Solaris, der Roman von Stanislaw Lem, die erste Verfilmung
von Andrej Tarkowskij und nun auch Steven Soderberghs Version, ist philosophische
Science-Fiction. Das Interesse gilt nicht der Zuukunft, nicht den
Möglichkeiten des technischen oder gesellschaftlichen Fort- oder
Rückschritts. Solaris ist weder Utopie noch Dystopie
nein, es geht darin allein um ein Gedankenspiel, für dessen Inszenierung
die Kulisse der Science-Fiction benutzt wird. Und Soderbergh tut kaum mehr
als das nötigste, um diese Kulisse einzurichten, wie hingetupfte Zeichen
funktionieren der ferne Planet, die Hilfsmission, die Raumstation. Der Psychologe
Chris Kelvin (George Clooney), so zunächst der reine Plot, wird per
Videobotschaft zu Hilfe gerufen. Ein Raumschiff, das in der Umlaufbahn des
Planeten Solaris liegt, ist in Schwierigkeiten geraten, welcher Art sie sind,
erfahren wir zunächst nicht. Nicht mehr als einige statische Einstellungen,
sehr bewusst Kubricks 2001 zitierend, des schwerelos treibenden
Raumschiffs, der Raumstation vor dem von rötlich-lila-gelben Lichtstreifen
umgürteten Planeten. Dann ist Kelvin an Bord.
Dort sind die Farben bleich, auf der Tonspur keine Musik zunächst,
sondern die bedrohlich rauschenden, brummenden Eigengeräusche der Station.
Kelvin stößt auf Spuren von Blut, trifft im Kühlraum auf
Leichen darunter die von Gibarian (Ulrich Tukur), des Mannes, der
ihn zu Hilfe gerufen hatte. Auf zwei Überlebende stößt Kelvin,
ihr Verhalten ist merkwürdig, in Andeutungen sprechen sie von dem Geheimnis,
das hinter den seltsamen Vorgängen im Innere der Raumstation lauert.
Kelvin legt sich schlafen. Soderberghs Kamera (wie fast stets ist Soderbergh,
unter Pseudonym, sein eigener Kameramann) wählt einen eigenartigen
verkanteten Winkel zum Blick auf Kelvins Kopf und seinen Oberkörper;
in dieser fast unscheinbaren Einstellung liegt die ganze Intelligenz und
Präzision des Regisseurs Soderbergh. Ins Bild gesetzt wird ein Charakter,
dessen Welt aus den Fugen geraten wird. Es ist, als entspränge der
schrägen Perspektive alles Folgende. Im Schlaf und doch nicht im Schlaf,
in einem Zwischenreich, das evoziert, nie aber definiert wird, erscheint
Kelvin seine Frau Rheya (Natasha McElhone), die vor Jahren durch einen Selbstmord
ums Leben gekommen ist. Plötzlich, unerklärlich, aus dem Nichts
ist sie da keine Vision, kein Traum, sondern fassbare, greifbare
Realität. Kelvin reagiert panisch, lockt den Geist, für den er
die Erscheinung zunächst hält, in den Schleusenraum und
stößt ihn hinaus in die Weiten des Alls.
Rheya jedoch kehrt wieder, mit der Insistenz eines Gespensts. Mit
der Insistenz auch einer Sehnsucht, von der man nicht lassen kann. Und als
Verkörperung der Unfähigkeit, Abschied zu nehmen vom Menschen,
den man geliebt hat (eine Szene der Trauerarbeit nach Art der anonymen
Alkoholiker gibt es ganz am Anfang zu sehen). Soderbergs Solaris
konzentriert sich fortan auf den fantastischen oder phantasmagorischen
Zwischenraum dieser unerklärlichen Wiederkehr, des erneuten
Miteinander mit dem Anschein einer zweiten Chance, das vielfach gefährdet
ist: durch die Crew des Schiffs zum einen, Gordon, die Astronautin, besteht
darauf, dass die Besucher (deren Anwesenheit ist das Geheimnis
von Kelvins Auftrag) getötet werden müssen. Die Gefährdung
kommt aber auch aus dem Inneren dieser Wiederkehr. Rheya ist mehr als bloße
Projektion Kelvins, ein eigenständiges Wesen, ein Mensch aber ist sie
nicht. In meditativen Bildern, untermalt von hypnotischer, repetitiver,
pulsierender Musik entfaltet Szenen einer Ehe. Rheya, auf der Suche nach
sich selbst und ihrer Identität, erinnert sich an das Leben auf der
Erde, das erste Kennenlernen, die junge Liebe zu Kelvin, aber auch Probleme
des Zusammenlebens. Die Bilder dieser Erinnerung (in wärmeren Farben,
Brauntönen) schneidet Soderbergh in ihre Gegenwart hinein. Es handelt
sich, technisch gesehen, um Rückblenden, die aber weit mehr sind als
das und sich zugleich keineswegs eindeutig auf eine objektive
Vergangenheit beziehen. Was man sieht sind Bilder einer Vergangenheit, die
die ihre ist und auch nicht. In nichts anderem nämlich lebt Rheya als
in Kelvins Erinnerungen an sie. Im nicht-linearen Schnitt, der unheimliche
Dopplungen und Parallelisierungen von Vergangenem und Gegenwart herstellt,
treibt Solaris die Erinnerung an die Grenze ihrer
Ununterscheidbarkeit von der bloßen Einbildung. In der fast unmerklichen
Parallelmontage von Erinnerung und Wirklichkeit findet dieses Stilmittel,
das Soderbergh schon in seinen letzten Filmen zum Markenzeichen entwickelt
hat, seinen philosophischen Gehalt. Die Objektivität des Bilds löst
sich auf. Und diese Auflösung setzt Soderbergh im Schnitt ins Bild.
Das Psychodrama von Solaris ist ein Drama der Gegenwart
materialisierter Erinnerung, an der in jedem Moment alles falsch sein kann.
Nur zu konsequent ist das Ende des Films. Hier nämlich löst sich
noch der letzte Halt auf, die Wirklichkeit der Gegenwart des scheinbar objektiven
Bildes.
Diesseits dieser komplexen Sachverhalte ist Soderberghs
Solaris nicht zu haben. Jede nur psychologische Lektüre
wird auf eine kalte und glatte Oberfläche stoßen, ohne deren mit
technischen Mitteln erzeugte Faltung in den Blick zu bekommen. Es ist kein
Wunder, dass Soderbergh bei den Dreharbeiten immer wieder Filme von Alain
Resnais vorgeführt hat. Sein Solaris ist Letztes Jahr
in Marienbad im Weltraum. Ein Film über das Trügen des Scheins
der Filmbilder, nicht weniger. Ein philosophische Meditation über Liebe
und den Verlust eines geliebten Menschen ebenso wie über das Medium
Film. Auf der Pressekonferenz hatte ein Journalist nichts weiter zu sagen,
als dass er Solaris langweilig finde. George Clooney, der sich
zuvor charmant, geistreich, witzig und verbindlich zeigte, war kurz davor
auszurasten. What a jerk (freundlich übersetzt: Welch
ein Idiot), beschimpfte er den Mann und meinte wohl auch die
Reaktionen der weithin ähnlich gestimmten Filmkritik. Solaris
ist eine Herausforderung. Mal sehen, ob die Jury unter dem Vorsitz des
Kino-Intellektuellen Atom Egoyan sie annehmen wird.
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