Chris Kraus hat sich bisher als Drehbuchautor einen Namen gemacht.
Neben Rosa von Praunheims "Einstein des Sex" schrieb er das Drehbuch zu
"Liebesluder" von Detlev Buck. Für sein Regiedebüt jedoch gönnt
er sich und dem Zuschauer wenig Vergnügliches. Erzählt wird die
Geschichte zweier ungleicher Brüder; einer Familienfeier, die nicht
stattfindet und einer schmerzhaften Begegnung, der man 20 Jahre lang aus
dem Weg ging. Jesko (Jürgen Vogel), Modemacher im Hosenrock, kommt
anlässlich einer Familienfeier nach Hause. Dort erwartet ihn seine psychisch
kranke Mutter, die er zuletzt sah, als sie im Affekt versuchte, ihre Söhne
im Alter von 9 und 12 Jahren zu töten. Ironie des Schicksals: Jesko
hat Knochenmarkkrebs und braucht für eine Transplantation einen Spender
aus dem Familienkreis. Seine Mutter könnte seine letzte Hoffnung
sein
Immer tiefer gerät man mit Jesko an den Rand menschlicher
Abgründe, die sich hinter der großbürgerlichen Fassade, in
der aristokratisch anmutenden Villa im Schwäbischen, abspielen. Jeskos
älterer Bruder Ansgar (Peter Davor) ist an der Rolle des Beschützers
zerbrochen. Er leidet unter Schlaflosigkeit, sucht Selbsthilfegruppen auf
und ist unfähig Liebe zu empfinden. Er hat eine Liaison mit der
Krankenpflegerin Zitrone (Nadja Uhl), die sich um seine Mutter kümmert,
sich selbst als sexsüchtig bezeichnet und eine merkwürdige Beziehung
zum Hauschauffeur unterhält. Über all dem thront der Vater, ein
knallharter Unternehmer, unangreifbar in seiner Prinzipientreue, unnahbar
in seiner Verschlossenheit; ein Altnazi eben, wie hier und da angedeutet
wird.
Chris Kraus entwirft dieses komplexe Beziehungsgeflecht ausgesprochen
kunstvoll. Auch wenn man durch den unterkühlten Stil nie wirklich Empathie
mit den Figuren empfindet, so fasziniert doch die Tiefe der ausgeloteten
Seelenzustände. Der Film ist immer dann am stärksten, wenn er sich
auf diese Ebene verläßt und verliert deutlich an Boden, wenn die
Struktur des Drehbuchs in den Vordergrund drängt. Speziell im letzten
Drittel fehlt die Ausgewogenheit und man wird das Gefühl nicht los,
dass man dem Material in letzter Konsequenz nicht vertraut hat. Zu sehr stellen
sich die Plotwendungen und deren zwangsläufige Abarbeitung gegen den
vorher angeschlagenen Rhythmus und zu grobschlächtig wirkt das Finale,
das den Film ins Melodramatische kippen läßt. Wenn man dann schon
glaubt, diesen Weg gehen zu müssen, braucht es starke
Identifikationsangebote. Die Figuren sind am Ende jedoch zu sehr in ihrer
Opferrolle gefangen. Das Konzept geht nicht auf. Auch stilistisch kommt das
"Werk" ungemein düster daher, dem Zuschauer werden keinerlei
Verschnaufpausen gegönnt und immer wieder wird einem schmerzlich
bewußt, wie schnell aus tiefgründig schwerfällig werden kann.
Zum Glück gibt es noch die großartige Nadja Uhl, die ihre ersten
Szenen beeindruckend ambivalent gestaltet, und das vermittelt, was über
weite Strecken des Films leider fehlt: vibrierende Energie.
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