In den USA startete The Contender (dt. Titel
Rufmord - Jenseits der Moral) bereits im Oktober 2000 in der heißen
Phase der Präsidentenwahl. Das Ergebnis ist bekannt: Der Demokrat Al
Gore unterlag knapp dem Republikaner George W. Bush. Die Lewinsky-Affäre,
die Ermittlungen Kenneth Starrs und das Amtenthebungsverfahren gegen Bill
Clinton lagen mehr als ein Jahr zurück. Heute wirkt der Thriller über
die erste Frau, die für das Amt des Vizepräsidenten nominiert wird
und über einen Sexskandal stolpert, etwas angestaubt. Die Ära Bill
Clinton ist vorbei. George W. Bush Präsident im Weißen Haus. Seit
dem 11. September zeigen die USA wieder Flagge, demonstrieren Patriotismus
und definieren die Welt mit einfachen Prädikaten. In dieser angespannten
politischen Situation kommt mit Rufmord - Jenseits der Moral
ein Film auf den deutschen Markt, dessen Plot Erinnerungen weckt an Zeiten,
als im Zentrum der Macht über einen Blow-Job statt über
zukünftige Kriegsschauplätze verhandelt wurde.
Schwarzes Wasser
Der Vizepräsident der USA ist gestorben. Gouverneur Jack Hathaway
(William Petersen) und ein Journalist angeln in einem Boot unter einer
Brücke. Ein Auto fährt über die Brücke und kommt unvermittelt
von der Fahrbahn ab. Der Wagen stürzt in den See. Der Politiker springt
beherzt in das eiskalte Wasser, um die Insassen zu retten. Vor seinen Augen
ertrinkt die Fahrerin. Trotz des tragischen Ausgangs feiern die Medien ihn
als Held. Das Rennen um das zweithöchste Amt verliert der Gouverneur,
da das Unglück Assoziationen an Ted Kennedys Autounfall 1969 in
Chappaquiddick auslöst, bei dem eine junge Frau ums Leben kam.
Gender Trouble
Der Präsident (Jeff Bridges), ein gestandener Politiker, der
seinen Besuchern mit Vorliebe die Variationsbreite der Küche im Weißen
Haus vorführt, will die vakante Position entgegen allen Erwartungen
mit einer Frau, der Senatorin Laine Hanson (Joan Allen), besetzten. Ihren
politischen Gegnern ist jedes Mittel recht, um diese Nominierung zu torpedieren
und ihren Wunschkandidaten, Gouverneur Hathaway, durchzusetzen. Von einem
Komitee unter dem Vorsitz des stramm konservativen Republikaner Shelly Runyon
(Gary Oldman) soll die Kandidatin geprüft werden. Der Skandal ist perfekt,
als man ihr in der ersten Anhörung ein Foto vorlegt, das sie in eindeutiger
Position beim Gruppensex zeigt.
Eine öffentliche Frau
Wer ist Laine Hanson? Die erste Szene zeigt die zukünftige
Vizepräsidentin beim Geschlechtsakt auf ihrem Schreibtisch. Das Telefon
klingelt, und der Präsident bittet sie zum Gespräch. Mit dem
männlichen Part des Quickies, ihrem Ehemann, trifft sie im Weißen
Haus ein. Eine Frau mit einem erfüllten Sexual- und Privatleben, eine
von den Republikanern zu den Demokraten gewechselte Senatorin akzeptiert
das präsidiale Angebot. Eine Frau, von der man auf Grund dieser kurzen
Vorgeschichte später annimmt, dass sie am College Gruppensex mit Analverkehr
und Blow-Job praktizierte.
Den Mund zu voll nehmen
Die Anhörung vor dem Komitee trägt Züge der Inquisition.
Shelly Runyon gebärdet sich als Großinquisitor mit lautstarken
Urteilen. Neben dem durch das Foto dokumentierten Beweis des ausschweifenden
Lebensstils macht er der Senatorin ihre Haltung zur Trennung von Staat und
Kirche, ihre Unterstützung der Frauenbewegung, ihre Befürwortung
der Abtreibung und sogar die eigene Fruchtbarkeit zum Vorwurf. Its
none of your business - zu ihrem Privatleben beantwortet Laine Hanson
keine Frage. Eher verzichtet sie auf das Amt, als den Indiskretionen nachzugeben.
Den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen, ihm seine Doppelmoral vorzuhalten,
vermeidet sie. Selbst der Präsident, der sie in der Schlammschlacht
unterstützt, erhält von ihr weder eine bestätigende noch eine
entkräftende Aussage zu den Anschuldigungen.
Oral History
Der Film legt falsche Fährten. Man glaubt, was man sieht oder
meint zu sehen, und erkennt am Ende, dass die Bilder falsch interpretiert
wurden. Auf den ersten Blick erzählt Rufmord - Jenseits der
Moral auf fesselnde Weise die altmodische Geschichte einer Intrige.
Wie in der griechischen Tragödie nimmt jeder den ihm zugewiesenen Part
ein: Demokraten und Republikaner, ehrgeizige Hinterbänkler, einflussreiche
Abgeordnete, geschwätzige Pressesprecher, eitle Berater und
gefräßige Präsidenten. Das Muster ist klar zu erkennen, die
moralische Frage, die sich stellt, auch: Darf man jedes Mittel einsetzen,
um dem politischen Gegner zu schaden? Beim genaueren Hinschauen eröffnet
der Film eine zweite Perspektive, indem er eine Frau in den Mittelpunkt stellt.
Bei der Anhörung vor dem Komitee rückt man ihr buchstäblich
zu Leibe. Man demontiert Laine Hanson nicht nur über einen sexuellen
Ausrutscher in ihrer Vergangenheit, sondern greift sie über ihren
Körper an, mit Nachfragen zu ihrer Sexualität, zur Abtreibung,
zu ihrer Fruchtbarkeit. Nicht ihre politische Integrität, sondern ihre
weibliche Existenz steht zur Disposition. Die Anhörung verkommt zum
Tribunal, das an die Zeugenbefragung von Vergewaltigungsopfern erinnert.
Vielleicht geht es zu weit, dem Regisseur Rod Lurie, der die Rolle der
Vizepräsidentin speziell für Joan Allen (Nixon,
Icestorm) schrieb, eine feministische Position zuzuweisen. Das
versöhnliche, wenn auch pathetische Ende sowie die Widmung For
our daughters im Abspann weisen aber auf eine - für ein amerikanisches
Mainstream-Produkt eher ungewöhnliche - Sensibilität für das
Verständnis von Geschlechterrollen hin.
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