Dringend erlösungsbedürftig, in Queens, New York: Naina.
Sie lebt für ihr Studium, für ihre Familie, die vor allem aus ihrer
Mutter und ihrer Gromutter besteht und die leben in ständigem Streit.
Der Vater ist tot - und das heißt im Familienkino Bollywood: nicht
einfach abwesend, sondern gerade durch die Abwesenheit höchst präsent.
Naina hat einen guten Freund, Rohit, reich ist er dazu, aber auf den Gedanken,
sich in ihn zu verlieben kommt sie nicht. Und er nimmt sie gleich gar nicht
als begehrenswert wahr: sie trägt Brille.
Der Boden ist also bereitet für den Erlöser. Aman, Superstar
Shah Rukh Khan, übernimmt diese Rolle und platzt in die kleine indische
Welt von Queens wie, nun, der Film sagt es oft genug selbst, ein Engel. Ein
höchst irdischer Engel, bald tanzt die ganze Straße zur Melodie
von "Pretty Woman". Er mischt die Nachbarschaft auf, tröstet, kuppelt,
greift ein, wo es nötig ist und irgendwann hat er Naina so weit, dass
sie ihn liebt und sich so weit, dass er sie liebt. Jedoch hat das Schicksal
anderes vor, wir werden über seine Pläne erst andeutungsweise und
mit immer weiteren Verzögerungen informiert. Aman ist todkrank und dadurch
lässt sich der Plot zielgenau in den Hafen eines der ältesten
Dreiecksmodelle Bollywoods manövrieren. Zwei Männerfreunde (Aman
und Rohit) und eine Frau: das bedeutet Liebe, Konkurrenz, Tragödie,
Schmerz und zuletzt immer edlen Verzicht des einen.
Vor den Tränen aber steht die Komödie, die sich hier stark
ans amerikanische Sitcom-Milieu anlehnt. Das ist albern, gelegentlich
anzüglich, verblüfft durch Tempo ebenso wie durch hübsche
inszenatorische Mätzchen (wie Split Screens und clevere Montagen und
falsche Kamerafahrten) und enttäuscht über weite Strecken durch
Belanglosigkeit. In dem Moment jedoch, in dem sich das Tragödiendesign
deutlich abzuzeichnen beginnt, läuft "Kal Ho Naa Ho" doch noch zu
Bollywood-Hochform auf und konstelliert die Figuren - das Liebesdreieck vor
allem - durch herzergreifende Unwahrscheinlichkeiten hindurch zur emotionalen
Idealformation. Wer da kein Taschentuch benötigt, der braucht nie mehr
eins.
Der Film, der sich gerade anschickt, nach einem bitteren Jahr für
die indische Filmindustrie Besucherrekorde zu brechen, ist ein Novum im indischen
Kommerzkino dadurch, dass er komplett in New York angesiedelt ist. Kein
Zentimeter Zelluloid bleibt für indischen Boden. Dem halben Schritt,
den Karan Johar als Autor und Regisseur bei "Kabhi Kushi Kabhi Gam" in Richtung
London getan hat, lässt er als Autor (Regie führte der Debütant
Nikhil Advani) nun den ganzen in die Neue Welt folgen.
Bei aller Anlehnung ans Sitcom-Format muss man jedoch feststellen:
"Kal Ho Naa Ho" ist Bollywood durch und durch. Jedes Gramm Emotion ist vertraut,
nur die Mischungsverhältnisse variieren. Shah Rukh Khan glänzt
einmal mehr als Kamerad und Held (das ist sein Star-Modell: der Held als
Kamerad). New York, für das recht häufig Toronto als Body Double
einspringen musste, macht auch durch die Augen eines indischen Kameramanns
eine gute Figur, die Brooklyn Bridge lädt zu Song & Dance und auch
der Central Park. Wirkliche Neuerungen, einen ernsthaften Zweifel an den
vertrauten Konventionen gestattet sich der Film freilich nicht.
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