Lars von Trier: Dogville (Dk 2003)

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Lars von Trier: Dogville (Dk 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

[Image]

"Dogville" ist ein moraltheologischer Entwurf. Das war, in ästhetischer Kleidung (nicht unbedingt: Verkleidung) schon "Dogma" und vielleicht ist der neue Film nichts anderes als "Dogma" nochmal von vorne. Auf ganz eigene Faust, alles noch einmal auf Anfang. Die Spielfläche hat sich von Trier diesmal selbst gebastelt, aus dem Nichts geschnitten, dies jedenfalls die vom bloßen unlesbaren Schwarz und Weiß ihrer nicht sichtbaren Ränder suggerierte Fiktion. Erst am Ende, ganz am Ende, wird diese Welt umgeworfen wie ein Kartenhaus oder eher: ins Reale eines aus Kreide ins Lebende gemorphten Hundes und dokumentarischer Elendsbilder transformiert: ein Wandlungswunder, ermöglicht durch die von Grace, dem Katalysator der moraltheologischen Versuchsanordnung, getroffene Entscheidung.

Aber der Anfang: Ein Spielfeld, Kreidestriche, die Andeutung einer Welt. Eine Bühne - aber ohne Publikum. Kein Theaterraum, nicht wirklich. Der liebste Blick darauf, er kehrt immer wieder, ist nicht der in einen Guckkasten, sondern der Blick von oben, der die dritte Dimension nimmt. Ein unmöglicher Blick, ein Kamerablick der Übersicht, noch einmal auf Kosten der Illusion, die sich im Spiel der Darsteller immer wieder aufs Neue dann herstellen muss. Wichtig an dieser ersten radikalen Reduktion wohl die Geste der Setzung: dies Hier und Jetzt parasitiert nur auf allegorische Weise an einer Realität, ist Ort und Nicht-Ort, einer Geschichte mit der Hand eines Regisseurs eröffneter Raum, der in der Hand des Regisseurs bleibt. Eine Geschichte am Nicht-Ort in zehn Kapiteln, die nicht Gebote formulieren, sondern moralische Illustration sein wollen (eines einzigen vertrackten Gebots gegen die Arroganz, die im Verzeihen liegt).

Illustration. Ihr Agent auf der Bühne: Der in mehr als einer Hinsicht impotetente Möchtegern-Schriftsteller und -Philosoph Tom, der Grace, die Frau, die als junge Dame, von unbekannten Hunden gehetzt, in "Dogville" auftaucht, der Grace, wie soll man sagen: erfindet. Der sie braucht und missbraucht als Illustration seiner Thesen über den Zustand der Welt, die sich in diesem Dorf irgendnirgendwo in Amerika irgendwie gespiegelt findet. Tom ist der Regisseur des ernsten Spiels, das sich entfaltet. Die Lektion, die er erteilt, wird ihm zuletzt selbst erteilt werden. Grace, die er erfunden hat, um in der Kirche seinen Mitbewohnern eine Gewissensprobe zu stellen, lässt sich, bei aller Passivität lebendig gewordene Illustration, nicht mehr aus der Welt schaffen.

Was ist, dies die interessanteste Frage des Films, das Verhältnis von Tom, dem impotenten Regisseur, und Lars von Trier? Läge die Ironie dieses Verhältnisses in der Absicht einer Gleichsetzung oder läge sie in der Parallele, die sich gegen die Absicht des Regisseurs von Trier aufdrängt? Ein dritter Agent steht dazwischen - und zwar so, dass alle Eindeutigkeit im Verhältnis der Regisseure sich auflöst (was dem Film eher schadet als nutzt): Der dritte Agent ist die Stimme eines Erzählers, der in Tonlage und sicherer Distanz zum Geschehen auktorial scheint. Vom ersten Wort an sich über den Geschehnissen und Figuren situiert, mal geschwätzig, mal ironisch, jedenfalls: erzählend. Was sich in seinem Beschwören herstellt, ist ein nur halber Ernst. Die Parabel, die Illustration, die Allegorie, "Dogville", auf diesen Nenner kann man es bringen, spricht nicht für sich. Ein anderer spricht. Das scheint - wie der V-Effekt, wie das Lehrhafte - nun als epischer Zug wieder Brecht nachgeahmt, aber es fragt sich doch, ob diese Stimme aus dem Nichts, das das Off des Films sein muss, ob diese Stimme nicht die Versuchsanordnung untergräbt. Ob sich von Trier hier nicht selbst immer wieder in die Predigt fällt, die eigene Zunge spaltet, in die Strenge einerseits, die ironische Relativierung dieser Strenge andererseits.

Lars von Trier, das zeigten schon die lächerlichen Züge von "Dogma" (die als solche stets auch gemeint waren), ist ein Radikaler mit Hang zur Selbstironie. Das ist, so jedenfalls der Eindruck, den "Dogville" hinterlässt, ein Widerspruch, der nur widersprüchliche Ergebnisse zeitigt. Oder vielleicht weniger ein Widerspruch - denn es fehlt ihm die Notwendigkeit, die den beiden Positionen je eigen ist - als eine Zerrissenheit, die sich ins Moralische wie Ästhetische spiegeln lässt und in "Dogville" auch gespiegelt findet. Das heißt aber auch: Es sind persönliche Dämonen (und man darf annehmen, dass für von Trier die Selbstironie der schlimmere, der gefährlichere Dämon ist als die Strenge des Predigers), die hier aufeinandertreffen. Lars von Trier ist ein Revenant der 50er Jahre und hat im existenzialisitsch wie allegorisch angelegten Lehrstück daher seine Form gefunden. Die Zerrissenheit, die sich darin jedoch demonstriert, findet keinen Halt im Zeitgeist (wie sie es bei Brecht, Sartre, Frisch, Dürrenmatt tat). Sie bleibt auf sich allein gestellt und wird nicht anders denn als Idiosynkrasie triftig. Alle Versuche, die Allegorie vereindeutigend zu lesen, verfehlen - auch und gerade, wenn von Trier mit seinem Abspann dem nach Kräften Vorschub leistet - den Ort "Dogville", der sehr genau an einer moralisch-ästhetischen Kreuzung situiert ist, die der Gegenwart fremd bleiben muss: der Kreuzung zwischen puritanisch strenger Ethik und dem ironisch-selbstironischen Blick auf die Welt.

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