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KRITIK
Election (Regie: Alexander Payne, Drehbuch: Payne und Jim Taylor)
beginnt mit friedlichen Bildern der Carver Highschool. Die Schule sieht neu
aus, noch unbenutzt. Auch die Straßen, Häuser und Vorgärten
der Kleinstadt Omaha, in der der Film spielt, wirken neu und unbenutzt,
provisorisch, wie Stücke, die darauf warten, zu einem Ganzen
zusammengefügt zu werden. Wenn Matthew Broderick als Lehrer Jim McAllister
gleich am Anfang den Lehrerkühlschrank ausmistet und dabei eine Ladung
Fast-Food-Nudeln am Mülleimer vorbei auf den Fußboden wirft und
dafür einen hasserfüllten Blick vom Hausmeister erntet, dann ahnen
wir schon, dass Jim McAllister fällig ist, er, der behauptet, dass sein
Leben genau so verläuft, wie er es sich immer vorgestellt hat.
Der Film etabliert noch während der Credits Tracy Flick (Reese
Witherspoon), einen kleinen, pausbäckigen Overachiever. Tracy sieht
die Schule nur als Startrampe für eine glanzvolle Karriere, und diese
Karriere plant sie auf wohlig altmodische Weise: Sie lässt sich für
alle Ämter wählen und folgt einem straffen Tagesablauf. Als die
Schülersprecher-Wahl ansteht, gibt es für sie keinen Zweifel: Sie
wird antreten und gewinnen. McAllister behagt Tracys geschäftige Art
überhaupt nicht, und weil sie keinen Gegenkandidaten hat, überredet
er den Football-Star Paul, bei der Wahl anzutreten. Paul hat gerade Streit
mit seiner Schwester Tammy: und plötzlich stellt sich Tammy auch zur
Wahl.
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Und warum das alles? Election behandelt Motivationen souverän:
Tracy ist vielleicht mit einer emotional zurückhaltenden Mutter und
ohne Vater aufgewachsen und hat keine Freunde, aber wie verloren sie wirklich
ist, das ahnen wir erst, wenn ihre Mutter sie nach der vermeintlichen Niederlage
bei der Schülersprecher-Wahl zu tösten versucht: "Maybe you needed
more posters, honey, or if you'd taken my suggestions about your speech."
In diesem dahingeworfenen Satz offenbart sich das Mutter-Tochter-Drama mit
allen Facetten zwischen Liebe und Eitelkeit. Wo sich andere Filme mit
zeilenlangen Monologen über die Vorgeschichte der Figuren abplagen,
ist Election elegant und sanft ironisch. Dass Tammy lesbisch ist, davon ahnen
Paul und die Eltern nichts. So ist dem Bruder auch verborgen geblieben, dass
seine neue Freundin Lisa vorher mit Tammy zusammen war. Paul versteht nicht,
warum Tammy gegen ihn antritt, aber er scheint Spinnereien von ihr gewohnt
und kommentiert das, indem er ihr viel Glück wünscht und sagt,
dass er und sie - egal, wer schließlich gewinne - immer noch Geschwister
seien, "auch wenn du nur adoptiert bist". Das kommt völlig
überraschend.
Wenn Daves einsame Frau Linda - mit der Jim eine Affäre begonnen
hat - Jims Frau alles erzählt, dann tut sie das ohne ersichtlichen Anlass.
Und doch sind wir so weit, Linda den undramatisierten Raum zuzugestehen,
in dem sie Gewissensbisse bekam. Die Motivationen werden angedeutet, ein
Blick, ein Nebensatz, eine Ahnung, statt richtiger Plotpoints.
Election wirkt übrigens jetzt - nach der Daily Soap
"Präsidentschaftswahl 2000" - wie eine satirische Aufarbeitung der
Ereignisse: ungültige Stimmzettel, mehrfaches Zählen, wütende
Anhänger und ein parteiischer Wahlleiter. Der Roman "Election" von Tom
Perotta, auf dem das Drehbuch basiert, war allerdings inspiriert von der
Wahl 1992 mit Ross Perot als drittem Kandidaten. Election macht kein Statement
über heutige Politik, auch wenn sich das jetzt so anhört. Election
hat einfach ein paar Figuren, die dem Zuschauer weismachen wollen, dass sie
ihr Leben unter Kontrolle haben, während ihnen gleichzeitig die Dinge
entgleiten. Um das zu zeigen, setzen Payne und Taylor Voice-Over ein, und
zwar auf eine Art, die einem den Atem raubt: die Hauptfiguren buhlen um die
Gunst des Zuschauers, sie erklären, reflektieren, rechtfertigen,
beschuldigen und wenn es ganz schlimm kommt, dann schreien sie auch mal.
McAllister und Tracy sind die Hauptgegner, sie ticken ähnlich, beide
sind selbstgerechte Verdränger, sofort bereit, die Regeln zu brechen,
um die eigenen Ideen zu verwirklichen.
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Zu dem, was wir sehen, verhalten sich die Voice-Over-Sätze
unterschiedlich, doch herrscht das entlarvende Bild vor: etwa, wenn McAllister
behauptet, er und seine Frau führten eine wunderbare Ehe - während
die beiden sich wortlos beim Essen gegenübersitzen.
Bisweilen wirkt Election wie eine Studie über die Möglichkeiten
der Bild-Voice-Over-Beziehung, und gleich am Anfang gibt es einen wunderbar
ambivalenten Moment, wenn McAllister feststellt: "I knew I touched the students'
lives during their difficult young-adult years, and I took that responsibility
seriously." Dabei sehen wir, wie McAllister eine heulende Schülerin
an der Schulter berührt: die Hand auf der Schulter doppelt den Ausdruck
"touched the students' lives" und die Szene erhält plötzlich einen
schlüpfrigen Unterton, der wie eine unbedachte Bemerkung Dinge verrät,
die der Sprecher gerne verschwiegen hätte. Wenig später wird sein
bester Freund und Lehrer-Kollege Dave nicht nur Tracys Leben, sondern auch
ihren Körper berühren, und McAllister wird Phantasien haben, in
denen Tracy eine gewisse Rolle spielt.
Wenn Dave mit Tracy in der Dunkelkammer Sex hat, erläutert Tracy:
"Since I grew up without a dad, you might assume psychologically I was looking
for a father figure. But that had nothing to do with it at all. It was just
that Dave was so strong and made me feel so safe and protected." Der Film
entwickelt eine unglaubliche Dynamik, weil es Payne und Taylor immer wieder
gelingt, mit Hilfe solcher Momente den Figuren blitzartig Tiefe zu geben.
So betrachtet der Zuschauer diese Figuren aus einer Perspektive, die durchaus
von Überlegenheit, aber auch von Verstehen und Empathie geprägt
ist. Sind sie erst mal alle eingeführt, kann man nicht mehr genug bekommen
von diesem Vielklang der Stimmen.
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