Die christliche Ornamentik und Mythologie sind mit ihrer
pathologischen Todessehnsucht und den zahlreichen Erlöserkomplexen schon
immer ein dankbares Motiv für Horror- und Thrillerfilme unterschiedlichster
Machart gewesen. William Friedkins Exorzist, Scorseses Taxi
Driver, Ferraras Bad Lieutenant, Finchers Se7en
oder de Palmas Carrie - mal mehr, mal weniger offensichtlich
fallen in diesen Einzelbeispielen der christlichen Mythologie und Ikonographie
eine tragende Rolle zu. Mit Frailty hat der ewige
Nebendarsteller Bill Paxton in seinem Regie-Debut diesem Reigen nun
einen weiteren Film hinzugefügt.
Auf dem Fantasy Filmfest 2002 wurde diesem Debut gar die Ehre der
Opening Gala zuteil, im Programmheft wurde es vollmundig als
viel zu seltener Genre-Glücksgriff angekündigt, ein
ernster, intelligenter Horrorfilm, der sich zu Recht auf ein cleveres,
twistreiches Script (...) stützt. Filmecho/Filmwoche nennt sogar
Stephen King, das Alte Testament und Alfred Hitchcock in einem Satz, um die
für das Genre scheinbar nachhaltige Bedeutung des Films zu unterstreichen.
Eine Reihe von Gründen also, um sich mit Heißhunger auf einen
vermeintlich neuen Meilenstein des Genres eine Karte zu besorgen!
Der Film beginnt mit einem stimmungsvollen Vorspann - alte, vergilbte
Zeitungsausschnitte erzählen, unterlegt von tief melancholischer und
düsterer Musik, von grausamen Morden, von vermissten Menschen und einem
Serienmörder, der als Gods Hand bezeichnet wird. Ein
Schnitt auf ein FBI-Gebäude der Jetzt-Zeit und wir wissen: offensichtlich
wurde der religiös motivierte Killer nie gefasst. Es ist Nacht, es regnet
unerbittlich - in solchen Momenten finden erfahrungsgemäß in den
Gebäuden der staatlichen Exekutive die interessantesten Dialoge statt!
So auch hier: ein sozial offenbar gestörter, ungepflegter junger Mann
namens Fenton Meeks legt dem zunächst skeptischen und distanzierten
Agent Doyle gegenüber seine Lebensbeichte ab: er kenne die Identität
der Hand Gottes, ja, es sei sogar sein Bruder, der für die
Morde - 6 an der Zahl - verantwortlich zeichnet. So entblättert der
Film langsam seine Geschichte in Form von Rückblenden und führt
uns zurück in das Jahr 1979.
Fenton ist gerade mal neun Jahre alt und lebt mit seinem Bruder Adam
und seinem namenlos bleibenden Vater alleine in einer typischen Vorstadt.
Der Umgang der drei miteinander ist herzlich und liebevoll, die Schrecken
der Kleinfamilie, wie sie der Zeitgeist der frühen 70er und zeitlich
analog der moderne Horrorfilm aufgedeckt hatten, scheinen hier nicht
stattzufinden. Bis eines Nachts der Vater die beiden Kleinen aus dem Bett
schreckt: er habe eine Vision gehabt, von einem Engel Gottes persönlich.
Die Menschheit sei unterwandert von Dämonen - nur wenige Menschen seien
von Gott auserwählt, um diese zu zerstören und er und
seine beiden Söhne gehörten diesem Zirkel an. Schon bald schicke
ihnen der Engel drei heilige Waffen (ein Paar Mechanikerhandschuhe, eine
Axt und Eisenstange) und eine Liste mit den Namen der von Menschen nicht
unterscheidbaren Dämonen, die es von der Erde zu fegen gelte. Allein,
Fenton meldet Zweifel an, die sich nur noch verstärken, als der Vater
seine Visionen des Kampfes Gut gegen Böse unter den Augen
und der erzwungenen Hilfe seiner Sprößlinge in blutige Realität
umsetzt. Während der noch kleine, beeinflussbare Adam naiv lächelnd
und ob der Superheldenmission sichtlich beeindruckt dem Vater
zur Seite steht, kommt es zwischen Fenton und dem Vater zum Bruch, der in
pure Psychofolter ausartet, als der Vater den kleinen von seinem Auftrag
im Namen des Herrn zu überzeugen versucht. Währenddessen
brennt im FBI- Gebäude der Jetztzeit in einem einzelnen Büro zu
fortgeschrittener Stunde noch immer Licht. Zugegeben, die Story weist einiges
an Potential für einen hochgradig spannenden Psychothriller auf, doch
um schnell auf den Punkt zu kommen: das gute Blatt wird ungenutzt verspielt,
die reichlich vorhandenen Möglichkeiten für wohlig-kitzelnde Spannung
kaum genutzt.
Da wäre nämlich zunächst das größte Problem:
der Film weiß eigentlich nie, was er denn nun eigentlich ist. Die
Ausgangssituation - ein FBI-Gebäude, nicht enden wollender Regen, ein
Dialog mitten in der Nacht - verspricht einen spannungsgeladenen Psychothriller.
