Shakespeares Othello ist ein Stück übers Gift,
das sich Menschen ins Ohr träufeln und seine Wirkungen. Das Gift sind
Worte, die mehr sind als nur Worte, nämlich Taten. Jago, der in der
Transposition in Film und Jetztzeit, die Tim Blake Nelson vorgenommen hat,
Hugo heißt, ist ein raffinierter Sprengmeister, der - wenngleich nicht
bis zum Schluss - genau weiß, wo und wann er welche Wort-Sprengsätze
zünden muss, um die erwünschte Wirkung zu erzielen.
Die besondere Schwierigkeit jeder das Geschehen ins Zeitgenössische
verlegenden Umsetzung des Stücks liegt in einer im Vergleich zum
Üblichen noch einmal verstärkten Historizität der Geschehnisse:
Was unter den Bedingungen der Sitten und Gebräuche, der zwischenmenschlichen
Erwartungsverhältnisse des elisabethanischen Zeitalters Wort-Usus und
Reaktionsmuster gewesen ist und von daher im historischen Stück insbesondere
psychologisch plausibel, wird es heutig vielleicht nicht sein. Schon weil,
unter den anderen Rezeptions- und Traditionskonventionen filmischer Darstellung,
bereits der Begriff von psychologischer Plausibilität ein gänzlich
anderer sein dürfte.
Zwischen Treue gegenüber der "Vorlage" und eigenmächtiger
Umarbeitung, die Treue womöglich gerade durch Verfremdung und Verschiebung
herstellt, liegt also ein denkbar schmaler Grat (Baz Luhrmans
"Romeo-und-Julia"-Verfilmung etwa macht sich da, trotz Beibehaltung des
Originaltexts, kaum Gedanken. Ja, recht eigentlich ist gerade die Beibehaltung
der Beweis für diese fröhliche Bedenkenlosigkeit). Dass dieser
schmale Grat jedoch gangbar ist, belegt Tim Blake Nelsons insgesamt erstaunlich
schlüssiger Versuch, die Geschehnisse von Venedig in die USA, von der
Politik ins Highschool-Milieu und vom 16. ins 21. Jahrhundert zu verlegen.
Othello ist nun Odin, nicht mehr der erfolgreiche General, sondern der Star
des Basketball-Teams einer fast ausschließlich weißen all
American Highschool. Hugos Motiv, und es wird klar herausgearbeitet,
ist die Eifersucht des Sohns, dessen Vater als Basketballtrainer ("The Duke")
Odin vorzuziehen scheint. Das ist natürlich eine problematische,
vereinfachende Psychologisierung - aber, auf gewiss nicht sehr reflektierte
Weise, typisch für die Art, wie sich Hollywood Menschen denkt und so
Symptom der sehr richtigen Idee, dass es mehr als nur die Schauplätze
zu verändern gilt.
In viel stärkerer Weise noch als in Othello wird die
Geschichte auf die Tatsache zugespitzt, dass Odin ein Schwarzer unter
Weißen ist. Der Umgang mit Worten, der einerseits als politisch korrekter
thematisiert, andererseits im Black English von O, aber auch den
zitierenden Übernahmen der anderen vorgeführt wird, hat zur Kehrseite
den blanken - selbst wortlosen - Hass Hugos, der sich auch an das Schwarz-Sein
heftet. Ausgesprochen und unausgesprochen ist Odins Hautfarbe immer Thema.
So ist Hugos intrigantes Publikmachen der Tatsache, dass der Schwarze die
Weiße vögelt, der erste, genau platzierte Keil zwischen Vater
und Tochter, damit aber auch schon zwischen Desi und Odin. Die Insinuation
des Unbeherrschten und Gewalttätigen sitzt, da sie allen Vorurteilen
gerecht wird, tief und wird, hier gehen Hugos vertrackte Psycho-Berechnungen
restlos auf, zur self fulfilling prophecy. So mutig wie klug ist es von Drehbuch
und Regie, den ersten Höhepunkt der Eifersucht Odins punktgenau ins
Bett zu verlegen, die Zivilisiertheit der Verhältnisse also in genau
jenen sexuellen Gewaltakt umschlagen zu lassen, der von Hugo zu Beginn
unterstellt wurde.
Hugos Meisterschaft im Umgang mit Worten als unmittelbare Wirkungen
zeitigenden Taten ist indes vor allem deshalb so effektiv, weil er über
lange Zeit die Kontrolle über das, was die Sprechakttheorie Perlokution
nennt, behält: die gerade nicht unmittelbaren Wirkungen der Worte. Der
nächste und der übernächste Zug ist in dieser Form von Schach
mit einer ganzen Reihe von Figuren stets mit einberechnet, die Ereignisse
rasen, auch durch den geschickten Einsatz von Schein-Evidenzen wie etwa dem
geschickt von hier nach da verschobenen Tuch, auf das von Hugo voraus geplante
Ende zu. Erst als er genötigt wird, statt weiter das Gift, das seine
Worte sind, in die Ohren der Betrogenen zu träufeln, sich selbst die
Hände schmutzig zu machen, läuft alles aus dem Ruder: die in Gang
gesetzten Reaktionen, an denen Hugo bei laufender Entwicklung stets noch
verbal vermittelte Feineinstellungen vorgenommen hat, laufen auf vielfachen
Tod hinaus. O, der sich zur Schuld hat verführen lassen, mobilisiert
alles Pathos, um als Gegengift zu den Ereignissen eine Rede zu halten, die
alles an den rechten Platz rückt: diese Rede richtet sich an die Mitwelt
wie die Nachwelt und pocht, im geraden Gegensatz zu Hugos strategischem Einsatz
von Worten, darauf, dass, was sie sagt, als Wahrheit und bare Münze
zu nehmen ist. Sie wird so zur Apotheose genau der Naivität, die O erst
zum Opfer werden ließ. Dass darauf noch einmal Hugo das Wort bekommt,
ist eine der wenigen Dummheiten des Films.
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