Die Vergangenheit neu zu erfinden: das ist der Impetus hinter
Alan Moores Comic From Hell - und es ist auch das, was der Verfilmung
der Hughes-Brüder gelingt. Der Film ist ein Pastiche der Vergangenheit,
das viel Wert auf die genaue und detailsatte Abbildung dessen legt, was es
nie gab. So jedenfalls nie gegeben hat. Jack the Ripper ist dabei der bloße
McGuffin, um dessen blitzendes Messer herum das Gossen-London von Whitechapel,
die bessere Gesellschaft, die den Elefantenmenschen John Merrick begafft
und die beste Gesellschaft, die über Leichen geht, um den Ruf des
Königshauses intakt zu halten, gruppiert werden.
Wie sich das gehört bei der Umschrift des Vergangenen, ist Alan
Moore Verschwörungstheoretiker. Im Hintergrund der bestialischen
Prostituiertenmorde stehen die Freimaurer, die in einer ins Perverse gespiegelten
Verdopplung des prüden Viktorianismus eine exklusive Gegengesellschaft
unterhalten und von dort die Fäden im London des Fin de Siècle
in der Hand halten. Zu dieser Parallelsphäre entwickelt Moore wiederum
ein Spiegelbild, das der Opium-Drogenhölle, aus der, als mit
übersinnlichen Fähigkeiten begabter Wanderer zwischen den Welten,
Inspektor Abberline emportaucht. Die Detektivfigur - bei Poe noch das Muster
reiner Ratiocination, also argumentativer Beweisführung - wird
hier deutlich ins Metaphysische verschoben, folglich geht es ihr neben der
Aufklärung vor allem um Erlösung. Und erlöst werden soll der
in die Gosse gefallene Engel, die von den Mächten des Bösen bedrohte
Prostituierte mit dem ganz folgerichtigen Namen Mary.
Keinen Moment lang tut der Film so, als entwickle er, trotz der Anbindung
ans Historische über viele der Figuren (nicht zuletzt Königin
Victoria), etwas anderes als seine ganz eigene, stilisierte Kunstwelt. Aus
dieser an keiner Stelle herauszufallen, in sie die heterogenen Bestandteile
von Verschwörung auf höchster Ebene, Visionen des drogensüchtigen
Ermittlers, das Elend von Whitechapel und vieles mehr zu integrieren, ohne
dass die Mixtur je beliebig erscheint, ist die große Leistung der
Hughes-Brothers.
Man sollte From Hell Rücken an Rücken mit Rohmers
Die Lady und der
Herzog sehen: beides in sich geschlossene Entwürfe einer
Vergangenheit und doch diametral entgegengesetzt. Während Rohmer auf
Klarheit und Ausstellung des künstlichen Charakters seiner Inszenierung
setzt, nützen die Allen und Albert Hughes alle stilistischen Mittel,
die ganze Eleganz der Ausstattung, von Filtern, Blenden, Überblendungen
und Schnitten, um ihre Welt zum Illusionskosmos abzudichten. Rohmer will
den Abstand des Betrachters, From Hell will den Zuschauer mit Haut
und Haar in sich hineinziehen. Rohmer will die Wahrheit, die Hughes-Brüder
die Legende. Hier die theatralische Aufführung des in Dokumenten
Überlieferten, da die wüst fantasierende Re-Imagination. Möge
keiner sagen, dass nicht beides seine Berechtigung hat, schon gar wenn Inhalt
und Form so perfekt zur Deckung kommen wie in diesen beiden
Fällen.
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