Das fatalste Missverständnis in Wolfgang Beckers beinahe
katastrophal misslungenem Film "Goodbye, Lenin!" ist von der Art, die einem
gar nicht sofort auffällt, weil man den Wald nicht sieht, nur all die
Bäume bis man dann merkt, dass es nur die Bäume gibt, gar
keinen Wald. Soll heißen: Die DDR ist hier, von Anfang bis Ende, nichts
als eine Sache der Ausstattung, Baum für Baum und Bild für Bild.
Akribische Mühe haben alle Beteiligten - vom Wessi-Drehbuchautor bis
zum Wessi-Regisseur - auf einen geradezu fetischistischen Umgang mit Marken
verwandt, von Spreewald-Gurken bis zur Aktuellen Kamera. Aus der offensichtlichen
Angst heraus, etwas könne nicht stimmen, stimmt nun vermutlich (wenn
interessiert das aber?) alles im Detail und doch ist der Effekt der
eines umgekehrten Pointillismus. Punkt für Punkt hat man die Wirklichkeit
abgemalt, das Gesamtbild, das entsteht, ist jedoch ein einziges
lächerliches DDR-Klischee.
Genau darum, ließe sich einwenden, geht es doch. Um die
Rekonstruktion eines künstlichen DDR-Reservats, das Alexander Kerner
(Daniel Brühl) für seine Mutter (Katrin Saß) einrichtet,
um ihr den Schock der Wende zu ersparen. Sie nämlich ist kurz vor Mauerfall
nach einem Herzinfarkt ins Koma geraten und erst am Vorabend der
Wiedervereinigung daraus erwacht. Schonend soll sie behandelt werden, also
tun nun alle so, als sei nichts passiert, die DDR erwacht zu neuem Schein-Leben
im Krankenzimmer, dass der Mutter zuhause eingerichtet wird. Diese Drehbuchidee
hat beträchtliches Potenzial, sollte man meinen. Die Konstellation
könnte zum Gleichnis taugen für ostalgische Sehnsucht, zum
Diagnoseinstrument für die Gewalt der Umbrüche, zum Ausgangspunkt
für höchst komische Verwicklungen.
Wolfgang Becker aber, ein Regisseur, der bisher nie enttäuscht
hat, verschenkt all das an eine halbherzige Komödie mit melancholischer
Grundierung und melodramatischen Familienverwicklungen, die außer einem
erzählerischen Nebenstrang dem ganzen nichts hinzufügen. Mit der
nachholenden Wut dessen, der nur die Zeichen kennt und nicht die Wirklichkeit,
setzen Drehbuch und Regie auf höchst oberflächliche
Wiedererkennbarkeiten, darin erschöpft sich ein großer Teil des
Witzes. Nirgends hat man den Eindruck, dass die Klischeehaftigkeit des DDR-Bilds
hier eine bewusste Sache ist, also Reflexion aufs eigene Treiben. Der Film
glaubt durchaus an das, was er zeigt, gerade in den im schlechtesten Sinne
fantastischen Umkehrungen, die er am Ende vornimmt.
Komik entsteht aus dem Kontakt mit der Wirklichkeit, als deren
Überzeichnung zur Wiedererkennbarkeit oder durch Kontrastmomente,
die in der Ausreizung des Unmöglichen die Begrenztheit des Wirklichen
vorführen. Goodbye, Lenin! dagegen sucht sein Heil in der
Übertreibung von Klischees statt der Übertreibung der Wirklichkeit
zum Klischee. Ein feiner Unterschied, mit dem die Komik des ganzen aber steht
und fällt im übrigen auch die Differenz zu Leander
Haußmanns sehr viel gelungenerem Film Sonnenalle. Die Folge
ist: dieser ganze nurmehr virtuell existierende Sozialismus hängt in
der Luft, ist Anlass zu Scherzen, die ihn sich zurechtbiegen, wie sie ihn
brauchen.
Das Buch denkt immer nur vom Plot her, nie von den Figuren. Wenn ein
Experte zur filmischen Wiederherstellung des DDR-Fernsehens gebraucht wird,
schreibt man ihn ins Drehbuch: lebendig wird er dadurch nicht. Etwas Liebe
braucht es auch - voilà, hier ist die russische Lernschwester Lara
(Chulpan Khamatova), in die sich der Held vergucken kann. So geht das ohne
Ende und nichts und niemand muss einen hier wirklich interessieren. Es kommt
hinzu, dass Goodbye, Lenin! von einem einzigen Bild abgesehen,
dem Titel-Bild, wenn man so will: einer per Hubschrauber abtransportierten
riesigen Lenin-Büste mit zum Gruß erhobenem Arm von
enttäuschender inszenatorischer Einfallslosigkeit ist. Ein Fernsehfilm,
aber kein guter. Im Wettbewerb der Berlinale leider völlig deplatziert.
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