"Pain, Pleasure, Guilt"*
Lee ist eine sichtlich gut gelaunte Sekretärin. Sie schlendert
aus der Kaffeeküche zum Schreibtisch ihres Chefs. Hebt da ein Papier
auf. Rückt dort eine Kleinigkeit zurecht. Nur die hinter ihrem Rücken
auf Armhöhe befestigte Spreizstange, an der ihre Hände gefesselt
sind, passt nicht zum Interieur.
Von der Lust am Schmerz und dem Bedürfnis zur Demütigung
handelt "Secretary", der zweite Spielfilm des amerikanischen Regisseurs Steven
Shainberg. Lee verletzt sich gern selbst. In ihrem Beauty-case befinden sich
statt Kamm und Kosmetika Messer und Schere, mit denen sie sich Wunden
zufügt. Eines Tages schneidet sie zu tief. Ihre Eltern - der Vater ein
Trinker, die Mutter mit einer Neigung zur Hysterie - bewerten dies als
Selbstmordversuch. Sie weisen ihre Tochter in die Psychiatrie ein.
Nach der Therapie sucht Lee einen Job als Sekretärin - und findet
ihren Meister, den Anwalt Edward Grey (der Softie als Sadist: James Spader).
Der Orchideenliebhaber sitzt in einem in dunklen Rottönen gehaltenen
Büro, das wie ein plüschiges Boudoir wirkt. Er stellt Lee als Tippse
ein, deren Schreibfehler er mit grausamer Genugtuung rot einkreist und hinter
einem Glasrahmen im Flur aufhängt. Die frisch gebackene Sekretärin
findet Gefallen an den erst verbalen, später körperlichen
Züchtigungen.
Das Tabu-Thema Sadomasochismus ist populär. In der Ausstellung
"Phantom der Lust" in Graz konnte man bis Ende August "Visionen des Masochismus
in der Kunst" entdecken. Der Grazer Leopold von Sacher-Masoch führte
dieses Thema im 19. Jh. in die Literatur ein. Selbstaufgabe in der
Sexualität wird oft als Perversion stigmatisiert. In der Kunst, Literatur
und Philosophie beschäftigte man sich seit jeher intensiv mit dem
Phänomen. Im Kino unterliegen S/M-Spiele höchstens der
persönlichen Selbstzensur durch den Betrachter oder staatlichem Regulativ.
In der Grazer Ausstellung sah man Filmzitate aus "Verführung: Die grausame
Frau" von Elfi Mikesch und Monika Treut sowie unter anderem Filmplakate von
"Der Nachtportier","Belle de Jour" und "Der diskrete Charme der
Bourgeoise".
Dass er keine Scheu vor Grenzüberschreitungen hat, zeigte der
amerikanische Schauspieler James Spader dagegen schon mehrfach. Für
seine Darstellung als impotenter Voyeur in Steven Soderberghs "Sex, Lügen
und Video" wurde er 1989 in Cannes ausgezeichnet. 1996 schockierte er in
David Cronenbergs "Crash" als Werbefilmer, der sich durch bewusst initiierte
Autounfällen zum Orgasmus bringt. Seitdem fiel er weder aus der Rolle
noch durch spannende Filme auf. Seine Zusammenarbeit mit Keanu Reeves in
dem Thriller "The Watcher" (2000) oder mit Jeff Daniels in dem
"Traffic"-Verschnitt "I Witness" (2003) blieb Dutzendware.
Umso erfreulicher ist jetzt sein Comback mit dem abgründig komischen
Film "Secretary" an der Seite einer ebenbürtigen Maggie Gyllenhaal,
die für die feinsinnigen Nuancen in ihrer Darstellung einer devoten
Frau für den Golden Globe nominiert wurde. Der Film heimste u.a. einen
Spezialpreis der Jury auf dem Sundance Filmfestival sowie den Independent
Spirit Award für das Beste Drehbuch ein.
*Titel von
Fotografien
zum Thema von Salla Tykkä
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