Vom Fremdsein
Sofia Coppola hat ein Gefühl für schöne junge Frauen.
So schleckt die blonde Kirsten Dunst in der ersten Szene ihres Debütfilms
"The Virgin Suicides"* (1999) in Gedanken versunken an einem roten Wassereis
am Stiel. Mitten auf der Straße, in einem Städtchen mit ordentlichen
Vorgärten und Bürgersteigen. Sekundenlang hält die Kamera
diese Szene fest, bis das Mädchen in seinem semitransparenten rosefarbenen
Shirt selbst aus dem Bild geht.
"Lost in Translation", der zweite Film der 29-jährigen Tochter
von Regisseur Francis Ford Coppola, zeigt in der ersten Szene minutenlang
den in einem lichtdurchlässigen pinken Slip gekleideten Po der
Hauptdarstellerin Scarlett Johansson. Bei der Aufführung während
des Filmfestivals in Venedig pfeifen und johlen (männliche) Zuschauer
an dieser sich quälend in Länge ziehenden Stelle. Die leichte
Irritation ob dieser Zurschaustellung der weiblichen Kehrseite vergeht rasch.
"Lost in Translation" zeigt nicht das Erwartete, bewegt sich statt dessen
in einem Zwischenreich der Andeutungen, Begegnungen und Blicke. Zu diesem
Film ist so viel und meist Schwärmerisches geschrieben worden. Was kann
man noch hinzufügen? Vielleicht, dass man in seinem Kontext "Stupeur
et Tremblements" von Alain Corneau sehen sollte - der Film hat aber leider
bislang keinen deutschen Verleih und wurde im letzten Jahr auf dem Filmfestival
in München gezeigt - oder alternativ den Roman "Mit Staunen und Zittern"
von Amélie Nothomb (bei Diogenes), lesen sollte, die Drehbuchvorlage,
um das faszinierend Beängstigende oder sogar Abstoßende in der
japanischen Kultur aus europäischer (Frauen-)Sicht zu begreifen.
In ihrem Blick aus dem Büro- bzw. Hotelfenster auf die Skyline
von Tokio ähneln sich die unsichere Charlotte (Johansson) und die der
Willkür eines einheimischen Unternehmens ausgelieferte Amélie
(Sylvie Testud). Amélie fliegt in einem Tagtraum über die
Wolkenkratzer hinweg, Charlotte taucht in die Straßenschluchten mit
ihrem Lebensabschnittgefährten - hier macht das Wortungetüm Sinn
- Bob (Bill Murray) ein. Wie kann man zwei tieftraurige Filme machen und
den Zuschauer trotzdem dazu bringen, sich nach dem Abspann ähnlich
schwerelos zu fühlen wie die jungen blonden Luftgeschöpfe aus dem
Film?
* nach dem Roman von Jeffrey Eugenides: Die Selbstmord-Schwestern
(dtv)
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