Phillip Noyce: Long Walk Home  (Australien 2002)

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Phillip Noyce: Long Walk Home  (Australien 2002)
Kritik v
on Ulrike Mattern

[Image] 

Vom Bonbonladen Hollywood ins Outback Australiens

Ein Problem politischer Filme ist die mangelnde Akzeptanz durch ein breites Publikum. Die Klage über die Dominanz des Mainstream gehört zum Repertoire derjenigen, die sich im Gegenstrom des unabhängigen Kinos wohl fühlen. Auch in Australien übernimmt Hollywood die Vorherrschaft: Im Jahre 2002 starteten 258 Filme, darunter 22 einheimische Produktionen.

„As always, this is a David and Goliath Story“, bringt Kim Dalton von der Australian Film Commission das ungleiche Kräfteverhältnis im Ende Januar erschienenen Report auf den Punkt. 41,8 Millionen Dollar spielten australische Filme an der Kinokasse ein. Deutlich weniger als im Jahr zuvor, in dem die australische Produktion „Moulin Rouge!“ - in den Fox-Studios in Sydney gedreht - die Einnahmen aus dem Box Office um 27,4 Millionen auf 63,4 Millionen Dollar verbesserte. Unter den zehn erfolgreichsten Filmen in 2002 befand sich ein Außenseiter auf einem vorderen Rang: An zweiter Stelle - knapp hinter einer Komödie - platzierte sich „Rabbit-Proof Fence“ mit einem bemerkenswerten Einspielergebnis von 7,5 Millionen Dollar.

Szenenwechsel. Als das Australian Film Institute im Dezember 2002 die AFI Awards verlieh, tauchten unter den Nominierungen vier Titel immer wieder auf: „Australian Rules“ von Paul Goldman, „Beneath Clouds“ von Ivan Sen, „The Tracker“ von Rolf de Heer und „Rabbit-Proof Fence“ von Phillip Noyce. Vier Filme, die im Abstand einiger Wochen gestartet waren und sich mit politischen, das eigene Land betreffenden Themen beschäftigen: Verfolgung, Widerstand, Rassismus, Menschenrechte, Versöhnung zwischen Aborigines und „weißen“ Australiern. Ein Film, „Rabbit-Proof Fence“, fand großen Zuspruch beim Publikum und löste eine Auseinandersetzung über ein verleugnetes Kapitel der australischen Geschichte aus.

Diese Woche startet er unter dem Titel „Long Walk Home“ und widerlegt die These, dass ein politischer Film kein kommerzieller Erfolg sein kann. Von diesem zu Herzen gehenden Drama hätten die hoch bezahlten Drehbuchautoren in Hollywood geträumt: Drei kleine Mädchen werden von ihren Müttern getrennt und in ein Heim verschleppt. Sie fliehen und machen sich auf ihren langen Weg zurück nach Hause.

„Das ist eine wahre Geschichte.“ Die Flucht der drei acht- bis 14-jährigen Aborigine-Mädchen schildert Doris Pilkington in ihrem jetzt auf Deutsch vorliegenden Buch „Long Walk Home“ (Rowohlt, 7,90 Euro). Molly, die Mutter der Autorin, sowie ihre Schwestern Daisy und Gracie wurden in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts ihren Familien weggenommen.

Mehr als 60 Jahre vergingen, bis Australien sich mit diesem Teil seiner Vergangenheit auseinander setzte. 1997 veröffentliche die Kommission für Menschenrechte und Gleichberechtigung die Studie „Bringing Them Home“. Von 1910 bis 1970 hatten die Behörden Aborigine-Kinder aus Mischehen, so genannte „half-caste“, von ihren Müttern getrennt und in Heime deportiert. Ziel des staatlich legitimierten Kindsraub war die Anpassung an die Kultur der „weißen“ Australier. „Man ging damals allgemein davon aus, dass Kinder aus Mischehen intelligenter waren als reine Aborigines und man sie deshalb separieren und zu Dienstboten und Arbeitern ausbilden sollte“, schreibt Doris Pilkington in ihrem 1996 erschienen Buch „Long Walk Home“. In dem Bericht der Kommission schätzt man, dass rund 100 000 Kinder und jede Aborigine-Familie betroffen waren. Man nennt sie „Stolen Generations“.

„What if the government kidnapped your daughter?“ Hollywood weiß, wie man beim Publikum Aufmerksamkeit erregt. Als „Long Walk Home“ im letzten Jahr auf dem Filmfestival in Cannes mit dieser Schlagzeile präsentiert wurde, zeigte sich die australische Regierung verärgert. Seit dem Amtsantritt 1996 bremst die liberal-konservative Koalition unter Premierminister John Howard den Prozess der Versöhnung und verzögert die finanzielle Entschädigung der Opfer als Teil der Wiedergutmachung. Eine offizielle Entschuldigung der Regierung steht noch aus.

