In deutschen Kinos kommt der italienische Film kaum noch vor.
Deshalb ist es eine besondere Freude, dass Preferisco il rumore del
mare (dt. Verleihtitel: Ich liebe das Rauschen des Meeres) nach seiner
internationalen Premiere beim Filmfestival in Cannes 2000 (Reihe Un certain
regard) und seinem Erfolg bei der Cinema Italia-Reihe der AG
Kino im letzten Jahr - er gewann den Publikumspreis - jetzt gestartet
ist.
Nach La seconda volta mit Nanni Moretti und Valeria Bruni
Tedeschi und La parole amore esiste taucht Regisseur Mimmo Calopresti
erneut in ein spezifisch italienisches Thema ein. Luigi (Sivio Orlando) lebt
als begüteter Geschäftsmann in der Industriemetropole Turin und
hat die Wurzeln seiner Kindheit in Kalabrien weit hinter sich
zurückgelassen. Bei einem Besuch seiner Mutter in Süditalien lernt
er den Jungen Rosario (Michele Raso) kennen, dessen Mutter von der Mafia
ermordet wurde und dessen Vater im Gefängnis ist. Weitläufig
miteinander verwandt, beschließt der Geschäftsmann, den
15-Jährigen zu unterstützen und ihn in ein kirchliches Jugendheim
nach Turin zu vermitteln. Der Leiter, ein mit Luigi befreundeter Priester
(Mimmo Calopresti), nimmt sich seiner an. Das Engagement Luigis geht noch
weiter: Er lädt Rosario in sein Haus ein, um ihn mit seinem gleichaltrigen
Sohn Matteo (Paolo Cirio) bekannt zu machen.
Von Anfang an kreiert der Film eine Atmosphäre, über seine
Bilder, die Musik, seine ruhige Spielweise, die einen in den Bann eines sich
langsam entwickelnden Psychodramas zieht. Silvio Orlando ist perfekt in der
Rolle des vom Süd- zum Nordländer gewandelten Italieners, der nur
beim Fußballspiel Emotionen zeigt, dessen Beziehung zum Sohn gestört
ist und der seine neue, um einige Jahre jüngere Freundin nicht zu nah
an sich heranlassen will. Von der Ehefrau verlassen, lebt der Vater mit Matteo,
umsorgt von einer Haushälterin, in einer schönen Villa. Rosario
hat zu dieser Art Leben keinen Zugang. Verschlossen, sich selbst genügend
und von ernsthafter Strenge gegen alle, die ihn umgeben, wehrt er sich gegen
plumpe Vertraulichkeit und reagiert sensibel auf das ihm entgegengebrachte
Misstrauen. Zwischen den beiden Jugendlichen entwickelt sich eine labile
Beziehung, die immer wieder von dem Vater aus dem Gleichgewicht gebracht
wird. Mit der ihm eigenen Direktheit bringt der Junge aus dem Süden
die Defizite im Umgang von Vater und Sohn auf den Punkt. Ein unbequemer
Zeitgenosse, der Luigi unheimlich ist und Matteo dazu bringt, sich vom Vater
zu emanzipieren. Parallel zu dem Beziehungsdreieck verschlimmert sich die
berufliche Lage des Geschäftsmannes. Er wird sich darüber klar,
dass seine Firma in illegale Geschäfte verstrickt ist.
Mimmo Calopresti beweist einmal mehr, dass er ein Gespür für
die richtigen Schauspieler hat - Silvio Orlando ist wie immer eine sichere
Wahl als bedrückter, zur direkten Kommunikation unfähiger Mann,
Paolo Cirio und Michele Raso als pubertierende Jungen sind unglaublich intensiv
und authentisch -, und hat zusammen mit Heidrun Schleef und Francesco Bruni
ein dichtes, die Story über die gesamte Filmzeit tragendes Drehbuch
geschrieben. Die Musik untermalt und akzentuiert die wechselnden Stimmungen-
etwa mit einem Song von Fabrizio de Andre Il Pescatore oder einer
melancholischen Ballade von Marianne Faithfull.
Am Ende sind der Worte zu viel gewechselt. Rosario kehrt nach Kalabrien
zurück, weil er dem verbalen Strom das Rauschen des Meeres vorzieht.
Wenig Hoffnung für eine Annäherung im Nord-Süd-Konflikt.
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