Wer hätte geahnt, wozu Silberne Bären manchmal gut sind:
Regisseur Andreas Dresen und sein Produzent Peter Rommel haben das Preisgeld
für Dresens "Nachtgestalten" (Berlinale 1999) in ein waghalsiges Projekt
gesteckt - das schon deswegen im voraus keine Fördergelder erhielt,
weil es schlicht und einfach kein Drehbuch gab. Für drei Monate zogen
Dresen, seine vier Hauptdarsteller, die siebzehn Musiker der Band 17 Hippies,
die nicht nur die großartige Musik einspielten, sondern im Film selbst
eine wichtige Rolle bekamen, und das Team von sieben Leuten nach Frankfurt
(Oder), die vage Konstellation einer Geschichte um zwei befreundete Ehepaare
und einen Ehebruch im Hinterkopf. Vor Ort, immer begleitet von der digitalen
Videokamera, improvisierten sie, selbst noch ganz ungewiss, wohin es sie
führen, wie die Geschichte enden, ob je ein richtiger Film entstehen
würde.
Die Darsteller, allesamt erfahrene Theaterschauspieler, lebten
während der Drehzeit nicht nur in Frankfurt (Oder): sie arbeiteten
tatsächlich in den Berufen, die die Figuren des Films ausüben.
Uwe/Axel Prahl, der Mann, der von seiner Frau Ellen/Steffi Kühnert betrogen
wird, übernahm die - im realen Frankfurt (Oder) vor einiger Zeit dicht
gemachte - Imbissbude Halbe Treppe, Ellen stand in der Parfümerie hinter
dem Tresen, Chris/Thorsten Merten saß als Radiomoderator im Studio
von rs.2 im die Innenstadt Frankfurts dominierenden Oderturm und Katrin/Gabriela
Maria Schmeide verbrachte ihre Zeit in einem Häuschen der LKW-Abfertigung
vor der Stadt.
Die Geschichte selbst als Grundstruktur des Films ist weder sonderlich
originell noch spektakulär: In den Ehen von Uwe und Ellen, von Katrin
und Chris, alle so um die vierzig, gibt es fast nur noch Routine, tagein
tagaus dasselbe. Auch untereinander kennt man sich ewig - und doch verlieben
sich, urplötzlich, Chris und Ellen ineinander, schlafen miteinander
erst im Auto unter der Autobahnbrücke, über die die Laster
hinwegdonnern, landen dann in einem billigen Hotel gleich hinter der polnischen
Grenze. Es kommt, wie es kommen muss: Katrin ertappt ihren Mann und ihre
beste Freundin in der Badewanne, nach dem ersten Entsetzen sind all erst
einmal hin- und hergerissen zwischen Eifersucht, Freundschaft, Lust und
schlechtem Gewissen und wissen nicht recht weiter.
Das klingt, wenn man es erzählt, nach einer nicht gerade
weltbewegenden Tragödie, wenn nicht nach gut gemeintem, aber langweiligem
Sozialrealismus. Das Wunder ist, dass "Halbe Treppe" eine Präzision
im emotionalen Detail und in der Beschreibung des Alltags besitzt wie kein
anderer der bisher gezeigten Filme, eine Lust an der Zurückhaltung,
in den Wendungen der Geschichte, aber auch in seinem oft umwerfenden Humor.
Kaum zu glauben, wie punktgenau der Film die Verbindung von improvisierter
Spontaneität und erzählerischer Konzentration hinbekommt, wie sicher
er die Balance hält zwischen Drama und Komödie, wie lebensecht
den Darstellern jede Geste, jedes Wort gerät.
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