Eine wahre Geschichte, ein gutes Drehbuch, eine politische Debatte und ein gezieltes Marketing - der australische Regisseur Phillip Noyce zog alle Register, um das Interesse der Öffentlichkeit für seinen Film und das Thema der „Stolen Generations“ zu wecken. Dabei stand der 53-Jährige nach zwölf Jahren in Hollywood und einer Reihe von Action-Filmen wie „Die Stunde der Patrioten“ und „Das Kartell“ mit Harrison Ford oder „Der Knochenjäger“ mit Angelina Jolie nicht unter Arthouse-Verdacht. Die in den Anfangsjahren seiner Karriere in Australien gedrehten politischen Filme - wie „God knows why but it works“ (1975), „Back­roads“ (1977) oder „Newsfront“ (1978) - waren längst Geschichte.

Mit „Long Walk Home“ und der in der letzten Woche gestarteten Graham-Greene-Verfilmung „Der Stille Amerikaner“ kehrt Noyce zu seinen Wurzeln zurück. Ob Legende oder Wahrheit, im Interview nach dem Grund für die Abkehr vom Mainstream-Kino gefragt, gibt der Australier eine gewisse Übersättigung zu und vergleicht seinen Aufenthalt in Hollywood mit dem eines Kindes im Bonbongeschäft, das zu viel Süßes genascht hat.

Phillip Noyce kauft seine Süßigkeiten jetzt auf australischem Boden, aber nicht im General Store. „Long Walk Home“ profitiert von seinen Erfahrungen im „candy store“ Hollywood. Die drei Aborigine-Mädchen, nicht-professionelle Schauspielerinnen, die in einem aufwändigen Casting im ganzen Land gesucht wurden (im Making of „Following the Rabbit-Proof Fence“ dokumentiert), sind niedliche Sympathieträger. In der flirrenden Hitze der staubigen Wüste übernimmt die Ältere die Verantwortung für die beiden jüngeren Mädchen und führt sie am Kaninchenzaun (Rabbit-Proof Fence) entlang, der 1907 quer durch das Land gezogen wurde, um den Bestand der Tiere zu kontrollieren.

Wer bei der Flucht über 1500 Meilen durch das Outback bis nach Hause kein Mitleid mit diesen Kindern empfindet, müsste ein Herz aus Stein haben. Die Kamera von Christopher Doyle, bekannt durch seine Arbeiten für Regisseur Wong Kar-Wai, zieht immer wieder die Linien der ockerfarbenen Landschaft nach. Die Filmmusik von Peter Gabriel verstärkt die Spiritualität des Weges, den die drei Mädchen zurücklegen. Die Bürokraten, an vorderster Front der Schutzbeauftragte für die Aborigenes, A. O. Neville, vom britischen Schauspieler Kenneth Branagh dargestellt, werden meist aus einer Kameraeinstellung von unten, aus der Schrägen aufgenommen, was die Personen bis an die Grenze der Parodie verzerrt. Der Film ergreift Partei, und der Zuschauer folgt ihm auf seiner emotionalen Reise.

Seit den 50er-Jahren scheiterte jeder Film, der eine Geschichte über die Ureinwohner Australiens erzählte, an den Kinokassen. „Die Mainstream-Kultur Australiens hatte die Erfahrung dieser Menschen völlig abgelehnt. Nun können sie sagen: Siehst du. Es ist wirklich geschehen. Weil es im Film zu sehen ist. Von einem weißen Mann aus Hollywood gedreht. Es muss wahr sein.“ Phillip Noyce hat die Debatte über die „Stolen Generations“ in die Multiplexe getragen. David hat Goliath mit den Waffen Hollywoods geschlagen.

Links:

Australian Film Commission

Movie Map South Australia

European Network for Indigenous Australian Rights

Gesellschaft für bedrohte Völker

Literatur:

Robert Manne: The Stolen Generations. 1998, vollständiger Essay hier

Metro-Magazine No. 134, Australien 2002

Rosemary Neill: White Out. How Politics Is Killing Black Australia. Orion-Verlag London

Doris Pilkington: Long Way Home. Reinbek bei Hamburg 2003

Tom O’Regan: Australian National Cinema. Routledge: London; New York 1996

Deb Verhoeven (Hg.): Twin Peeks. Australian & New Zealand Feature Films. Damned Publishing: Melbourne 1999

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