Iris - Die Reise in die Dunkelheit
Sie, die Zeit ihres Lebens über Freiheit philosophierte, wurde
in einem unmerklichen Prozess eine Gefangene im eigenen Körper. Sie,
die immer über den großen Wert von Bildung und Sprache redete,
verlor ihr Wissen und vergaß mit der Zeit immer mehr Wörter. Die
englische Schriftstellerin Iris Murdoch, die als eine der bedeutensten Autorinnen
ihrer Generation angesehen wurde und noch wird, litt die letzten Jahren ihes
Lebens bis zu ihrem Tod Ende der neunziger Jahre an der Alzheimer-Krankheit.
Der Regisseur Richard Eyre hat sich in seinem Film Iris
besonders dieser Phase ihres Lebens gewidmet. Doch die Bilder des schleichenden
Zerfalls ihres Gedächtnisses oder wie Iris es einmal beschrieb, die
Reise in die Dunkelheit kontrastiert Eyre mit Momentaufnahmen aus Iris
Studententagen. Die Zeit, als sie John Bayley (der alte John und Oscar-Gewinner:
Jim Broadbent; der junge John: Hugh Bonneville) kennenlernte und ihn trotz
ihrer sprunghaften, provokanten Art bis zu ihrem Tod vor drei Jahen an sich
binden konnte. Eine Zeit, in der sie ihren ersten von insgesamt 28 Romanen
veröffentlichte und in der sie für damalige Verhältnisse sexuell
durchaus freizügig lebte. Ihre Grenzen waren weit gesteckt, was ihrem
damals noch schüchternen, etwas prüden Verehrer John einiges
abverlangte.
Diese Rückblenden sind gelungen mit der Gegenwart verknüpft
und dass Eyre die Jugend dem Alter und dem Zerfall durch die Krankheit direkt
gegenüber zu stellt, verdeutlich auf schmerzliche Weise Iris Abgleiten
ins geistige Nirgendwo und in den Tod. Doch es entsteht eine Kluft zwischen
der alten (war Oscar-nominiert: Judi Dench) und der jungen Iris Murdoch
(ebenfalls Oscar-nominiert: Kate Winslet). Der Mittelteil ihres Lebens,
eigentlich ihre größte und kreativste Schaffensphase, wird ausgespart.
Dem Film Iris werden hier wie der Titelfigur große Teile
ihres Lebens gestrichen. Was bleibt ist lediglich die trübe Gegenwart
und ein Langzeitgedächtnis.
So funktioniert der Film als Biopic über die Autorin Iris Murdoch
kaum. Zu wenig verrät er über sie, stellt ihr Werk fast komplett
in den Hintergrund und John Bayley, der im wirklichen Leben ein angesehener
Kritiker und Professor für Literatur ist, wird hier zum hilflosen,
unselbständigen Schussel.
Dass Iris trotz der Schwächen eine überaus
sehenswerter Darstellung der Alzheimer-Krankheit der berühmten Romanautorin
ist, liegt vor allem an den ausnahmslos großartig und präzise
aufspielenden Darstellern. Judi Dench verkörpert die Iris mit ihrer
besonderen Uneitelkeit und berührt vor allem durch ihre Hilflosigkeit
im Mittelteil, wo sie noch um ihrer Krankheit weiss. Kate Winslet ist wunderbar
burschikos-aufbrausend und geht in einigen Szenen trotz ihrer üppigen
Figur so natürlich mit ihrer Nackheit um, wogegen man dem großartigen,
rapide gealterten Jim Broadbent in jeder Sekunde seine Besorgnis und seine
Überforderung ansieht.
Durch sie wird Iris zum eindringlichen Portrait eines
alten Paares, das durch eine unheilbare Krankheit aus der Bahn seines
eingespielten Alltags geworfen wird. Und auch wenn Eyres Inszenierung bisweilen
nur sehr knapp an der Rührseligkeit vorbei schrammt, steht am Ende keine
dramatische Sterbeszene. Die Reise in die Dunkelheit endet hier im
Licht.
zur Jump Cut Startseite
|