Ulrich Seidl: Hundstage (Österreich 2002)

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Ulrich Seidl: Hundstage (Österreich 2002)
Kritik von Karl-Philipp Döring

 

Hundstage

Inhalt

Das Radio verkündet es: Die Hundstage halten an. Es herrscht Stillstand, das Wetter ist unerträglich heiß und schwül, und die Bewohner der Retortenhäuser in Wiens Vorstädten treibt es auf die Sonnenliegen auf ihren kümmerlichen Terrassen und Balkonen. In dieser sterilen Tristesse leben alle möglichen unterschiedlichen Leute: Ein Sicherheitsberater kurvt durch die immergleichen Straßen, auf der Suche nach den Autozerkratzern und nach Käufern seiner Sicherheitssysteme; ein getrenntes Ehepaar versucht irgendwie über den Tod ihrer Tochter hinweg zu kommen, er, indem er einen Tennisball mit sich herumträgt und gegen jede Wand wirft, sie mit Besuchen in Swingerclubs und einem Masseur-Geliebten; eine andere Frau wird von ihrem Mann vergewaltigt, der seinen Freund mitbringt, welcher dann auch mal ran darf, am nächsten Tag aber mit geladener Pistole aufkreuzt und ihr seine Liebe gesteht; ein Opa feiert mit einer Frau den Geburtstag seiner verstorbenen Ex-Frau, und sie darf im Kleid der Ex-Frau für ihn strippen (mit vielleicht 70 Jahren auf dem Buckel); eine Frau trampt bei diesem und jenem mit und macht alle Fahrer mit Listen der 10 beliebtesten Talkshow-Moderatorinnen, Supermärkte, Sexstellungen, ... diese und noch mehr skurrile, traurige oder lustige, brutale aber auch einfühlsame Geschichten bekommen wir zu sehen. Alle Personen sprechen Wienerisch (der Film ist größtenteils untertitelt, was zumindest für den Autor dieser Kritik immer wieder von großer Hilfe war), und alle kämpfen mit dem Leben. Schließlich kommt der ersehnte Regen, das Wetter kühlt ab - doch das Leben wird nicht leichter.

Kritik

Eine Mischung aus Short Cuts von Altman, Taxi Driver von Scorsese und Warum läuft Herr R. Amok? von Fassbinder - so könnte man Hundstage bezeichnen, Ulrich Seidls ersten Spielfilm (nach diversen Dokumentarfilmen). Wieder eine bissige Komödie aus Österreich, das für dieses Genre schon bekannt ist (man denke an Komm, süßer Tod oder an Indien). Der Stil ist quasi-dokumentarisch mit langen Einstellungen, die (Digital-)Kamera ist immer wieder ganz nah an den Gesichtern. Die verschiedenen Geschichten werden am Ende nicht zusammengeführt - die einzelnen Episoden werden nur zusammengehalten vom Dialekt, von dem Wetter, unter dem alle leiden, und der tristen Siedlung, aus der die meisten stammen. Trotzdem zersplittert der Film nicht in Einzelteile - am Ende glaubt man sich wirklich vorzustellen zu können, dass alle diese schrägen Leute in diesem Vorort wohnen.

Stellenweise hat der Film großen Witz, doch häufig bleibt einem das Lachen auch schnell im Halse stecken. Der Film ist bissig und immer wieder auch ziemlich brutal. Viel Sex (Gruppensex, SM usw.), viel Gewalt, viele gescheiterte Existenzen. Die Kluft zwischen dem Klischee des Wienerischen und den Figuren ist groß - aber gerade das macht auch den besonderen Reiz dieses Films aus: die Figuren reden wie Sissi, aber sie benehmen sich als wären sie aus Harlem

Die Menschen versuchen sich gegen ihr Schicksal zu wehren, und das äußert sich häufig in Musik: immer wieder werden Lieder gesungen, romantische, heroische, lustige, traurige Lieder - doch auch die Musik kann nur für den Moment den Schmerz lindern, wirklich helfen kann sie nicht. Ständig liegt bei den vielen Pistolen auch ein Mord in der Luft,- doch anders als das drückende Wetter, das sich einmal im Film in ein riesiges Gewitter entlädt, entlädt die Aggression sich nicht in einen Mord, der Knoten wird nicht zerschlagen. Alles dreht sich im Kreis, und es scheint kein Entkommen zu geben; bis, am Ende, vielleicht doch endlich einmal der eine mit dem anderen redet. Um zu verstehen, wie erleichternd solch ein Angebot auf den Zuschauer wirken kann, und um nachvollziehen zu können, wieso zwei Menschen im Regen schweigend auf einer Kinderschaukel sitzen können und auch das Erleichterung bedeutet - deswegen sollte man sich Hundstage unbedingt ansehen.

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