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Claire Denis: L'Intrus  (F 2004)

 

Kritik von Ekkehard Knörer 

Eine Grenze, eine junge Frau, ein Hund, ein Drogenschmuggler. Es ist die Grenze zwischen Frankreich und der Schweiz, die junge Frau arbeitet beim Zoll, der Hund schnüffelt und Claire Denis verlässt den Schauplatz mit einem letzten Blick auf die Frau und den Hund. Darauf eine Einstellung, die zwei offene Fenster zeigt und eine Hauswand. Ein junger Mann hat zwei kleine Kinder gebadet, die Kamera dringt ein in das Haus, folgt dem Mann, der die Kinder vom einen Zimmer ins andere trägt. Die junge Frau vom Zoll kommt nach Hause, er erzählt eine Geschichte vom Wald, in dem sie sich befinden, die sie erregt, er zieht sie aus und Claire Denis verlässt den Schauplatz und schneidet unvermittelt auf Bilder eines Waldes.

Im Wald, dem selben Wald, einem anderen Wald, in einem Wald, liegt ein Mann, nackt, halbnackt, mit zwei Hunden. Er badet, er hat Schmerzen, er wird beobachtet. Wir wissen nicht, wer die Frau ist, die ihn beobachtet. Der Mann lebt im Wald, in einem Haus, eine Frau besucht ihn, sie schlafen miteinander, sie ist Apothekerin, die Kamera sucht immer wieder die Nähe zu den Körpern. Es ist Agnes Godards Kamera, die aus den Filmen von Claire Denis längst nicht mehr wegzudenken ist. Die Erkundungen ins Äußere und Äußerste der Welt, zu denen sich Denis' Filme so entschlossen entwickeln, sind Experimente eines Kamerablicks, der seinesgleichen nicht kennt. Es ist ein Blick, der in dem, was man subjektiv nennt, nun ein Stadium rasender Nüchternheit erreicht hat, im radikalen Voranschreiten einer fieberhaft sich selbst entdeckenden Kunst des anderen Blicks.

Agnes Godard und Claire Denis begreifen den Menschen und die Welt der physischen Dinge (und den Menschen als Bestandteil der Welt der physischen Dinge) als Haut, als Membran, an der sich Öffnung und Schließung ganz gleichzeitig zeigen. Geradezu ekstatisch - in aller sachkundigen Nüchternheit - wird dieser Blick im schieren Schauen, im seismischen Schauen einer Handkamera, die ganz Auge ist, vor dem die Welt zum Bild verschwimmt. Keine symbolische Bewegung der Annäherung, kein Begreifenwollen ist in diesem Blick, vielmehr ein Berührenwollen mit dem Auge, von sanftester Taktilität. Berauschend die Erstreckungen fast völliger Bedeutungsleere, das bloße Berühren, ein leises Raspeln und Rascheln auf der Netzhaut nur noch, wenn die Kamera das Meer, das Wasser einfängt, den Schnee, das Fahren, das Gleiten, das Rutschen, das Wogen des Meeres, die Textur der Wasseroberfläche, den Klang des Sichtbaren, nüchtern-ekstatische Synästhesien.

Wo es um die Oberfläche geht, wird ihre Durchdringung zum aufregendsten Rätsel, ja, zur Sensation. Die Kamera dringt in die Welt wie der Chirurg in den Körper, sagt Benjamin. Das Kino von Godard und Denis ist Erkundung dieses Satzes, aber Erkunden kann nicht bloß bedenken und feststellen heißen im Medium Film. Der Blick lernt die Welt als Äußerstes an Oberfläche zu begreifen - und damit im Zugriff der Kamera, die konventionell subjektive heißt, zu entmenschen. In der Generalisierung des Subjektiven verliert sich das Subjekt, ohne dass nun im Überschlag ins platte Gegenteil von Objektivität zu reden wäre. Übrigens ebensowenig von Konkretion oder Abstraktion. Im Blick auf den Klang des Sichtbaren vermitteln sich das Konkrete und das Abstrakte zu etwas Eigenem, gerät der Gegensatz ins Schwingen, unbegrifflich greifbar, abstrakte Materialität.

Der Titel, von Jean-Luc Nancy geborgt wie das zentrale Motiv des Films, die Herzverpflanzung, zeigt den Schnitt in die Oberfläche an. Wulstig ist die Narbe im Körper, die blinde Frau berührt sie, wir sehen sie nur. Im Bild aber gelingt der Schnitt nicht, weil er nicht gelingen kann. Man könnte vielleicht sagen: "Trouble Every Day" war die vergebliche Übung des "Intrus", brutaler Griff ins Genrehafte, vampirischer Biss, blutiges Schlitzen. Kein Blut in "L'intrus", im Traum noch das kalte Herz im Schnee, ohne Blut. Das fremde Herz im fremden Körper schlägt unsichtbar, der Wulst der Narbe ist Absage an den Blick der Kamera, die in den Körper nicht eindringen kann, anders als der Chirurg, den wir nie zu sehen bekommen, so wenig wie die Transplantation, die in einer Ellipse, die sich sonst nur Träume erlauben, ausgespart bleibt, restlos.

Denis umspielt das Motiv. Der Grenzübergang des Beginns. Flüchtende Schatten immer wieder im Dunkel des Waldes. So krude wie wagemutig schneidet der Film am Motiv des "Intrus" den Körper und das Globale aneinander. Weit greift er aus, hierin das Gegenstück zu "Vendredi Soir", in dem der Blick auf den Körper ins Intime zurückläuft, aufs Intime zuläuft. Hier wuchert er ins Weltweite. Der eigentliche Schnitt, den Denis dabei vornimmt, ist, am Wort des Titels entlang, der durch das Gewebe der Narration. Vieles bleibt erzählerisch unvermittelt. Der Sprung vom Wald der Imagination zum Wald im Bild ganz zu Beginn setzt die Methode und die Logik.

Asien, die Südsee, Jean-Luc Nancy, der Grenzübergang bei Genf, die Herz-Transplantation, die Hunde (die vielen Hunde), der Film aus den sechziger Jahren, das körnige Material der Stevenson-Verfilmung, das Denis als Erinnerung in den eigenen Film transplantiert, der falsche Sohn, all das ist voneinander nicht weiter als immer nur eine Welt, die nämlich eines möglichen Schnitts entlang einer Assoziation entfernt. Dieses Assoziieren, oft an den Oberflächen entlang, der Sprung von Haut zu Haut, ist so sehr oder so wenig willkürlich wie der, den die Logik des Erzählens vorgibt, von der hier nur Reste bleiben, Fetzen. Die Narration gibt hier nicht Struktur, sondern treibt, wie ein Herz auf Eis, das nicht mehr schlägt, an der Oberfläche eines Films, der mit grimmiger Entschlossenheit den Klang des Sichtbaren vor Augen führt.

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