Clint Eastwood: Mystic River (USA 2003)

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Clint Eastwood: Mystic River (USA 2003)

"Die Psyche des Menschen ist ein englisches Landhaus."

Kritik zu Dennis Lehanes zugrunde liegendem Roman "Spur der Wölfe" von Ekkehard Knörer

 

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Clint Eastwood: Mystic River (USA 2003)
Kritik v
on Ulrike Mattern

 [Image]

Am matschigen Flussufer

Filme haben ein Geschlecht. Dieser ist männlich. Er riecht nach Aftershave. Nach Tabak und dem Alkohol, den Jimmy (Sean Penn) neben anderem in seinem kleinen Drugstore an einer Straßenecke im Arbeiterviertel von Boston vertickt. Und nach Furcht, als zwei Jungen einen dritten in ein fremdes Auto einsteigen lassen.

"Mystic River", der neue Film von Regisseur Clint Eastwood nach dem Roman "Spur der Wölfe" von Dennis Lehane, beginnt mit dieser Episode aus der Vergangenheit. Drei Jungen vertreiben sich ihre Langeweile auf einer Straße in ihrem Wohnviertel. Sie schreiben an diesem Nachmittag mit den Spitzen ihrer Hockeyschläger ihre Namen in frischen Beton. Eine Lappalie. Die beiden Männer, die in ihrem schwarzen Wagen anhalten, eine Polizeimarke und Handschellen zeigen, geben sich als Autorität aus. Bezichtigen die drei der Zerstörung öffentlichen Eigentums und fordern eine Bestrafung.

Den einen Jungen, den sie vorgeblich mitnehmen, um ein paar Takte mit seinen Eltern zu reden, und der seinen Freunden von der Rückbank aus verzweifelt nachblickt, entführen sie und missbrauchen ihn tagelang in einem Kellerloch im Wald. Bis ihm die Flucht glückt. Ein Trauma, an dem das Opfer zerbricht und mit dem es trotzdem weiter leben muss.

Tim Robbins spielt diesen Überlebenden, Dave Boyle, als zerstörte Existenz im Alter. Er hat Familie: eine Frau, einen kleinen Sohn. Mit schlurfendem Schritt und hängenden Schultern begleitet er ihn jeden Tag zum Schulbus, spielt mit ihm Baseball im abgezirkelten Hinterhof. Die Freunde aus Jugendtagen haben nie über das Ereignis der Vergangenheit gesprochen. Obwohl alle weiter im selben Stadtteil wohnen. Sie gehen sich aus dem Weg, bis ein Mord sie 25 Jahre später zusammenführt.

Sean Penn, einer von ihnen, ist in der Gegenwart, in der der Film über zwei Stunden zumeist spielt, ein solide gewordener Gangster. Er ist Vater von drei Töchtern und in zweiter Ehe mit Annabeth (Laura Linney), der Kusine von Boyles Frau Celeste (Marcia Gay Harden), verheiratet. Als eines seiner Mädchen in der Kirche zur Kommunion geht, wird zeitgleich die Älteste ermordet in einem verlassenen Bärenkäfig aufgefunden. Ermittler in dem Fall ist Sean Devine (Kevin Bacon), der Dritte aus der alten Clique. Als ihn sein Kollege Whitey Powers (Laurence Fishburne) nach seinem Verhältnis zum Vater des Opfers befragt, sagt er beiläufig: Man grüßt sich auf der Straße. Eine Untertreibung, wie sich herausstellt.

Alle drei Männer sind Nomaden, die sich in ihrer zerbrechlichen Existenz häuslich eingerichtet haben, ohne darin heimisch zu werden. "Manchmal denke ich, wir wären alle in das Auto eingestiegen", skizziert einer von ihnen die verbindende destruktive Lebenslinie, als ein Ende bereits gekappt ist. Alle drei haben Ehefrauen, deren eigene Bedürfnisse von dem männlich kodierten Raum, der ihre Familien umschließt, absorbiert werden. Opfernd, schützend, verstummt - die Frauen bilden ein Schreckenskabinett weiblicher Identitäten: Celeste interpretiert die Blutspuren an ihrem Mann falsch, weil sie sich nicht mit seiner Geschichte auseinander setzt. Annabeth will ihre Familie schützen und ist von der Unfehlbarkeit ihres Gatten überzeugt. Lauren verlässt ihren Mann trotz Schwangerschaft und überbringt ihm in zahlreichen Anrufen auf dem Handy keine Botschaft. Von ihr sieht man lange Zeit nicht mehr als die rote Lippen an einem Telefonhörer, der schnell wieder aufgelegt wird.

