Der alltägliche Wahnsinn
Die schrägsten Komödien kommen aus dem hohen Norden. In
Norwegen war Elling das Filmereignis des letzten Jahres. Jetzt
läuft Petter Næss vielfach prämierte Geschichte über
zwei verschrobene Typen bundesweit in den Kinos.
Die einen reisen furchtlos in ferne Länder, die anderen bekommen
Schweißausbrüche beim Einkaufen im Supermarkt. Elling gehört
zur letzten Kategorie. Das eingefleischte Muttersöhnchen verehrt die
norwegische Ministerpräsidentin Gro Bruntland und teilt seit zwei Jahren
mit dem noch jungfräulichen, aber umso mehr von Sex besessenen Kjell
Bjarne ein Zimmer in der Psychiatrie. Die idyllische Zweisamkeit im Schutze
der staatlichen Institution endet. Elling und Kjell Bjarne werden in den
Alltag, zum betreuten Wohnen in die Hauptstadt Oslo entlassen. Dort
empfängt sie der Sozialarbeiter Frank, der ihnen klarmacht, worauf es
ankommt: all das zu tun, was alle tun. Telefonieren, ausgehen, einkaufen
- die ganze Palette des normalen Lebens. Für die beiden unerfahrenen
Provinzler eine abenteuerliche Herausforderung.
Dass Männer immer nur an das eine denken, würde Kjell sofort
bejahen. In der Zwischenzeit treibt er mit Telefonsex die Kosten in die
Höhe und geht seiner zweiten Lieblingsbeschäftigung, dem Essen,
nach. Elling kämpft gegen Schwindel und Unbehagen an, die ihn befallen,
wenn er seine vertraute Umgebung verlässt. Als sein Kumpel eine Frau
kennen lernt, entdeckt der eifersüchtige Elling seine Liebe zur Poesie.
Mit Sonnenbrille und Trenchcoat mutiert er zum Untergrundpoeten, der seine
Zeilen auf subtile Weise unter das Volk bringt.
Filme über menschliche Schwächen wandern auf einem schmalen
Grat. Häufig entblößt man die Figuren, so dass das Publikum
distanziert, ohne Mitgefühl über sie lacht. Oder man idealisiert
die Psychosen, so dass jeder Zuschauer wünscht, einmal im Leben
verrückt zu sein. Regisseur Petter Næss bemüht sich um eine
Ausgewogenheit zwischen Humor und Ernsthaftigkeit. Dabei stehen ihm mit Per
Christian Ellefsen und Sven Nordin zwei souverän agierende Schauspieler
zur Seite, die bereits in der Theateraufführung Elling and Kjell
Bjarnedie Hauptrollen besetzten. Drehbuch sowie Theaterstück beruhen
auf dem Buch Blutsbrüder des norwegischen Autors Ingvar
Ambjørnsen.
Wenn Elling und Kjell Bjarne unsere Nachbarn wären, würden
wir sie auf Grund ihrer seltsamen Erscheinung und ihres bizarren Verhaltens
vielleicht wenig anziehend finden. In der Phantasiewelt des Films trifft
das ungleiche Paar auf hilfsbereite Menschen, die die ersten Schritte ins
reale Leben erleichtern. Die Traumfabrik Hollywood war von den
herzerwärmenden Typen so angetan, dass der Film in der Kategorie
Bester ausländischer Film für einen Oscar nominiert
wurde.
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