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Jacques Doillon: Raja (F 2003)
Kritik von Ekkehard Knörer

 

"Raja" erzaehlt von einer zum Scheitern verurteilten Liebe. Der Weg, der zu diesem Scheitern fuehrt, als einer, der nicht vorhersehbar ist, wenn auch, wie man hinterher wird sagen koennen, nur zu konsequent, diesen Weg Millimeter fuer Millimeter auszumessen, das ist es, was sich Jacques Doillon vorgenommen hat, was er mit aller Unerbittlichkeit dann auch unternimmt.

Die Ausgangsposition in diesem bitteren Spiel: Ein Franzose, Mitte 40, Besitzer eines grossen Hauses in Marokko, mehr erfaehrt man fast nicht. Und Raja, 20 Jahre alt, ein Waise mit einem Bruder, der ihre Verheiratung laengst geplant hat, mit einem Geliebten, der sie ausbeutet. Sie verdient ihr Geld als Gelegenheitsprostituierte und mit Jobs wie dem, den sie jetzt angenommen hat: als Hilfsarbeiterin im Garten des reichen Franzosen.

Sein Blick faellt auf sie, er flirtet, sofort, er beschliesst, sofort, es auf sie abgesehen zu haben. Das Projektive dieser impromptu beschlossenen Liebe liegt auf der Hand, der Blickkontakt ist die einzig direkte Verbindung, die zwischen den beiden moeglich ist. Und die Direktheit wie die Verbindung: sie taeuschen. Faszinierend, wie Doillon die Sprachbarriere zwischen den beiden immer aufs Neue ins Spiel bringt. Sie kann kaum Franzoesisch, er kaum Arabisch, es gibt wohl und uebel wollende Uebersetzerinnen, es scheint gelegentlich die Moeglichkeit auf, dass das programmierte Missverstehen, das aneinander Vorbeireden, zu einem ganz neuen Code des Flirtens, des Erfindens des Anderen als aufregend Unbekannten fuehren koennte; allein: wo sich im einen Moment Wege, Auswege zu oeffnen scheinen, ist im naechsten eine Sackgasse. Das ist das Prinzip des Films, der keine Gelegenheit zum Eroeffnen dieser Sackgassen auslaesst.

Er wechselt dabei, den Horizont seiner Figuren ueberschreitend, die Perspektive, zeigt sie im Kreise ihrer Freundinnen, laesst sie eine Zukunft imaginieren, in der der Franzose als Weg zu Reichtum und Glueck auftaucht, nicht als Person. Zeigt ihn, den ganzen westlichen Diskurs des Liebens als blosser Sex, dann als Projektion, Verkennung, Passion ausmessend, durchaus auch vor Raja, die ihn nicht versteht. Und umgekehrt: Raja im Kreise ihrer Freundinnen, Strategien entwerfend, den anderen als anwesend Abwesenden begreifend. Der Film kennt keinen andere Standpunkt als diese beiden, ihren, seinen. Und dieser Standpunkt, ihrer, seiner, ist im Prozess staendiger Verschiebung begriffen, eines Fragens auch danach, ob dem anderen zu trauen ist. Und ob man sich selbst trauen kann. Beide wissen, nachdem sie sich auf das Wagnis dieses Missverstaendnisses eingelassen haben, immer wieder nicht mehr, wo sie stehen, was sie wollen. Eroeffnung von Sackgassen.

Medium dieser Liebe zwischen dem Herrn und der Dienerin, dem Kolonialherren und der Kolonialisierten, ist, nur zu konsequent und das ist der brillanteste, der bitterste und der ueberzeugendste Zug des Films: das Geld. Als Unterstellung regiert die Praesupposition das Verhaeltnis der beiden, es gehe nur ums Geld. Nur um Sex. Den Tausch von Geld gegen Sex. Bald instrumentalisiert Raja diese Unterstellung, als Strategie fuer ihr Glueck, das sie so machen will. In diesen Instrumentalisierungen aber ist immer schon ein weiterer Schritt gemacht, der das, was fuer das Verhaeltnis zwischen den beiden wahr zu sein scheint, zur Luege macht. Raja und der Franzose reden nicht nur immerzu und mit Notwendigkeit aneinander vorbei, sie tun es auch auf jede erdenkliche Weise.

Das Grandiose an Doillons Film ist: Nichts wird klarer im Fortgang. Die Moeglichkeiten des Missverstehens potenzieren sich. Es gibt Ahnungen aufrichtigen Glaubens, dass es doch gut ausgehen koennte zwischen beiden, sie verlieren sich in der naechsten strategischen Wendung. Was der eine aufrichtig meint versteht der andere als Luege. Vielleicht, denn wir haben nie einen privilegierten Zugang zur Wahrheit, es bleibt, fuer uns wie fuer die beiden Hauptfiguren, eine Sache der staendigen Rekonstruktion dessen, was gerade vorgefallen sein koennte. Der Prozess des Films ist das Prozessieren dieses unendlichen Rekonstruktionsprozesses von Verstehen auf dem hohen Grat des Unwahrscheinlichkeitsaggregats, das Liebe heisst.

Das ist von einem Grad der Abstraktion, keine Sekunde waeren die Macht-, Geld-, Geschlechter-, Kolonialverhaeltnisse nicht im Spiel. Doillon aber konterkariert die Abstraktion durch die genaueste Aufmerksamkeit fuer jede Geste seiner Darsteller, vor allem Laiendarstellerin der Raja: wie die Konkretion und die Abstraktion hier im und als Missverstehen zueinander finden und passen, das ist ein wahres Wunder.

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