Eine Grenze, eine junge Frau, ein Hund, ein Drogenschmuggler.
Es ist die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz, die junge Frau arbeitet
beim Zoll, der Hund schnüffelt und Claire Denis verlässt den Schauplatz
mit einem letzten Blick auf die Frau und den Hund. Darauf eine Einstellung,
die zwei offene Fenster zeigt und eine Hauswand. Ein junger Mann hat zwei
kleine Kinder gebadet, die Kamera dringt ein in das Haus, folgt dem Mann,
der die Kinder vom einen Zimmer ins andere trägt. Die junge Frau vom
Zoll kommt nach Hause, er erzählt eine Geschichte vom Wald, in dem sie
sich befinden, die sie erregt, er zieht sie aus und Claire Denis verlässt
den Schauplatz und schneidet unvermittelt auf Bilder eines Waldes.
Im Wald, dem selben Wald, einem anderen Wald, in einem Wald, liegt ein Mann,
nackt, halbnackt, mit zwei Hunden. Er badet, er hat Schmerzen, er wird
beobachtet. Wir wissen nicht, wer die Frau ist, die ihn beobachtet. Der Mann
lebt im Wald, in einem Haus, eine Frau besucht ihn, sie schlafen miteinander,
sie ist Apothekerin, die Kamera sucht immer wieder die Nähe zu den
Körpern. Es ist Agnes Godards Kamera, die aus den Filmen von Claire
Denis längst nicht mehr wegzudenken ist. Die Erkundungen ins
Äußere und Äußerste der Welt, zu denen sich Denis'
Filme so entschlossen entwickeln, sind Experimente eines Kamerablicks, der
seinesgleichen nicht kennt. Es ist ein Blick, der in dem, was man subjektiv
nennt, nun ein Stadium rasender Nüchternheit erreicht hat, im radikalen
Voranschreiten einer fieberhaft sich selbst entdeckenden Kunst des anderen
Blicks.
Agnes Godard und Claire Denis begreifen den Menschen und die Welt der physischen
Dinge (und den Menschen als Bestandteil der Welt der physischen Dinge) als
Haut, als Membran, an der sich Öffnung und Schließung ganz
gleichzeitig zeigen. Geradezu ekstatisch - in aller sachkundigen
Nüchternheit - wird dieser Blick im schieren Schauen, im seismischen
Schauen einer Handkamera, die ganz Auge ist, vor dem die Welt zum Bild
verschwimmt. Keine symbolische Bewegung der Annäherung, kein Begreifenwollen
ist in diesem Blick, vielmehr ein Berührenwollen mit dem Auge, von
sanftester Taktilität. Berauschend die Erstreckungen fast völliger
Bedeutungsleere, das bloße Berühren, ein leises Raspeln und Rascheln
auf der Netzhaut nur noch, wenn die Kamera das Meer, das Wasser einfängt,
den Schnee, das Fahren, das Gleiten, das Rutschen, das Wogen des Meeres,
die Textur der Wasseroberfläche, den Klang des Sichtbaren,
nüchtern-ekstatische Synästhesien.
Wo es um die Oberfläche geht, wird ihre Durchdringung zum aufregendsten
Rätsel, ja, zur Sensation. Die Kamera dringt in die Welt wie der Chirurg
in den Körper, sagt Benjamin. Das Kino von Godard und Denis ist Erkundung
dieses Satzes, aber Erkunden kann nicht bloß bedenken und feststellen
heißen im Medium Film. Der Blick lernt die Welt als Äußerstes
an Oberfläche zu begreifen - und damit im Zugriff der Kamera, die
konventionell subjektive heißt, zu entmenschen. In der Generalisierung
des Subjektiven verliert sich das Subjekt, ohne dass nun im Überschlag
ins platte Gegenteil von Objektivität zu reden wäre. Übrigens
ebensowenig von Konkretion oder Abstraktion. Im Blick auf den Klang des
Sichtbaren vermitteln sich das Konkrete und das Abstrakte zu etwas Eigenem,
gerät der Gegensatz ins Schwingen, unbegrifflich greifbar, abstrakte
Materialität.
Der Titel, von Jean-Luc Nancy geborgt wie das zentrale Motiv des Films, die
Herzverpflanzung, zeigt den Schnitt in die Oberfläche an. Wulstig ist
die Narbe im Körper, die blinde Frau berührt sie, wir sehen sie
nur. Im Bild aber gelingt der Schnitt nicht, weil er nicht gelingen kann.
Man könnte vielleicht sagen: "Trouble Every Day" war die vergebliche
Übung des "Intrus", brutaler Griff ins Genrehafte, vampirischer Biss,
blutiges Schlitzen. Kein Blut in "L'intrus", im Traum noch das kalte Herz
im Schnee, ohne Blut. Das fremde Herz im fremden Körper schlägt
unsichtbar, der Wulst der Narbe ist Absage an den Blick der Kamera, die in
den Körper nicht eindringen kann, anders als der Chirurg, den wir nie
zu sehen bekommen, so wenig wie die Transplantation, die in einer Ellipse,
die sich sonst nur Träume erlauben, ausgespart bleibt, restlos.
Denis umspielt das Motiv. Der Grenzübergang des Beginns. Flüchtende
Schatten immer wieder im Dunkel des Waldes. So krude wie wagemutig schneidet
der Film am Motiv des "Intrus" den Körper und das Globale aneinander.
Weit greift er aus, hierin das Gegenstück zu "Vendredi Soir", in dem
der Blick auf den Körper ins Intime zurückläuft, aufs Intime
zuläuft. Hier wuchert er ins Weltweite. Der eigentliche Schnitt, den
Denis dabei vornimmt, ist, am Wort des Titels entlang, der durch das Gewebe
der Narration. Vieles bleibt erzählerisch unvermittelt. Der Sprung vom
Wald der Imagination zum Wald im Bild ganz zu Beginn setzt die Methode und
die Logik.
Asien, die Südsee, Jean-Luc Nancy, der Grenzübergang bei Genf,
die Herz-Transplantation, die Hunde (die vielen Hunde), der Film aus den
sechziger Jahren, das körnige Material der Stevenson-Verfilmung, das
Denis als Erinnerung in den eigenen Film transplantiert, der falsche Sohn,
all das ist voneinander nicht weiter als immer nur eine Welt, die nämlich
eines möglichen Schnitts entlang einer Assoziation entfernt. Dieses
Assoziieren, oft an den Oberflächen entlang, der Sprung von Haut zu
Haut, ist so sehr oder so wenig willkürlich wie der, den die Logik des
Erzählens vorgibt, von der hier nur Reste bleiben, Fetzen. Die Narration
gibt hier nicht Struktur, sondern treibt, wie ein Herz auf Eis, das nicht
mehr schlägt, an der Oberfläche eines Films, der mit grimmiger
Entschlossenheit den Klang des Sichtbaren vor Augen führt.
Weitere Kritiken zu Filmen von Claire Denis:
Claire Denis: Trouble Every
Day
Claire Denis: Beau Travail
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