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