Rod Lurie: Rufmord - Jenseits der Moral (USA 2002)

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Von Frauen, die vögeln, und Männern, die fressen
Rod Lurie: Rufmord - Jenseits der Moral
(USA 2002)
Kritik von Ulrike Mattern

 

In den USA startete „The Contender“ (dt. Titel „Rufmord - Jenseits der Moral) bereits im Oktober 2000 in der heißen Phase der Präsidentenwahl. Das Ergebnis ist bekannt: Der Demokrat Al Gore unterlag knapp dem Republikaner George W. Bush. Die Lewinsky-Affäre, die Ermittlungen Kenneth Starrs und das Amtenthebungsverfahren gegen Bill Clinton lagen mehr als ein Jahr zurück. Heute wirkt der Thriller über die erste Frau, die für das Amt des Vizepräsidenten nominiert wird und über einen Sexskandal stolpert, etwas angestaubt. Die Ära Bill Clinton ist vorbei. George W. Bush Präsident im Weißen Haus. Seit dem 11. September zeigen die USA wieder Flagge, demonstrieren Patriotismus und definieren die Welt mit einfachen Prädikaten. In dieser angespannten politischen Situation kommt mit „Rufmord - Jenseits der Moral“ ein Film auf den deutschen Markt, dessen Plot Erinnerungen weckt an Zeiten, als im Zentrum der Macht über einen Blow-Job statt über zukünftige Kriegsschauplätze verhandelt wurde.

Schwarzes Wasser

Der Vizepräsident der USA ist gestorben. Gouverneur Jack Hathaway (William Petersen) und ein Journalist angeln in einem Boot unter einer Brücke. Ein Auto fährt über die Brücke und kommt unvermittelt von der Fahrbahn ab. Der Wagen stürzt in den See. Der Politiker springt beherzt in das eiskalte Wasser, um die Insassen zu retten. Vor seinen Augen ertrinkt die Fahrerin. Trotz des tragischen Ausgangs feiern die Medien ihn als Held. Das Rennen um das zweithöchste Amt verliert der Gouverneur, da das Unglück Assoziationen an Ted Kennedys Autounfall 1969 in Chappaquiddick auslöst, bei dem eine junge Frau ums Leben kam.

Gender Trouble

Der Präsident (Jeff Bridges), ein gestandener Politiker, der seinen Besuchern mit Vorliebe die Variationsbreite der Küche im Weißen Haus vorführt, will die vakante Position entgegen allen Erwartungen mit einer Frau, der Senatorin Laine Hanson (Joan Allen), besetzten. Ihren politischen Gegnern ist jedes Mittel recht, um diese Nominierung zu torpedieren und ihren Wunschkandidaten, Gouverneur Hathaway, durchzusetzen. Von einem Komitee unter dem Vorsitz des stramm konservativen Republikaner Shelly Runyon (Gary Oldman) soll die Kandidatin geprüft werden. Der Skandal ist perfekt, als man ihr in der ersten Anhörung ein Foto vorlegt, das sie in eindeutiger Position beim Gruppensex zeigt.

Eine öffentliche Frau

Wer ist Laine Hanson? Die erste Szene zeigt die zukünftige Vizepräsidentin beim Geschlechtsakt auf ihrem Schreibtisch. Das Telefon klingelt, und der Präsident bittet sie zum Gespräch. Mit dem männlichen Part des Quickies, ihrem Ehemann, trifft sie im Weißen Haus ein. Eine Frau mit einem erfüllten Sexual- und Privatleben, eine von den Republikanern zu den Demokraten gewechselte Senatorin akzeptiert das präsidiale Angebot. Eine Frau, von der man auf Grund dieser kurzen Vorgeschichte später annimmt, dass sie am College Gruppensex mit Analverkehr und Blow-Job praktizierte.

Den Mund zu voll nehmen

Die Anhörung vor dem Komitee trägt Züge der Inquisition. Shelly Runyon gebärdet sich als Großinquisitor mit lautstarken Urteilen. Neben dem durch das Foto dokumentierten Beweis des ausschweifenden Lebensstils macht er der Senatorin ihre Haltung zur Trennung von Staat und Kirche, ihre Unterstützung der Frauenbewegung, ihre Befürwortung der Abtreibung und sogar die eigene Fruchtbarkeit zum Vorwurf. „It’s none of your business“ - zu ihrem Privatleben beantwortet Laine Hanson keine Frage. Eher verzichtet sie auf das Amt, als den Indiskretionen nachzugeben. Den Gegner mit den eigenen Waffen zu schlagen, ihm seine Doppelmoral vorzuhalten, vermeidet sie. Selbst der Präsident, der sie in der Schlammschlacht unterstützt, erhält von ihr weder eine bestätigende noch eine entkräftende Aussage zu den Anschuldigungen.

Oral History

Der Film legt falsche Fährten. Man glaubt, was man sieht oder meint zu sehen, und erkennt am Ende, dass die Bilder falsch interpretiert wurden. Auf den ersten Blick erzählt „Rufmord - Jenseits der Moral“ auf fesselnde Weise die altmodische Geschichte einer Intrige. Wie in der griechischen Tragödie nimmt jeder den ihm zugewiesenen Part ein: Demokraten und Republikaner, ehrgeizige Hinterbänkler, einflussreiche Abgeordnete, geschwätzige Pressesprecher, eitle Berater und gefräßige Präsidenten. Das Muster ist klar zu erkennen, die moralische Frage, die sich stellt, auch: Darf man jedes Mittel einsetzen, um dem politischen Gegner zu schaden? Beim genaueren Hinschauen eröffnet der Film eine zweite Perspektive, indem er eine Frau in den Mittelpunkt stellt. Bei der Anhörung vor dem Komitee rückt man ihr buchstäblich zu Leibe. Man demontiert Laine Hanson nicht nur über einen „sexuellen Ausrutscher“ in ihrer Vergangenheit, sondern greift sie über ihren Körper an, mit Nachfragen zu ihrer Sexualität, zur Abtreibung, zu ihrer Fruchtbarkeit. Nicht ihre politische Integrität, sondern ihre weibliche Existenz steht zur Disposition. Die Anhörung verkommt zum Tribunal, das an die Zeugenbefragung von Vergewaltigungsopfern erinnert. Vielleicht geht es zu weit, dem Regisseur Rod Lurie, der die Rolle der Vizepräsidentin speziell für Joan Allen („Nixon“, „Icestorm“) schrieb, eine feministische Position zuzuweisen. Das versöhnliche, wenn auch pathetische Ende sowie die Widmung „For our daughters“ im Abspann weisen aber auf eine - für ein amerikanisches Mainstream-Produkt eher ungewöhnliche - Sensibilität für das Verständnis von Geschlechterrollen hin.

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