Die Rückblenden, in denen Fentons Schicksal - die Familie mutiert naiv
lächelnd zum Serienmörder-Clan und wendet jedes Mittel auf, um
aus Fenton das gleiche zu machen - zusammengefasst wird, verspricht ein
Jugend-Drama mit den üblichen Komponenten 'religiöser Fanatismus',
'unerbitterlichen Eltern' und dem Gefühl, in den sozialen Strukturen
einer kleinen Vorstadt jämmerlich unterzugehen. Das Serienmörder-Motiv
hingegen lässt einen kalten Slasher-Film mit religiöser Grundthematik
erhoffen, zudem einen, der die Reglements aufzubrechen scheint: so wird der
Film entgegen aller Genrekonventionen streng aus der Perspektive der Mörder
erzählt (wobei wir bei dieser Festellung, wohlwissend um dessen
Ausnahmepostion, Henry - Portrait Of A Serial Killer übersehen)
und zudem mit einer leicht ironisierenden Haltung dem Genre gegenüber,
aufgepeppt. Deutlich wird dies vor allem in dem Moment, als Daddy Meeks die
erste heilige Waffe überreicht wird. Eine Axt, die wie Excalibur
präsentiert wird: ein von Sonnenstrahlen durchfluteter Geräteschuppen,
in der Mitte ein einzelner Baumstumpf, darin die Axt - gestatten, Otis ihr
Name!
Was aber im postmodernen Sinne eine durchaus interessante hybride
Melange hätte werden können, verkommt bei Frailty,
einer weitgehend hausbackenen Inszenierung im Stile eines biederen Fernsehfilms
sei Dank, zu mediokrem Einerlei: keiner der Wege wird konsequent beschritten
oder zu Ende gedacht. Für einen Thriller wirkt der Rahmen-Plot im
FBI-Gebäude zu aufgesetzt und zu schnell durchschaubar, ohne dabei Suspense
aufkommen zu lassen, für ein Jugend-Drama bietet der Film kein sonderlich
gelungenes Script und vor allem keine mitreißende, Emotionen weckende
Charakterzeichnung. Für einen Slasher, einen ironischen und mit
Erzählstrukturen brechenden obendrein, mangelt es an ästhetischen
Reizen, an inszenatorischer Spannung und - das größte Manko -
an Basiswissen der Grundregeln, die besagen, dass das Faszinosum eines
Slasher-Films im Slasher und seiner persönlichen Mythik zu verorten
ist. Während bei den üblichen Verdächtigen, Jason und Michael,
das Slashen zum Partyevent mutiert, während Kevin Spacey alias John
Doe als sardonisch-selbstgerechter Mastermind Angst vor den Möglichkeiten
menschlicher Intelligenz verbreitet und Hannibal als Kulturmensch und
Genießer die kannibalistischen Tendenzen des libertinen
Bildungsbürgertums demaskiert, ist Daddy Meeks in dieser illustren
Gesellschaft eher ein naives Lamm, überzeugt von der eigenen
Gutmütigkeit und der Gültigkeit des ihm übermittelten
Gottesauftrages, fernab von Selbstgerechtigkeit oder Erhabenheit. Zwar wird
dieses Bild gegen Ende des Filmes noch etwas zurecht gerückt und um
einige dämonische Facetten bereichert, doch ein hastig hinten
angehängter Plottwist, mag einem die vorher belanglosen 90 Minuten nicht
unbedingt versüßen. Dafür fehlte es ihnen schlicht und ergreifend
an dramaturgischer und inszenatorischer Faszination.
Dass dieser Plottwist zudem nicht wirklich so unvorhersehbar auf den
Zuschauer einbricht, wie es sich viele Kritiker gerne einreden wollen, tut
sein übriges. Wer in den letzten 5 bis 10 Jahren ein paar Mal im Kino
gewesen ist und Filme wie The Usual Suspects, Fight Club
oder The Sixth Sense nicht verpasst hat, wer also ein klein wenig
Wissen um den 'movie with a gimmick ending' mitbringt, kann eigentlich schon
im Verlauf des Ganzen das ungefähre Ende ohne größere Probleme
erraten, da die zahlreichen MacGuffins schon fast zu auffällig sind
und die Inszenierung - gesetzt den Fall, man hat dafür einen kleinen
Blick und denkt während des Filmes ein wenig mit - eigentlich auch keine
anderen Schlüsse zulässt.
Besonders schade ist dieses vergeudete Potential hinsichtlich der
überdurchschnittlich guten Leistungen der Schauspieler. Bill Paxton
und vor allem die beiden Jungs geben sich sichtlich Mühe, dem Film ein
wenig Ätmosphäre zu geben und das Beste aus dem Skript zu holen.
Allein, was nutzt die Mühe, wenn die Charaktere schlichtweg simple
Konstrukte sind, die sich im Laufe des Films weder entwickeln noch sonderlich
gut gezeichnet sind - viel zu sehr wirken sie wie aus dem Handbuch fürs
Drehbuchschreiben und aus diversen Genre- Verwandten entnommen, um dem Zuschauer
emotional zu packen und so zu involvieren. Es könnte einem wohl kaum
egaler sein, was da auf der Leinwand geschieht, eher wünscht man sich,
dass doch nun endlich wirklich etwas passiert!
Alles in allem bleibt also ein relativ belangloser Film, der viel
Potential mitbringt, dieses aber leider weder umzusetzen weiß noch
sich dessen überhaupt gewiß zu werden scheint. Ein Film, der sich
selbst nur zu gerne in den Pantheon der Filme mit unerwartetem
Schluß einreihen möchte, dies jedoch so krampfhaft erzwingen
möchte, dass er dabei hemmungslos scheitert. Für einen Fernsehfilm
oder eine Folge einer x-beliebigen Mystery-TV-Serie am Abend wäre
Frailty, auch aufgrund seiner ästhetischen Ausrichtung,
sicherlich gewohnter Standard und nette Zapping-Unterhaltung. Von einem Kinofilm,
dem Eröffnungsfilm des Fantasy Filmfests noch obendrein, erwarte ich
mir allerdings etwas mehr Finesse. Durchschnitt, bestenfalls. Leider.
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