Im kalten Herzen Amerikas
Im Sommer 2021 sterben die Bewohner New Yorks an Schwermut. Leichen
liegen auf der Straße. Es schneit im August. In Uganda setzt die
Schwerkraft aus. Elena und John treffen sich in der amerikanischen Metropole,
um ihre Ehe zu beenden.
Der Kontrast könnte nicht größer sein. Regisseur Thomas
Vinterberg legt für seine erste Hollywood-Produktion die Handkamera
beiseite und bricht die zehn Gebote des Dogma-Manifests, das er 1995 mit
seinem Kollegen Lars von Trier veröffentlichte. Statt an
Originalschauplätzen, ohne künstliches Licht und Requisiten zu
drehen, reiste der Glamour in Gestalt von Stars wie Joaquin Phoenix, Claire
Danes und Sean Penn nach Dänemark und ins schwedische
Trollhättan.
In den Kulissen eines Filmstudios - kreiert vom Produktionsdesigner
Ben van Os, der den Filmen von Peter Greenaway barockes Flair verlieh (z.B.
Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber) -, auf einem
Parkplatz und in der U-Bahn in Kopenhagen entstanden die Szenen, die in New
York spielen sollten. Das Panorama der Stadt wurde anschließend digital
ein- und nachgearbeitet.
Dem Sciencefiction über eine Welt am Abgrund und zwei Liebende,
die versuchen, am Rande ihre Balance zu halten, schadet dieser formale Kunstgriff
nicht. Er offeriert die Aneignung und entzieht sich ihr gleichzeitig -
Ähnliches ist inszeniert, Vertrautes ein Trugschluss oder nur bestens
kopiert. Konsequent entwirft Thomas Vinterberg zusammen mit Kameramann Anthony
Dod Mantle die Antithese zum ersten Dogma-Werk Das Fest: Alles,
was echt ist, bleibt außen vor. Radikaler lässt sich das puristische
Konzept nicht auf den Kopf stellen.
Der Einsatz technischer Mittel, der in den Dogma-Filmen durch Reduzierung
Platz für Authentizität schuf, führt in der Umkehrung der
Methode - der bewussten Überdosierung von Technik, Ausstattung und Action
- zu einem Vakuum, in dem die Schauspieler wie irritierte Träumer durch
die Sets trudeln. Dass dies hin wieder übertrieben grell oder akademisch
langatmig gerät, wird nicht nur den Kritikern eines Kinos der Illusionen
aufstoßen.
Das Luxushotel, in dem die geheimnisvolle Eiskunstläuferin Elena
ihren Mann empfängt, wirkt wie ein schwankendes Geisterschiff. Die
schneeweißen Limousinen, die das Paar und ihre Begleiter durch die
Straßen fahren, pflügen wie lautlose Eisbrecher durch New York.
Hindernisse, wie überall verstreute Leichen, werden seltsam unbeteiligt
übersehen. The show must go on. Elena, die zarte Eisprinzessin, mag
nicht mehr Schaulaufen. Drei Klone sollen sie ersetzen. Auf diesen Einfall
muss man kommen.
Die Gefahr, in der sich die Welt und die sich wieder Liebenden schweben,
baut sich langsam auf: Klimastürze, Epidemien, genetische Manipulation
und ein Verbrechen. Das Ende erinnert an eine andere große
Liebesgeschichte, die gar nicht gut ausging. In Titanic hatte
Rose alias Kate Winslet im eisigen Meer aber bessere Karten, und dass das
Schiff untergehen würde, wussten alle, die ein Kinoticket lösten.
Auch John schützt uns als Erzähler mit der Ankündigung seines
bevorstehenden Todes vor der Torheit, bei einem Film mit dem
verheißungsvollen Titel Its all about Love auf ein
Happy End zu hoffen.
Auf ihrer Flucht durch eine tief verschneite Winterlandschaft, die
vorgibt, in Polen zu liegen, erfrieren Elena und John. Marciello (Sean Penn),
unentwegt um die Welt fliegender Passagier in einem Jumbo-Jet in Reihe 21,
spricht die letzten Worte auf die Mailbox seines Bruders John: Es dreht
sich alles um die Liebe. Da sind die beiden Unglücklichen schon
vom Schnee verweht. Viel Pathos für einen Regisseur, der mit einem
puristischen Kammerspiel über einen Inzest bekannt wurde. Oder belegt
Vinterberg die eigene These: dass im Kino der Illusionen jede Wahrheit
erstickt?
zur Jump Cut Startseite
|