Ein Meerschweinchen schwebt vom Himmel. Sicher befestigt in seinem
Fallschirm. Zärtlich nimmt ein Mann es in seine Hände. Dieser Mann
ist Polizist und heißt Laxe (Andreas Schmidt). Er wohnt und arbeitet
im Berliner Märkischen Viertel. Freundlich und charmant grüßt
er Passanten, betritt einen Supermarkt und gibt seiner dort arbeitenden Frau
Manuela (Kirsten Block) einen liebevollen Begrüßungskuss. Gemeinsam
streifen sie durch die Regale und kaufen ein. Der rosafarbene Sonnenschirm
gefällt Manuela besonders gut. Einen gelben Schirm packt Laxe in den
Einkaufswagen. Und befiehlt ihr bei den Weingläsern, diese doch bitte
wieder hinzustellen. Aber sofort. Sonst würden sie wohlmöglich
zerbrechen. Seine Mimik versteinert endgültig, als ein Kollege Manuelas
sie freundschaftlich umarmt und den beiden einen Wein aus der gemeinsamen
Heimat empfiehlt. So wird er eingeführt in die Geschichte: Laxe, der
Mann mit den zwei Gesichtern. Der lächelnde Freund und Helfer, der kurz
darauf laut alte Fotze schreiend in seinem Auto sitzen
wird.
Der in Berlin lebende irische Regisseur Eoin Moore hat einen Spielfilm
über Gewalt gedreht. Über häusliche Gewalt. Über einen
Mann, der seine Frau verprügelt. Nichts Neues erzählt Moore mit
der Geschichte von einem Täter, der früher selber Opfer war. Nur
der Blick auf die Täterperson ist ein anderer. Die Geschichte wird aus
der Perspektive des Täters erzählt. Ohne diesen jedoch zu beschuldigen
oder zu entlasten. Er zeigt einen Mann, dem Gewalt so selbstverständlich
ist, dass er sie niemals als solche definieren würde. Passiert sie doch
unter dem Deckmantel der Liebe und Fürsorge, zwangsläufig,
alltäglich und ohne Schuldgefühle. Der Film dokumentiert unter
dem nichts beschönigenden Auge der DV-Kamera von Kameramann Bernd
Löhr, die verirrten, ausweglosen, verzweifelten und unreflektierten
Gefühlswelten eines seelisch verkrüppelten Menschen.
Seine Kindheit verbrachte Laxe mit einem prügelnden Vater. Seine
Mutter und sein jüngerer Bruder Walter (Thomas Morris) verließen
früh den Hort der Gewalt, Laxe blieb beim Vater im Märkischen Viertel.
Walter lebt heute als Aussteiger in San Fransisco. Im Gegensatz zu seinem
Bruder wirkt er ruhig und ausgeglichen. Er hat sich eine Wahlfamilie gesucht,
mit der er in einer Wohngemeinschaft zusammenlebt. Walter ist Schriftsteller
und verarbeitet seine traumatischen Erfahrungen in Texten, die er beim Open
Mike / Poetry Slam expressiv vorträgt. Bei ihm sucht Laxe zuflucht,
nachdem er seine Frau mal wieder krankenhausreif geschlagen hat und deswegen
vom Polizeidienst suspendiert wurde. Er muss mal in seinem Kopf was
für sich klären, sagt er. In San Fransisco trifft er auf
Menschen, die das Weltbild einer im Berliner Märkischen Hochhausviertel
sozialisierten Person sprengen. Es ist ein San Fransisco der Aussteiger und
Andersdenkenden. Doch Laxe bleibt zunächst Beobachter und folgt stur
seinen eigenen Verhaltensmustern. In der Wohngemeinschaft seines Bruders
begegnet Laxe der jungen Deutschen Inga (Laura Tonke). Laxe verliebt sich
in die Frau mit dem anderen Lebensstil - und erhält eine zweite
Chance.
Andreas Schmidt spielt Laxe mit einer überwältigenden Hingabe
und Überzeugung. Überzeugend in seinem Charme oder in seiner
Zwanghaftigkeit, Ordnung ins Leben und das Leben anderer zu bringen,
überzeugend im Kampf mit sich selber und im Verlieren des Kampfes. Seine
Qual ist Laxe anzusehen, wenn er kurz vor einem Wutanfall steht: das angespannte
Gesicht, plötzliche unflätige Wortkaskaden, krampfende Hände.
Kameraführung, Schnitt und Stimmen aus dem Off untersteichen die
Ausbrüche und lassen sie wie einen Gewalttaumel erscheinen. Die Szenen
erscheinen entrückt durch Zeitsprünge. Bild und Ton verlaufen
asynchron. Die Gewaltszenen sind so inszeniert, dass sie Laxe nicht als
gewaltgeilen Typen darstellen, sondern als jemanden, der keinen freien Willen
mehr über sein Handeln hat.
Die Rolle des Laxe ist für Andreas Schmidt die dritte Hauptrolle
in den Spielfilmen von Eoin Moore. Mit ihm schuf Moore drei
Persönlichkeiten auf der Schattenseite des Lebens - in der Namensgebung
den Regeln des Anagramms folgend: als Alex in seinem mit Preisen ausgezeichneten
Abschlussfilm für die dffb plus-minus null, als Axel in
Conorama - und nun als Laxe in pigs will fly. Bei seiner
Uraufführung auf den Hofer Filmfesttagen sorgte der Film für
unterschiedliche Reaktionen beim Publikum: die Zuschauer reagierten entweder
mitgerissen enthusiastisch oder skeptisch distanziert.
Pigs will fly ist ein ausgezeichnet gespielter Film mit
einem bekannten Thema, aber interessant-spannendem Blick auf die
Gefühlswelten eines Mannes, der auf der Reise zu sich selbst auf dem
schmalen Grat zwischen Sehnsucht, Liebe und Gewalt wandelt. Der Blick auf
die weiblichen Figuren nötigt dem Publikum ein gewaltiges Maß
an Geduld ab. Werden die Frauen doch als immerzu liebende Personen gezeigt,
die eine starke Hand zu brauchen scheinen. Es ist kaum zu ertragen, wenn
beispielsweise die grün und blau geschlagene Manuela immer noch ein
liebevolles Ich liebe dich für Laxe übrig hat. Doch
zum Glück verweilen die Frauen nicht in ihren Opferrollen, sondern ergreifen
die Chance sich zu emanzipieren. Aber lange muss das Publikum darauf warten,
fast so lange, wie es wirklich braucht, sich aus Gewaltsituationen zu befreien.
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