Isabel Coixet: Mein Leben ohne mich   (Spanien 2003)

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Isabel Coixet: Mein Leben ohne mich   (Spanien 2003)

 

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Isabel Coixet: Mein Leben ohne mich   (Spanien 2003)
Kritik v
on Ulrike Mattern

 

Die Leere nach dem Film

Manche Filme sind wie Liebhaber. Man begegnet ihnen durch Zufall. Beiläufig. Auf einem Festival. Durch die Empfehlung von Freunden. In einem kleinen Kino, dessen Besitzer mit einem sensiblen Sehnerv ausgestattet sind, so dass man sich vertrauensvoll zu jedem Film niederlässt.

Im fsk in Kreuzberg traf ich Ann das erste Mal. Sie lebte in einem Kaff irgendwo in den USA. Nur wegen ihres Freundes verweilte sie dort. Dieser befand sich in Prag und teilte ihr via Telefon mit, dass er sich gerade in eine andere Frau verliebt hatte. Ann nahm’s gelassen. Lackiert sich nach dem Gespräch die Fußnägel. Dass sie dabei spontan einen Schluck aus der Flasche mit dem Lackentferner nahm, war nicht geplant. Ann überlebt den Selbstmordversuch. Sie nimmt Videotapes auf, in denen sie dem fernen Ex das erzählt, was sie ihm nie gesagt hat – eine titelgebende Episode des Films „Things I never told you“ von Regisseurin Isabel Coixet. Ihr Nachbar Paul soll die Videos versenden. Doch weil er in Ann verliebt ist, ignoriert er das Postgeheimnis und schaut sie sich heimlich an. Als Ann in einem Supermarkt ihre Lieblingseissorte kaufen will und sie vergriffen ist, bricht sie in Tränen aus. Lily Taylor, die Ann spielt, haltlos schluchzend vor den riesigen Kühlregalen, begleitet mich seitdem beim Einkauf von Eiskrem.

Ich hatte Ann fast vergessen, als dieses Jahr im Wettbewerb auf der Berlinale „My life without me“ lief. Wieder Isabel Coixet, wieder Ann. Dieses Mal in Gestalt der zerbrechlich wirkenden Schauspielerin Sarah Polley. Sie ist 23, hat zwei kleine Kinder und einen Mann ohne Job. Sie leben in einem Wohnwagen. In irgendeinem amerikanischen Kaff. Es gibt eine herabsetzende Bezeichnung auf Englisch für dieses Milieu: „White Trash“. Das sind die, die keinen tollen Job, keinen erfolgreichen Partner, kein Apartment mit Designer-Möbel haben. So wie Ann und Don. Das erste Kind mit 17, das zweite mit 19 und die diffuse Hoffnung auf eine positive Zukunft. Ann putzt mit einer Kollegin (Amanda Plummer) in der Universität. Streitet sich mit ihrer frustrierten Mutter (Deborah Harry). Der schon lange abwesende Vater sitzt im Knast (Alfred Molina). Beiläufig skizziert Coixet die Lebensumstände. Ann bricht auf der Arbeit zusammen. Ihre Mutter fährt sie ins Hospital. Ann ist verärgert, weil sie überhaupt keine Zeit hat, sich um sich selbst zu kümmern. Sie ist erst Anfang 20, und der durch seine Aufgabe verunsicherte Arzt muss ihr mitteilen, dass sie Tumore hat, inoperabel. Er bietet ihr ein Bonbon an. Zwei Monate bleiben Ann. Sie fährt nach Hause zurück. Erzählt keinem von der Krankheit und macht im Diner bei Kaffee und Kuchen eine Liste. Von den Dingen, die sie immer schon mal tun wollte. Eine Maniküre, eine Dauerwelle, einen fremden Mann spüren. In ihrem Auto nimmt sie Kassetten auf für die Geburtstage ihrer Kinder in den nächsten Jahren ohne sie. Eine für ihren Mann. Eine für ihre Mutter. Trifft ihren zukünftigen Liebhaber Lee (Mark Ruffalo) im Waschsalon und sitzt in dessen leerer Wohnung auf Bücherstapeln, erzählt den weißen Wänden und Lee von den Dingen, die sie in ihrem Leben verpasst hat. Sie sucht eine neue Frau für ihren liebevollen, aber lebensuntüchtigen Mann (Scott Speedman). Es wird die neue Nachbarin mit dem selben Namen sein, Ann (Leonor Watling, im Koma ruhende Tänzerin aus „Sprich mit ihr“ vom spanischen Regisseur Pedro Almodovar, der diesen Film produzierte).

Ann: Hast du mich beobachtet, als ich geschlafen hab?
Lee: Äh, ja. Kurz. Tut mir leid.
Ann: Wieso? Hab ich geschnarcht oder...?
Lee: Nein. Gesabbert hast du. Du, äh, du sabberst, wenn du schläfst.“

Als im Kino International nach der Aufführung von „My life without me“ die Lichter angehen, zieht der Zuschauer vor mir sein Sweatshirt hoch und trocknet damit seine Tränen ab. Ich habe ein Verhältnis mit Isabel Coixet, die auf der Bühne steht und ihren Film nicht erklären kann, weil er für sich spricht. Die Regisseurin weiß nichts von meiner Liebe. Der Applaus will nicht enden. Ihr Film hat keinen Bären gewonnen. Aber er kommt jetzt in die Kinos. Ich lasse mich in jedem Film nieder, den Isabel Coixet in den nächsten Jahren macht. Ihre Leere nach diesem Film sei „sehr, sehr groß“ gewesen, erzählt sie. Meine auch, und doch so erfüllt, wie nach der Begegnung mit einem flüchtigen Liebhaber, der durch besondere Aufmerksamkeit die eigenen Sinne schärfte.

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