Diese Schauerballade, dieser amerikanische Albtraum von den Fremden, die das Idyll aufmischen und sich an Unschuldigen vergehen, verlangt nach Vergeltung - und einer Moral. In der Darstellung der Rache, die Selbstjustiz ist, entfaltet sich die Moritat ahnsehnlich wie das Stillleben eines italienischen Malers in Chiaroscuro, Helldunkel: akzentuiert ausgeleuchtet, begnadet ausgestattet und auf altmodische Weise auf die Leinwand aufgetragen. Ohne die dauernd klingelnden Handys würde man nicht annehmen, dass dies eine moderne Geschichte sei, stellte ein Kritiker in der englischen Filmzeitschrift "Sight and Sound" fest. Eine Nostalgie-Wolke wabert über diesen Film, der in seiner unverdrossenen Zurschaustellung von Männlichkeit und reaktiver Weiblichkeit das Gesetz des Genres erfüllt und folglich nicht neu interpretiert. Doch wo bleibt die Moral?

Ein anderer Film, der ähnlich retrospektiv an sein Drama heranführt, ist "Sleepers" (1996) von Barry Levinson. Vier Jungen kommen durch einen Streich, bei dem ein Mann getötet wird, ins Gefängnis. Dort werden sie von dem Aufseher - Kevin Bacon - vergewaltigt. Jahre später rächen sie sich an ihrem Peiniger. So trifft man sich wieder in der Furcht. Doch im Gegensatz zu "Mystic River" kennt der weniger gelungen inszenierte und in seiner Handlung stark konstruierte Film "Sleepers" nur einen schalen juristischen Sieg, aber keine Erlösung für die Täter. Bei Clint Eastwood sieht es in den beiden letzten Szenen nach einem hart erarbeiteten Happy End für zwei seiner Protagonisten aus.

Mit entblößtem Oberkörper, auf dessen Rücken ein überdimensionales Kreuz tätowiert ist, steht Jimmy am Schlafzimmerfenster seines Hauses und blickt auf die Straße. Eine Leidensgestalt im Unrecht. Er hat den falschen Mann umgebracht, der ihm von seiner Schwägerin auf einem Tablett serviert wurde. Seine Frau hält weiter zu ihm und spricht ihn von aller Schuld frei. Er sei der König, der über Recht und Unrecht entscheide. In seinem Körper schlagen die Herzen aller vier Familienmitglieder. Die hingebungsvolle Annabeth wäscht den Mörder im Liebesakt rein. "We bury our sins, we wash them clean", die Tagline zum Film passt zur Szene.

Später steht das Paar Seite an Seite vor seinem Haus, an dem eine Parade vorbeizieht. Die verrückt gewordene Verräterin an ihrem eigenen Mann, dessen Körper nun im Mystic River, dem Fluss von Boston, schwimmt - erneut ein Symbol für den Prozess der Reinwaschung -, wandert verwirrt durch die Menschengruppen. Celeste versucht, den verwaisten Sohn durch Winken zu trösten, der auf einem der Wagen traurig mit seinem leeren Baseballhandschuh spielt. Lauren, die sprachlose Frau vom Telefon, ist mit ihrer neu geborenen Tochter zu ihrem Mann zurückgekehrt. Sowohl das Motiv für ihre vorübergehende Trennung als auch die Versöhnung, die zeitgleich mit der Aufklärung des Mordes an Jimmys Tochter zusammenfällt, bleiben unklar. Das Ehepaar verfolgt gemeinsam mit ihrem Kind die Parade.

Zwei Kleinfamilien gerettet, eine zerstört. In der Summe erinnert das an eine griechische Tragödie und wirkt durch das offene Ende, das keine Bestrafung des Täter andeutet, verstörend unmoralisch. Wenn Männlichkeit und Furcht in einem Film von Clint Eastwood zusammentreffen, werden die Konflikte nicht am runden Tisch gelöst, sondern wie in der guten alten Zeit am matschigen Flussufer erledigt.

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