»Nobody will ever come between us«
Im Horrorfilm greift eine "neue Unübersichtlichkeit" um sich: Die bereits
mit dem Übergang von der filmischen Klassik zur Moderne aufgegebene
Blick-Distanz zwischen Zuschauer und Objekt ist in jüngsten Produktionen
wie "House of 1000 Corpses" oder "The Texas Chainsaw Massacre - 2004" nicht
nur bis auf ein Minimum reduziert worden. Auch auf die prinzipielle
Unterscheidung von "subjektiver" und "objektiver" Einstellung ist kein Verlass
mehr: Dass wir auf ein Objekt blicken - speziell auf einen menschlichen
Körper - bedeutet noch längst nicht, dass wir nicht gleichzeitig
aus der Perspektiv dieses Objektes/Körpers blicken. Mit dieser
endgültigen Verunsicherung des Zuschauerblicks verdoppelt der
zeitgenössische (Horror)Film nur einmal mehr die trügerische mediale
Distanz zwischen uns selbst und unserer Umwelt. Alles geht uns etwas an,
alles geht uns nah, nichts lässt sich wirklich von uns trennen.
In "High Tension" wird diese Verunsicherung auf das Sujet des
Serienmörderfilms übertragen. Die Kommilitoninnen Marie und Alex
wollen ein paar Tage auf dem Land, im Haus von Alex' Familie verbringen,
um sich auf ihr Jura-Examen vorzubereiten. Die ländliche Idylle, in
der sich das Anwesen befindet, scheint perfekt: Rings herum Maisfelder,
freundliche Menschen und strahlender Sonnenschein. In der Nacht nach ihrer
Ankunft bricht jedoch - eine standardisierte Horrorfilm-Situation - das Grauen
in die Idylle ein. Ein schwergewichtiger Mann, der uns schon zuvor als grausamer
Serienmörder präsentiert wurde, nähert sich mit seinem rostigen
Lieferwagen dem Haus Alex', dringt in es ein, tötet die gesamte Familie
und entführt Alex. Marie, die vom Mörder unentdeckt das Geschehen
beobachtet, nimmt die Verfolgung auf. Nachdem der Mann eine Tankstelle
überfallen hat, von der aus Marie die Polizei informiert, schlägt
er sich mit seinem Lieferwagen in einen Waldweg. Dort kommt es zur finalen
Konfrontation mit Marie, die ihn schließlich überwältigt.
Der Plottwist, der sich am Ende von "High Tension" offenbart, ist keineswegs
die "Pointe" des Films. Der gesamte Filmverlauf verlief viel zu auffällig
in den Bahnen modernen Horrors: Der Überfall und die Entführung,
die Verfolgung und die finale Konfrontation - das alles ist sattsam aus hunderten
ähnlicher Genre-Beiträge bekannt. Es überrascht also wenig,
dass Marie und der brutale Mörder ein und dieselbe Person sind. Deren
trügerische Differenz hält der Film gegenüber dem Zuschauer
(und gegenüber den mit Marie bzw. dem Mörder konfrontierten
Protagonisten) bis zu dem Zeitpunkt aufrecht, wo wir eine Videoaufzeichnung
in der Tankstelle zu sehen bekommen. Wurde uns zuvor gezeigt, wie sich Marie
in dieser Tankstelle versteckt und der Mörder den Verkäufer mit
einer Axt umbringt, so offenbart uns das Video nun, dass es Marie selbst
war, die den Mann zerhackt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist die Perspektive auf
Marie und den Mörder scheinbar wieder zurechtgerückt. Wir sehen
die Welt nicht mehr nur durch ihre Augen. Die Angst der immer noch im Lieferwagen
gefesselten Alex vor dem Mörder ist nun ganz klar als Angst vor Marie
gekennzeichnet. Aber in der Verfolgungsjagd im Showdown, in der Marie Alex
mit einer Motorsäge durch den Wald jagt, sehen wir immer noch abwechselnd
den Killer und Marie.
"High Tension" bereitet die Auflösung seiner Identitätsverwirrung
auf intelligente Weise vor. Von Beginn an dominieren Nah- und
Großeinstellungen den Film. Nur selten bekommt man vom Kamerabild etwas
aus der Umgebung der Protagonisten zu Gesicht. Der Kamerablick klebt
förmlich am Objekt und dekontextualisiert dieses dadurch zusehends.
Darüber hinaus scheint es auch in der Erzählung eine
eigentümliche Verbindung zwischen Marie und dem Killer zu geben: Als
dieser das Haus Alex' nach weiteren Opfern durchsucht, verwischt Marie genau
jene Spuren von sich, die der Killer versucht aufzunehmen. Beispielsweise
versteckt sie sich unter dem Kopfende eines Bettes, ganz so, als wüsste
sie schon, dass ihr Verfolger die Matratze nur am Fußende anhebt. Und
in der Verfolgungsjagd, in der Marie dem rostigen Lastwagen dicht auf den
Fersen ist, zeigt uns der Film immer wieder nur die untere Gesichtshälfte
des Killers um dann auf die obere Gesichtshälfte Maries im Verfolgungsauto
zu schneiden. Etliche weitere Hinweise legt der Film aus.
Es ist die Nähe des Blicks zu den Objekten, die dazu führt, dass
das Subjekt sich selbst nicht mehr (er)kennt. Marie scheint in den Momenten,
wo sie selbst vom Killer verfolgt wird, nicht zu wissen, dass sie sich genau
genommen selbst verfolgt. Der Zuschauer, der in diesen Momenten ihre Perspektive
einnimmt - die, wie gesagt, nur augenscheinlich auktorial ist - gerät
in die Falle der Darstellungsweise. Die dichte erzählerische
Atmosphäre, die den gesamten Film bestimmt (es gibt keinerlei
Seitenhandlungen), wird ins fast Unerträgliche gesteigert durch die
verwirrenden Einstellungsgrößen und den äußerst dominanten
und somatischen Soundtrack des Films. In stillen, spannungsgeladenen Momenten
wechselt sich Clicks&Cuts-Electronic mit brachialem Electro-Industrial
in Schock-Szenen ab.
"High Tension" ist in allen Details ein im Wortsinne extrem "spannungsgeladener"
Film - Zusammen mit der konsequenten Blick-Verwirrung, die der Film betreibt,
fliegt immer wieder ein "Funken" der Erkenntnis vom Bild auf den Zuschauer
über. Mit dem Fortschreiten der Handlung wird der "Spannungsbogen" zwischen
Bild, Ton auf der einen und dem Zuschauer auf der anderen Seite der Leinwand
immer kürzer. Der Zuschauer wird zusehends an das Bild "herangerückt".
Der Horror der Distanzlosigkeit zum Objekt überwindet in "High Tension"
die Grenzen seiner bloßen Erzählbarkeit und zeigt sich im/als
Bild selbst. So wirken die Schlussworte Maries, als diese schließlich
vor Alex zusammenbricht, wie eine Zusammenfassung des Gesehenen und eine
Drohung an den Zuschauer: "Ich lasse nichts mehr zwischen und kommen!"
High Tension
Frankreich 2003
Regie: Alexandre Aja
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