Gus van Sant: Elephant (USA 2003)

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Gus van Sant: Elephant (USA 2003)

Regie: Gus van Sant
 

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Gus van Sant: Elephant (USA 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

Info mit Kaufgelegenheiten


[Image]Das Werk des Amerikaners Gus van Sant ist, um das mindeste zu sagen, ganz außerordentlich uneinheitlich. Das gilt nicht nur für seine Themen, sondern vor allem auch für die Verortung seiner Filme. Nach grandiosen Anfängen im Independent-Bereich - mit Drugstore Cowboy (Kauf) und My Private Idaho -  arbeitet er zwischendurch im tiefsten Mainstream mit großem Erfolg - das beweisen Good Will Hunting (Kauf) und Finding Forrester (Kauf), beide in ihrer Weise so perfekt sentimental wie hassenswert - und bewegt sich dann an die äußersten Ränder des Kinos: dorthin, wo es mit der Kunst zusammenstößt. Etwa im einstellungsidentischen Remake von Hitchcocks Psycho (Kauf), das die Kritiker empört hat und doch die bisher zwingendste Reflexion zum Thema Remake ist. Oder im Wüstenfilm Gerry (Kauf), der gerade in Frankreich anläuft, in Deutschland derzeit aber keinen Verleih hat.

  

Der Ort von "Elephant" ist kaum anzugeben. Fürs Fernsehen entstanden, im amerikanischen Kino am falschen Platz. Vorstellbar in der black box zeitgenössischer Museen (ist Ihnen schon mal aufgefallen, dass es in den lichtlosen black boxes der Museen viel dunkler ist als im Kino, dass man die Filme und Videos viel intensiver erlebt im engeren Raum, dass man die Wände spürt?). Die Zeitform stimmt nicht im Kontext des Kinos: etwas wird sich ereignet haben. Die Form des Bildes nicht: die unruhige Ruhe der Steadycam. Nicht der Ton: steht zum Bild in erratischem Verhältnis, das Klavier, Hildegard Westerkamps ambient scapes. Der Moment, in dem der Ton aufgezogen wird, ohrenbetäubend, das Geschrei der Mitschüler in den Ohren des Mörders. Nicht dass der Ton sich auf seine Seite stellt, etwas erklärt, aber doch: ein Umschlag ins Subjektive, für den Moment. Das Klavier und das Ego-Shooter-Spiel, einander neutralisierend. Die Schönheit des Ego-Shooter-Spiels: das Weiß, in das die Toten blutlos kippen, kopfüber.

Die Klarheit von "Elephant". Eine Klarheit, die nichts mit Erklärung zu tun hat und wenig mit Erhellung. Im hellsten Licht bleibt viel Dunkel. Natürlich: Die Demütigung, als einer der beiden Mörder mit zusammengespeichelten Papierkugeln beworfen wird. Die Andeutung eines sozialen Raums und die Andeutung eines Außen, aus dem die Tat in die friedliche oder vielleicht eher: befriedete Zone der Schule eindringt. Ein vom Innen (vielleicht) provoziertes, produziertes Außen, in dem sich etwas zusammenbraut, im Mit- und Gegeneinander von Klavier und Videogame. Die letzte Nähe, die den Atem nimmt: der Kuss unter der Dusche. Einmal geküsst haben im Leben. Die Mörder sind Ungeküsste und wer zuvor hat einen spüren lassen, wie sehr die Gemeinschaft derer, die es gut meinen, miteinander, ohne allzu bösen Willen die Verzweiflung derer schürt, die es nicht gut meinen, ohne dass die einen und die anderen verdient haben, was sie bekommen. Vorgeführt wird die Soziologie der Adoleszenz: ein rasches Begehren im Vorübergehen, der Hauch eines Wollens, das das Sein strukturiert. Die Wohlmeinenden, die schwul-lesbische Gesprächsrunde, die die Kamera abfährt, Gesicht für Gesicht, ungelenke Versuche, sich im Argumentieren zurechtzufinden. Einübung ins Leben. Einübung in den Tod. Das Spiel - Klavier und Video - der Kuss - die Waffen. Wie souverän, eine Geste von schlichter Eleganz, das Wegschlenkern der Neonazi-Assoziation. Groß ist "Elephant" im Verzicht auf Denunziation. Klarheit, nicht Erklärung.

Der Verzicht auf Tiefenschärfe. In der Nähe der Kamera große Klarheit, der Bildhintergrund als opaker, verschwommener Raum. Was für ein Raum ist das, metaphorischer Raum? Der Raum des Unerklärlichen. Metaphorisch lesbar in dem Moment, in dem aus der Unschärfe sich der eine der Mörder der Kamera nähert, qualvolle Sekunden lang, sich zusammensetzt zur menschlichen Gestalt. Scharf umrissen sind die Figuren in der Nähe der Kamera. Mehr als das, könnte man, sagen, weiß "Elephant" nicht. Zu sehen ist die Bewegung, die einen Raum konstituiert, der sich auflöst schon nach wenigen Zentimetern. Eine Suchbewegung, die sich an Figuren hält, über die man wenig erfährt. Verdichtungen. Die Bewegung der Steadycam ist, auch, eine verzweifelte Bewegung, in aller Schönheit, weil sie nur folgen kann, nur zeigen, was ist, in der Nähe der Kamera, andeuten, weiter folgen, zeigen. Manches scheint lesbar, manches unlesbar. Die Gesichter der Mörder, ihre Stille, ihre Ungerührtheit. Man darf es kaum sagen, aber: Gus van Sant liebt auch sie, er als einziger schenkt ihnen seine Aufmerksamkeit. Das hat mit Entschuldigung nichts zu tun, gar nichts. Ihr Töten ist entsetzlich, weil "Elephant" auch die Getöteten liebt, das geborene Opfer Michelle, das nicht zur Tat greift (Andeutung, mehr nicht, einer Alternativersion), den Fotografen, das Paar. Wie komplex die Identifikationen von Beginn an: man betet für alle, die da sterben, von der ersten Minute an, es möge ihnen nichts geschehen. Aber etwas wird sich ereignet haben, das Wissen darum. Ein Wissen und Flehen und Zusehen. Große, große Klarheit.

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