Filmkritik Alexandre Aja: High Tension (F 2003)

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Alexandre Aja: High Tension (F 2003)

 

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Alexandre Aja: High Tension (F 2003)
Kritik v
on Stefan Höltgen

[Image]

»Nobody will ever come between us«

Im Horrorfilm greift eine "neue Unübersichtlichkeit" um sich: Die bereits mit dem Übergang von der filmischen Klassik zur Moderne aufgegebene Blick-Distanz zwischen Zuschauer und Objekt ist in jüngsten Produktionen wie "House of 1000 Corpses" oder "The Texas Chainsaw Massacre - 2004" nicht nur bis auf ein Minimum reduziert worden. Auch auf die prinzipielle Unterscheidung von "subjektiver" und "objektiver" Einstellung ist kein Verlass mehr: Dass wir auf ein Objekt blicken - speziell auf einen menschlichen Körper - bedeutet noch längst nicht, dass wir nicht gleichzeitig aus der Perspektiv dieses Objektes/Körpers blicken. Mit dieser endgültigen Verunsicherung des Zuschauerblicks verdoppelt der zeitgenössische (Horror)Film nur einmal mehr die trügerische mediale Distanz zwischen uns selbst und unserer Umwelt. Alles geht uns etwas an, alles geht uns nah, nichts lässt sich wirklich von uns trennen.

In "High Tension" wird diese Verunsicherung auf das Sujet des Serienmörderfilms übertragen. Die Kommilitoninnen Marie und Alex wollen ein paar Tage auf dem Land, im Haus von Alex' Familie verbringen, um sich auf ihr Jura-Examen vorzubereiten. Die ländliche Idylle, in der sich das Anwesen befindet, scheint perfekt: Rings herum Maisfelder, freundliche Menschen und strahlender Sonnenschein. In der Nacht nach ihrer Ankunft bricht jedoch - eine standardisierte Horrorfilm-Situation - das Grauen in die Idylle ein. Ein schwergewichtiger Mann, der uns schon zuvor als grausamer Serienmörder präsentiert wurde, nähert sich mit seinem rostigen Lieferwagen dem Haus Alex', dringt in es ein, tötet die gesamte Familie und entführt Alex. Marie, die vom Mörder unentdeckt das Geschehen beobachtet, nimmt die Verfolgung auf. Nachdem der Mann eine Tankstelle überfallen hat, von der aus Marie die Polizei informiert, schlägt er sich mit seinem Lieferwagen in einen Waldweg. Dort kommt es zur finalen Konfrontation mit Marie, die ihn schließlich überwältigt.

Der Plottwist, der sich am Ende von "High Tension" offenbart, ist keineswegs die "Pointe" des Films. Der gesamte Filmverlauf verlief viel zu auffällig in den Bahnen modernen Horrors: Der Überfall und die Entführung, die Verfolgung und die finale Konfrontation - das alles ist sattsam aus hunderten ähnlicher Genre-Beiträge bekannt. Es überrascht also wenig, dass Marie und der brutale Mörder ein und dieselbe Person sind. Deren trügerische Differenz hält der Film gegenüber dem Zuschauer (und gegenüber den mit Marie bzw. dem Mörder konfrontierten Protagonisten) bis zu dem Zeitpunkt aufrecht, wo wir eine Videoaufzeichnung in der Tankstelle zu sehen bekommen. Wurde uns zuvor gezeigt, wie sich Marie in dieser Tankstelle versteckt und der Mörder den Verkäufer mit einer Axt umbringt, so offenbart uns das Video nun, dass es Marie selbst war, die den Mann zerhackt hat. Ab diesem Zeitpunkt ist die Perspektive auf Marie und den Mörder scheinbar wieder zurechtgerückt. Wir sehen die Welt nicht mehr nur durch ihre Augen. Die Angst der immer noch im Lieferwagen gefesselten Alex vor dem Mörder ist nun ganz klar als Angst vor Marie gekennzeichnet. Aber in der Verfolgungsjagd im Showdown, in der Marie Alex mit einer Motorsäge durch den Wald jagt, sehen wir immer noch abwechselnd den Killer und Marie.

"High Tension" bereitet die Auflösung seiner Identitätsverwirrung auf intelligente Weise vor. Von Beginn an dominieren Nah- und Großeinstellungen den Film. Nur selten bekommt man vom Kamerabild etwas aus der Umgebung der Protagonisten zu Gesicht. Der Kamerablick klebt förmlich am Objekt und dekontextualisiert dieses dadurch zusehends. Darüber hinaus scheint es auch in der Erzählung eine eigentümliche Verbindung zwischen Marie und dem Killer zu geben: Als dieser das Haus Alex' nach weiteren Opfern durchsucht, verwischt Marie genau jene Spuren von sich, die der Killer versucht aufzunehmen. Beispielsweise versteckt sie sich unter dem Kopfende eines Bettes, ganz so, als wüsste sie schon, dass ihr Verfolger die Matratze nur am Fußende anhebt. Und in der Verfolgungsjagd, in der Marie dem rostigen Lastwagen dicht auf den Fersen ist, zeigt uns der Film immer wieder nur die untere Gesichtshälfte des Killers um dann auf die obere Gesichtshälfte Maries im Verfolgungsauto zu schneiden. Etliche weitere Hinweise legt der Film aus.

Es ist die Nähe des Blicks zu den Objekten, die dazu führt, dass das Subjekt sich selbst nicht mehr (er)kennt. Marie scheint in den Momenten, wo sie selbst vom Killer verfolgt wird, nicht zu wissen, dass sie sich genau genommen selbst verfolgt. Der Zuschauer, der in diesen Momenten ihre Perspektive einnimmt - die, wie gesagt, nur augenscheinlich auktorial ist - gerät in die Falle der Darstellungsweise. Die dichte erzählerische Atmosphäre, die den gesamten Film bestimmt (es gibt keinerlei Seitenhandlungen), wird ins fast Unerträgliche gesteigert durch die verwirrenden Einstellungsgrößen und den äußerst dominanten und somatischen Soundtrack des Films. In stillen, spannungsgeladenen Momenten wechselt sich Clicks&Cuts-Electronic mit brachialem Electro-Industrial in Schock-Szenen ab.

"High Tension" ist in allen Details ein im Wortsinne extrem "spannungsgeladener" Film - Zusammen mit der konsequenten Blick-Verwirrung, die der Film betreibt, fliegt immer wieder ein "Funken" der Erkenntnis vom Bild auf den Zuschauer über. Mit dem Fortschreiten der Handlung wird der "Spannungsbogen" zwischen Bild, Ton auf der einen und dem Zuschauer auf der anderen Seite der Leinwand immer kürzer. Der Zuschauer wird zusehends an das Bild "herangerückt". Der Horror der Distanzlosigkeit zum Objekt überwindet in "High Tension" die Grenzen seiner bloßen Erzählbarkeit und zeigt sich im/als Bild selbst. So wirken die Schlussworte Maries, als diese schließlich vor Alex zusammenbricht, wie eine Zusammenfassung des Gesehenen und eine Drohung an den Zuschauer: "Ich lasse nichts mehr zwischen und kommen!"

High Tension

Frankreich 2003

Regie: Alexandre Aja

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