Gosford Park ist ein Gesellschaftsporträt, verwandt all
den anderen Ensemblestücken Altmans auf der einen, Renoirs "Die Spielregel"
auf der anderen Seite. Das ganze spielt zu Beginn der dreißiger Jahre
auf einem englischen Landsitz, jede konkrete gesellschaftskritische Pointe
wäre ein Anachronismus, die Geschichte begrenzt sich so auf ihre
Binnenstruktur, auf formale Stärken wie Eleganz der Verknüpfung,
exzellente Schauspielleistungen, geistreiche Dialoge. Altmans Kamera
verschärft das übliche Paradox des illusionistischen Erzählkinos:
Sie ist allgegenwärtig, d.h. an allen Orten der Handlung zur Stelle,
eilt in Schnittesschnelle von hier nach da, der perfekte Beobachter. Zugleich
unsichtbar, unaufdringlich, flüssig dahingleitend durchs Medium, das
das Erzählen ist. Hier korrespondiert das dem Sozialkosmos: Eine Membran
geht durch das weitläufige Landhaus, trennt zwei Welten, die sich auf
der Hintertreppe des Klatsches wieder zusammenschließen. Die Gesellschaft
der Reichen und Berühmten auf der einen, als discordia concors
eifersüchtelnder Distinktionsbemühungen und Exklusionsmechanismen
- und die Gesellschaft der Dienstboten auf der anderen Seite, die eine der
Spiegel der anderen.
Die Membran, die - scheinbar sanft - trennt und ausschließt,
produziert doch Gewalt. Der Hausherr, pater familias über das
offensichtlich Zugehörige hinaus, wird ermordet: es schlägt der
Ausschluss des eigenen Sohns ins andere der Dienstbotengesellschaft (alles
auf demselben Raum desselben Hauses, tota allegoria des Klassensystems,
also Brennspiegel einer ganzen Gesellschaft) zurück aufs eigene, als
doppelte Tat. Die Transgression wendet sich gegen den Transgressor, weil
er mit den Folgen seiner demütigenden Überschreitung nichts zu
schaffen haben will. Altman erzählt davon beinahe boulevardesk, viel
fehlt nicht zur schwebend leichten Harmlosigkeit von Ozons "8 Femmes", auch
da steht ein Mord am Hausherrn im Zentrum (der da keiner ist). Auch Agatha
Christie steht Pate, jedoch lässt sich Altman auf die strenge Ökonomie
des klassischen Whodunit, bei dem der Kreis der vorgestellten Personen mit
dem der potenziellen Täter mehr oder weniger identisch ist, nicht ein:
es gibt einen ganz typischen Überschuss der sozial, aber auch nach
Persönlichkeitstypen differenzierenden Beschreibunglust (am wenigsten
weiß Altman entsprechend mit dem Ermittler anzufangen). Ebenso typisch:
es gibt keine Individuen. Was Altman entwirft, sind stets Typen, Karikaturen
mit individualisierenden Eigenschaften, an deren Interpretation sich die
Charakterdarsteller als Charakterdarsteller erweisen, ohne dass die Figuren
zu runden Charakteren werden. Alles an "Gosford Park" ist überaus kunstvoll.
Nichts daran ist mehr als das.
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