"Raja" erzaehlt von einer zum Scheitern verurteilten Liebe. Der
Weg, der zu diesem Scheitern fuehrt, als einer, der nicht vorhersehbar ist,
wenn auch, wie man hinterher wird sagen koennen, nur zu konsequent, diesen
Weg Millimeter fuer Millimeter auszumessen, das ist es, was sich Jacques
Doillon vorgenommen hat, was er mit aller Unerbittlichkeit dann auch
unternimmt.
Die Ausgangsposition in diesem bitteren Spiel: Ein Franzose, Mitte
40, Besitzer eines grossen Hauses in Marokko, mehr erfaehrt man fast nicht.
Und Raja, 20 Jahre alt, ein Waise mit einem Bruder, der ihre Verheiratung
laengst geplant hat, mit einem Geliebten, der sie ausbeutet. Sie verdient
ihr Geld als Gelegenheitsprostituierte und mit Jobs wie dem, den sie jetzt
angenommen hat: als Hilfsarbeiterin im Garten des reichen Franzosen.
Sein Blick faellt auf sie, er flirtet, sofort, er beschliesst, sofort,
es auf sie abgesehen zu haben. Das Projektive dieser impromptu
beschlossenen Liebe liegt auf der Hand, der Blickkontakt ist die einzig
direkte Verbindung, die zwischen den beiden moeglich ist. Und die Direktheit
wie die Verbindung: sie taeuschen. Faszinierend, wie Doillon die Sprachbarriere
zwischen den beiden immer aufs Neue ins Spiel bringt. Sie kann kaum Franzoesisch,
er kaum Arabisch, es gibt wohl und uebel wollende Uebersetzerinnen, es scheint
gelegentlich die Moeglichkeit auf, dass das programmierte Missverstehen,
das aneinander Vorbeireden, zu einem ganz neuen Code des Flirtens, des Erfindens
des Anderen als aufregend Unbekannten fuehren koennte; allein: wo sich im
einen Moment Wege, Auswege zu oeffnen scheinen, ist im naechsten eine Sackgasse.
Das ist das Prinzip des Films, der keine Gelegenheit zum Eroeffnen dieser
Sackgassen auslaesst.
Er wechselt dabei, den Horizont seiner Figuren ueberschreitend, die
Perspektive, zeigt sie im Kreise ihrer Freundinnen, laesst sie eine Zukunft
imaginieren, in der der Franzose als Weg zu Reichtum und Glueck auftaucht,
nicht als Person. Zeigt ihn, den ganzen westlichen Diskurs des Liebens als
blosser Sex, dann als Projektion, Verkennung, Passion ausmessend, durchaus
auch vor Raja, die ihn nicht versteht. Und umgekehrt: Raja im Kreise ihrer
Freundinnen, Strategien entwerfend, den anderen als anwesend Abwesenden
begreifend. Der Film kennt keinen andere Standpunkt als diese beiden, ihren,
seinen. Und dieser Standpunkt, ihrer, seiner, ist im Prozess staendiger
Verschiebung begriffen, eines Fragens auch danach, ob dem anderen zu trauen
ist. Und ob man sich selbst trauen kann. Beide wissen, nachdem sie sich auf
das Wagnis dieses Missverstaendnisses eingelassen haben, immer wieder nicht
mehr, wo sie stehen, was sie wollen. Eroeffnung von Sackgassen.
Medium dieser Liebe zwischen dem Herrn und der Dienerin, dem
Kolonialherren und der Kolonialisierten, ist, nur zu konsequent und das ist
der brillanteste, der bitterste und der ueberzeugendste Zug des Films: das
Geld. Als Unterstellung regiert die Praesupposition das Verhaeltnis der beiden,
es gehe nur ums Geld. Nur um Sex. Den Tausch von Geld gegen Sex. Bald
instrumentalisiert Raja diese Unterstellung, als Strategie fuer ihr Glueck,
das sie so machen will. In diesen Instrumentalisierungen aber ist immer schon
ein weiterer Schritt gemacht, der das, was fuer das Verhaeltnis zwischen
den beiden wahr zu sein scheint, zur Luege macht. Raja und der Franzose reden
nicht nur immerzu und mit Notwendigkeit aneinander vorbei, sie tun es auch
auf jede erdenkliche Weise.
Das Grandiose an Doillons Film ist: Nichts wird klarer im Fortgang.
Die Moeglichkeiten des Missverstehens potenzieren sich. Es gibt Ahnungen
aufrichtigen Glaubens, dass es doch gut ausgehen koennte zwischen beiden,
sie verlieren sich in der naechsten strategischen Wendung. Was der eine
aufrichtig meint versteht der andere als Luege. Vielleicht, denn wir haben
nie einen privilegierten Zugang zur Wahrheit, es bleibt, fuer uns wie fuer
die beiden Hauptfiguren, eine Sache der staendigen Rekonstruktion dessen,
was gerade vorgefallen sein koennte. Der Prozess des Films ist das Prozessieren
dieses unendlichen Rekonstruktionsprozesses von Verstehen auf dem hohen Grat
des Unwahrscheinlichkeitsaggregats, das Liebe heisst.
Das ist von einem Grad der Abstraktion, keine Sekunde waeren die Macht-,
Geld-, Geschlechter-, Kolonialverhaeltnisse nicht im Spiel. Doillon aber
konterkariert die Abstraktion durch die genaueste Aufmerksamkeit fuer jede
Geste seiner Darsteller, vor allem Laiendarstellerin der Raja: wie die Konkretion
und die Abstraktion hier im und als Missverstehen zueinander finden und passen,
das ist ein wahres Wunder.
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