Der Ort von "Elephant" ist kaum anzugeben. Fürs Fernsehen
entstanden, im amerikanischen Kino am falschen Platz. Vorstellbar in der
black box zeitgenössischer Museen (ist Ihnen schon mal aufgefallen,
dass es in den lichtlosen black boxes der Museen viel dunkler ist als im
Kino, dass man die Filme und Videos viel intensiver erlebt im engeren Raum,
dass man die Wände spürt?). Die Zeitform stimmt nicht im Kontext
des Kinos: etwas wird sich ereignet haben. Die Form des Bildes nicht: die
unruhige Ruhe der Steadycam. Nicht der Ton: steht zum Bild in erratischem
Verhältnis, das Klavier, Hildegard Westerkamps ambient scapes. Der Moment,
in dem der Ton aufgezogen wird, ohrenbetäubend, das Geschrei der
Mitschüler in den Ohren des Mörders. Nicht dass der Ton sich auf
seine Seite stellt, etwas erklärt, aber doch: ein Umschlag ins Subjektive,
für den Moment. Das Klavier und das Ego-Shooter-Spiel, einander
neutralisierend. Die Schönheit des Ego-Shooter-Spiels: das Weiß,
in das die Toten blutlos kippen, kopfüber.
Die Klarheit von "Elephant". Eine Klarheit, die nichts mit Erklärung
zu tun hat und wenig mit Erhellung. Im hellsten Licht bleibt viel Dunkel.
Natürlich: Die Demütigung, als einer der beiden Mörder mit
zusammengespeichelten Papierkugeln beworfen wird. Die Andeutung eines sozialen
Raums und die Andeutung eines Außen, aus dem die Tat in die friedliche
oder vielleicht eher: befriedete Zone der Schule eindringt. Ein vom Innen
(vielleicht) provoziertes, produziertes Außen, in dem sich etwas
zusammenbraut, im Mit- und Gegeneinander von Klavier und Videogame. Die letzte
Nähe, die den Atem nimmt: der Kuss unter der Dusche. Einmal geküsst
haben im Leben. Die Mörder sind Ungeküsste und wer zuvor hat einen
spüren lassen, wie sehr die Gemeinschaft derer, die es gut meinen,
miteinander, ohne allzu bösen Willen die Verzweiflung derer schürt,
die es nicht gut meinen, ohne dass die einen und die anderen verdient haben,
was sie bekommen. Vorgeführt wird die Soziologie der Adoleszenz: ein
rasches Begehren im Vorübergehen, der Hauch eines Wollens, das das Sein
strukturiert. Die Wohlmeinenden, die schwul-lesbische Gesprächsrunde,
die die Kamera abfährt, Gesicht für Gesicht, ungelenke Versuche,
sich im Argumentieren zurechtzufinden. Einübung ins Leben. Einübung
in den Tod. Das Spiel - Klavier und Video - der Kuss - die Waffen. Wie
souverän, eine Geste von schlichter Eleganz, das Wegschlenkern der
Neonazi-Assoziation. Groß ist "Elephant" im Verzicht auf Denunziation.
Klarheit, nicht Erklärung.
Der Verzicht auf Tiefenschärfe. In der Nähe der Kamera
große Klarheit, der Bildhintergrund als opaker, verschwommener Raum.
Was für ein Raum ist das, metaphorischer Raum? Der Raum des
Unerklärlichen. Metaphorisch lesbar in dem Moment, in dem aus der
Unschärfe sich der eine der Mörder der Kamera nähert, qualvolle
Sekunden lang, sich zusammensetzt zur menschlichen Gestalt. Scharf umrissen
sind die Figuren in der Nähe der Kamera. Mehr als das, könnte man,
sagen, weiß "Elephant" nicht. Zu sehen ist die Bewegung, die einen
Raum konstituiert, der sich auflöst schon nach wenigen Zentimetern.
Eine Suchbewegung, die sich an Figuren hält, über die man wenig
erfährt. Verdichtungen. Die Bewegung der Steadycam ist, auch, eine
verzweifelte Bewegung, in aller Schönheit, weil sie nur folgen kann,
nur zeigen, was ist, in der Nähe der Kamera, andeuten, weiter folgen,
zeigen. Manches scheint lesbar, manches unlesbar. Die Gesichter der Mörder,
ihre Stille, ihre Ungerührtheit. Man darf es kaum sagen, aber: Gus van
Sant liebt auch sie, er als einziger schenkt ihnen seine Aufmerksamkeit.
Das hat mit Entschuldigung nichts zu tun, gar nichts. Ihr Töten ist
entsetzlich, weil "Elephant" auch die Getöteten liebt, das geborene
Opfer Michelle, das nicht zur Tat greift (Andeutung, mehr nicht, einer
Alternativersion), den Fotografen, das Paar. Wie komplex die Identifikationen
von Beginn an: man betet für alle, die da sterben, von der ersten Minute
an, es möge ihnen nichts geschehen. Aber etwas wird sich ereignet haben,
das Wissen darum. Ein Wissen und Flehen und Zusehen. Große, große
Klarheit.
zur Jump Cut Startseite |