Hochzeitsvorbereitungen in der Stadt. Der Schauplatz ist Delhi, die
Ehe ist arrangiert, die Verhältnisse sind verwickelt. Die Braut
nämlich, um damit zu beginnen, liebt einen anderen, einen Fernsehstar,
in dessen Sendung vehement ein Streit zwischen indischen Kulturpatrioten
und Freunden des Westens (und das heißt, natürlich, Amerikas)
ausgetragen wird. Das ist kein Zufall, auch der Bräutigam lebt seit
vier Jahren in den USA, Houston, und kommt nun zurück in die Heimat,
um die von den Eltern arrangierte Ehe einzugehen. Um, also, seine Braut auch
mal kennenzulernen. Diesen Schritt in die Tradition macht er, die Ironie
ist nicht zu übersehen, obgleich das nur kurz angedeutet wird, weil
eine indische Jungfrau den mit allen sexuellen Wassern gewaschenen
Amerikanerinnen vorzuziehen ist. So kann man sich irren.
Die Familie und ihre engere und weitere Verwandtschaft, die Mira Nair
in diesem Film vorstellt, lebt an der vordersten Front der Verwestlichung
der indischen Gesellschaft, so viel lässt sich auch ohne nähere
soziologische Kenntnis der gegenwärtigen Verhältnisse sagen. Handys
klingeln, man liest Cosmopolitan, der Vater spielt Golf vor der Stadt, man
sieht die Hochhäuser von Delhi im Hintergrund. Auf dem Nachttisch liegt,
als kultureller Reimport eines fremden Blicks, V.S. Naipauls Buch
India. Noch die Dienstbotin spricht über Email und die Mutter
des extra bestellten Hochzeits-Impresarios verfolgt in ihrer kümmerlichen
Wohnung die aktuellen Börsennotierungen. Zugleich sind die Wurzeln der
indischen Herkunft keineswegs verkümmert, die Hochzeit wird ein rauschendes
indisches Fest und gerade die traditionellen Farben und Kleider scheinen
(um ein weniges, dessen Härte nicht zu ermessen ist) mehr als nur noch
symbolisch. Man geht reflektiert und spielerisch mit den Vorschriften der
Tradition um, aber weiß darf das Zelt nicht sein und der Wechsel in
die traditionelle Kleidung geschieht wie von selbst. Die Frauen bemalen die
Hände der Braut mit typischem Henna-Schmuck, die Männer werden
erst am Eindringen gehindert, hier erweist sich diese Trennung, die man sich
als einst strikte vorstellt, jedoch nur noch als Zitat. Ohne dass Spannung
entsteht, setzen sich die Männer dann einfach dazu.
Kaum etwas an den Geschichten, die der Film erzählt, verweist
nicht auf diesen Hybrid- und Mischzustand. Es gibt hier keine Oppositionen
mehr, keine klaren Alternativen (wie noch in der so als ideologisch kenntlich
werdenden Fernsehdiskussion): alle Beteiligten sind, mehr oder weniger, aber
stets schon mit Haut und Haar Inder und Amerikaner zugleich. Mitten im Satz
wechselt man vom Englischen zu Hindi und wieder zurück, nicht nur wimmelt
es auf dem Fest von NRIs (Non Residential Indians), also Indern, die Indien
verlassen haben, auch die Nichte des Familienvaters, der denkbar
unpatriarchalisch auftritt, will zum Creative-Writing-Studium in die USA.
Im Film wird dieser Doppelcharakter ohne allen Zwang, ja ohne allen
sichtbar werdenden Saum, zur Form. Die Handkamera wieselt durch die
Festvorbereitungen und das Fest ganz im neueren Dogma-Stil, die Vielzahl
der Geschichten und ihre Verknüpfung in Zeit- und Ortssprüngen,
auch in Parallelmontagen, erinnert an Robert Altman. Das realistische Spiel
wird, aber meist nur noch kurz und zitathaft, zäsuriert von (intradiegetisch
eingefangenen!) an Bollywood gemahnenden Song-and-Dance-Szenen oder
ihren Äquivalenten: etwa einer Zeitlupenaufnahme des verliebten Dubey.
Wenn es zum Kuss kommt, der im Bollywood-Kino nicht gezeigt werden darf,
setzt bezeichnenderweise das einzige Mal in diesem von indischer Musik
durchdrungenen Film orchestraler Hollywood-Streicherklang ein. Insbesondere
der soziale Realismus, auf den Monsoon Wedding durchaus aus ist -
Mira Nair hat als Regisseurin von Dokumentarfilmen begonnen -, hat jedoch
keine einzige scharfe Kante mehr. Diese Abrundung geschieht durch den
Überzug mit dem Plüsch und Samt von Bollywood. Die Figuren beginnen
ihr filmisches Dasein als Klischees aus dem Bollywood-Film, werden - im Rahmen
des in der Vielzahl der Geschichten Möglichen - angetieft, wenn man
so sagen darf.
Abgründe werden sichtbar: der nette Onkel, erfährt man (und
hier steht auf seine so ganz andere Art Vinterbergs
Festen fraglos im
Hintergrund), hat kinderschänderische Neigungen. Die Tragödie jedoch
spuckt der Film unverlogen wieder aus. Er will sehr entschieden die
Versöhnung. Wie es in den europäischen Komödien des 17. und
18. Jahrhunderts Tradition ist , erfährt die Semitragödie der hohen
Stände ihre semikomödische Spiegelung auf der Dienstbotenebene
(über diesen parallelen Umgang mit Herrschaftsverhältnissen sollte
man vielleicht einmal länger nachdenken). So werden Standesunterschiede
(als Kasten-Rest im aufgeklärten wohlhabenden Delhi-Alltag) markiert
und im Zeichen der Versöhnung zu guter Letzt aufgehoben. Der Tanz des
Hochzeitsfestes erträumt sich eine utopische Einheit: von oben und unten,
von der Tradition mehr oder weniger entfremdeten Mitgliedern der Familie.
Und zwar im Song and Dance von Bollywood. Im raffinierten Einsatz der
verschiedenen Register, den Monsoon Wedding fast zur eigenen, den
Code zur Entzifferung gleich mitliefernden Sprache entwickelt, ist jedoch
der utopische Charakter genau dadurch klar markiert: das Register ist nicht
die Beschreibung, sondern der phantastische Traum. Und Monsoon Wedding
träumt diesen Traum sehr schön.
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