Oskar Roehler ist spätestens nach seinem autobiographisch
gefärbten "Die Unberührbare" aus dem Jahr 2000 eine feste
Größe in der deutschen Filmlandschaft. An das Filmfest in
München hat er sicher gute Erinnerungen, gewann sein Erstlingsfilm
"Sylvester Countdown" eben dort den Regieförderpreis. In diesem Jahr
kehrt er mit einer Fernsehproduktion zurück, die sich gewaschen hat.
Bemerkenswert ist nicht nur die Besetzung dieses über weite Strecken
kammerspielartig inszenierten Horror-Trash-Dramas.
Rita (Hannelore Elsner) und Claire (Iris Berben) - zwei Schwestern,
die den Tanz lieben. Eines Tages macht die kleine Claire bei einem
Tanzwettbewerb, an dem Rita teilnimmt, auf ihr großes Talent aufmerksam.
Für Rita bricht eine Welt zusammen. Sie, die für ihren Erfolg immer
hart arbeiten musste, steht plötzlich nicht mehr im Mittelpunkt. Die
Eifersucht auf die jüngere Schwester wächst. Als nach einem Unfall
Claires Beine gelähmt bleiben und sie ein Leben im Rollstuhl führen
muss, wird Rita die Schuld an dem Unfall gegeben. Nach fast zwanzig Jahren
treffen sich die Schwestern wieder. Claire besucht Rita, die noch im Haus
ihrer Eltern wohnt. Das Verhalten ihrer Schwester erscheint ihr sonderbar.
Als Rita eines Tages außer Haus ist, entdeckt Claire das schreckliche
Geheimnis ihrer Schwester. Ihr wird klar, dass sie in großer Gefahr
ist. Sie will fliehen...
Je länger der Film dauert, desto verwunderter reibt man sich
die Augen. Während um mich herum das fassungslose Kopfschütteln
seinen Lauf nimmt, steigert sich der Film zu einer überdrehten Trashperle,
bei der man sich mit diebischer Freude die Gesichter der RTL-Redakteure bei
der Endabnahme vorstellt. Vorweg sei angemerkt, dass ich Oskar Roehlers bisherige
Filme keinesfalls mochte. "Sylvester Countdown" empfand ich als pubertär,
"Gierig" als Ärgernis, "Die Unberührbare" wurde hoffnungslos
überschätzt und "Suck my Dick" hab ich mir gespart. Aber was der
Roehler hier anstellt verdient allemal Beifall und Respekt. Schon die
Einführung Hannelore Elsners läßt hoffen. Knallbunt, die
rote Mähne wild schüttelnd, steht sie mit einer gräßlichen
Flying V Gitarre bewaffnet vor einem Marshall Turm und drischt ein Hendricks
Riff nach dem anderen in die Saiten. Schon hier wird klar, dass der Mut zur
Häßlichkeit, auch Dank Roehlers gnadenloser Regie, eine
eigentümliche Art von Erhabenheit gebiert. Dass das nicht jedermanns
Sache ist, versteht sich von selbst und man darf gespannt sein, ob man den
Film tatsächlich auf einen Prime-Time Sendeplatz hieven können
wird. In der Folge jagt Rita atemlos gehetzt von Szene zu Szene. Der Wahnsinn
dieser Figur findet im waghalsigen Rhythmus Roehlers Inszenierung seine
Entsprechung. Hier liegen ganz deutlich die Stärken. Man mag sich auch
bei keinem anderen Filmemacher einen Cameo-Auftritt Wolfgang Joops vorstellen,
höchstens vielleicht bei Schlingensief. Überhaupt fühlt man
sich immer wieder an Schlingensief erinnert, an "Terror 2000" etwa, oder
an das "Deutsche Kettensägenmassaker". Roehler ist jedoch der deutlich
elegantere Filmemacher, schlußendlich auch cinephiler. Gegen Ende schafft
es Roehler ein ums andere Mal lustvoll mit Genrekonventionen zu spielen.
Gerade die "Psycho"-Reminiszensen sind in ihrer Treffsicherheit und dem
anarchischen Humor witziger, als man es erhoffen durfte. Schade nur, dass
das Publikum keine Gelegenheit haben wird, diesen mutigen Film auf der
großen Leinwand zu sehen.
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