Der schöne Schein
In Nackt - einer von zwei deutschen Wettbewerbsbeiträgen
auf dem diesjährigen Filmfestival in Venedig - von Regisseurin Doris
Dörrie entledigen sich einige Schauspieler ihrer Kleidung und machen
bei Peking-Ente mit Melone Seelenstriptease.
Drei Paare, drei Lebensstile, drei Beziehungsphasen: Emilia (Heike
Makatsch) haust frustriert in einer muffigen Wohnung mit rotem Gummiboot
und schläft im Zelt. Ihre Klamotten hängen auf von Wand zu Wand
gespannten Drahtseilen. Sie hat gerade mit Felix (Benno Fürmann), einem
zynischen Loser, Schluss gemacht. Charlotte (Nina Hoss) und Dylan (Mehmet
Kurtulus), mit einer Erfindung rund ums Katzenklo reich geworden, residieren
in einem aseptisch eingerichteten Loft. In ihrer Beziehung kriselt es. Annette
(Alexandra Maria Lara) und Boris (Jürgen Vogel) haben es sich in einer
poppigen Mixtur aus Ikea- und Habitat-Möbeln gemütlich gemacht
und lieben sich noch immer. Alle sechs sind seit langem befreundet. Bei einem
gemeinsamen Essen erzählt Emilia, dass Paare, die seit Jahren zusammenleben,
bei geschlossenen Augen den Partner nicht identifizieren können. Ich
würde meine Frau erkennen. Jede Wette, reagieren Boris und Dylan
selbstgefällig. Das Experiment startet. Die Hüllen fallen, doch
die Problemzonen der Liebe verschwinden auch mit verbundenen Augen
nicht.
Für ihren letzten Film Erleuchtung garantiert reiste
Doris Dörrie mit reduzierter technischer Ausstattung nach Japan und
drehte mit Digital-Videokamera. Nackt füllt in Cinemascope
die Leinwand in ihrer Breite und fällt durch extreme Formstrenge in
der Bildkomposition, der Ausstattung und den Kostümen angenehm auf.
Durchbrochen wird die kühle Textur mit kräftigen Farben und verspielten
Elementen: jazziger Filmmusik der Münchener Band Liquid Loop,
Chansoneinlagen einiger Schauspieler und an Pointen reiche Dialoge.
Letztere sind aber zugleich das Problem des Films, der als wortschweres
Kammerspiel über 90 Minuten nicht funktioniert. Basierend auf dem Drama
Happy von Doris Dörrie rufen Sätze wie Du hast
Speck auf der Seele oder Die Sendung mit der Maus hat uns
umgebracht spontane Lacher hervor, bleiben aber eindimensional und
in ihrer Aneinanderreihung letztlich banal. Es ist nicht spannend, sechs
Menschen dabei zuzuhören, wie sie in sprachlichen Endlosschleifen um
die eigene Identität und den Partner kreisen. Die aufkommende Langeweile
können auch Papiertüten auf dem Kopf hoch bezahlter Schauspieler
oder der bereits erwähnte Striptease im Rahmen der Wette nicht ausgleichen.
In diesem Sinne kann man es mit dem Märchen von des Kaisers neuen Kleidern
halten: Der Film ist nackt und tut so, als sei mehr an ihm als vorhanden
ist.
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