"Gangs of New York" ist eine Kompromissgeburt, drei Stunden lang,
aber gerade nicht epischen Ausmaßes. Zwei Thesen haben die Macher zum
historischen Geschehen, die sich widersprechen. Zur Folge hat das zwei
Darstellungsoptionen, die der Film beide mit halbem Herzen wählt. Sie
passen nicht zueinander und darum laviert "Gangs of New York" zwischen zwei
Filmen, die er nicht sein möchte und darum auch nicht ist. Eine noble
Ruine, die es zwischen Mythos und Historie zerreißt. Eine Anstrengung,
die beinahe wirkungslos verpufft.
So hat der Film, zum einen, ein Verhältnis zur Geschichte: freilich
ein ungeklärtes. Über die historischen Tatsachen, mit denen er
es zu tun hat, will er hinaus. Der Weg führt zum Mythos. Das hieße:
Verdichtung, Zurichtung, Heldenbildung. Die historische These, mit der "Gangs
of New York" sich trägt, - und vermutlich ist sie ganz zutreffend -
spricht gegen diesen Zugang. Nichts nämlich ist übrig in den
amerikanischen oder New Yorker Ursprungsmythen von Five Points, es gab hier
(was natürlich, wie stets, keine Frage der Tatsachen ist, sondern ihrer
nachträglichen Konstruktion) keinen Buffallo Bill und keinen Abraham
Lincoln, die in den Schulbüchern und Legenden ihr gespenstisches Nachwesen
treiben. Der Überlieferung nach war der Süden Manhattans ein
Rattenloch, in dem Mord- und Totschlag innerhalb einer in Clans zersplitterten
Unter- und Zwischenwelt an der Tagesordnung waren. Diese Überlieferung
möchte der Film, einerseits, nicht in Frage stellen.
Die ästhetische Konsequenz wäre allerdings ein Panorama
der Unordnung, ein in Blut und Betrug aufgebrochenes Porträt, das nicht
nur die Idee zivilisatorischen Fortschritts, sondern auch möglicher
Heroismen für die Dauer der Darstellung suspendiert. Die Gesetze Hollywoods
stehen, nicht nur in der massigen Gestalt Harvey Weinsteins, dagegen, auch
für einen Martin Scorsese, der justament in seinem letzten Film "Bringing
Out the Dead" einen roten Faden nur als sich verlierende Spur durch fiebrige
Bilder scheinen ließ. "Gangs of New York" dagegen macht es sich bequem
in einer so verlässlichen wie konventionellen Struktur. Zwei Männer
treten gegeneinander an, früh bringt der Film sie manichäisch in
Stellung: der Sohn eines Priesters zum einen, der Teufel zum anderen, auf
ihren Kampf läuft es hinaus, um seine Helden ordnet das Drehbuch die
Lage der zerstreuten Einzelteile wie Eisenspäne im magnetischen Feld.
Die blutige und unübersichtliche Geschichte der Stadt, die zu
schmutzig und zu kontingent ist, um zum Mythischen zu taugen, wird dann doch
als vor-geschichtlicher Mythos rekonfiguriert. Der gute Wille, diesen Fehler
einzusehen, wirkt sich aus als Verschleppen der Spannung in der Erweiterung
des Bildes: es gibt Ausblicke in die bessere Gesellschaft, ins Medienkritische
und Politische. Das bleiben freilich Akzentsetzungen ohne Durchgriff auf
die Struktur. Ideen-Streusel, die den Mythos als totes Gewicht beschweren.
Da rennt P.T. Barnums Elefant durchs Bild und nicht nur Amsterdam Vallon
traut seinen Augen nicht. Das Dilemma des Films fährt als Riss zuletzt
zwischen seine beiden Helden. Daniel Day-Lewis verzeichnet seinen Schurken
grimassierend ins Überdeutliche, während Leonardo DiCaprio auf
die Dämpfung seiner Figur zum Charakter setzt. Sie spielen, könnte
man sagen, nicht im selben Film. Die Wahrheit ist: "Gangs of New York" ist
nicht ein- und derselbe Film, sondern zwei in einem, die sich zu sehr viel
weniger als der Summe ihrer Halbheiten addieren.
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