"Something More Than Night" ist kein Dokumentarfilm und kein Essay,
keine Sinfonie der Großstadt und keine Avantgarde. Und doch von all
dem etwas. Was er zeigt, sind Szenen aus dem Nachtleben Chicagos. Die
Einstellungen sind weitgehend statisch, die Beobachterposition legt Wert
auf ihre Unaufdringlichkeit. Was gefilmt wird - ohne jeden Kommentar - sind
zumeist öffentliche Räume: Wartehallen, Tankstellen, Straßen.
Eine Zugbrücke, ein Diner, eine Werkhalle der Schwerindustrie, der
Flughafen. Die Kamera bleibt unbeteiligt, was sie einfängt, sind nicht
Schauspiele, sondern alltägliche Szenen, an denen das einzig
Unzufällige das ist, dass sie festgehalten werden. Gar nicht zufällig
jedoch sind die Kadrierungen, von unten oft, von außen meist, vom Rande
her. Was man sieht, hat fast ausnahmslos einen Zug ins Fotografische: in
der Präzision des Blicks, in der ganz unaufdringlichen Schönheit
des Gezeigten. Es gibt keinerlei narrative oder zeitliche Linearität
in der Abfolge - man sieht, in den Kinosessel gebannt, die bewegten Bilder
einer Ausstellung.
Und, auch das ein gewichtiger Unterschied, den realen Ton zur realen
Zeit, die Ausschnitt ist aus einem Kontinuum, das die Hintergrundvorstellung
des Ganzen bleibt. Gelegentlich gibt es etwas wie abgeschlossene Szenen -
etwa, wenn das Herunterlassen der Zugbrücke bis zum Ende dokumentiert
wird -, in der Regel aber scheinen Anfang und Ende der Bilder wie beliebige
Setzungen. Auszüge aus dem Leben der Stadt, die nichts erschöpfen,
die auch ihr möglichstes Tun, die Anblicke, die sich bieten, keiner
deutlich spürbaren Struktur zu unterwerfen. Der Ton, stets original
vom Standpunkt der Kamera aus aufgenommen, verstärkt den Eindruck des
Unvollständigen, denn er geht eigene Wege: vor allem dann, wenn, was
oft geschieht, durch Scheiben hindurch in geschlossene Räume gefilmt
wird, aus denen kein Ton herausdringt. Zu den künstlich beleuchteten
Szenen der Innenräume steht das Großstadtrauschen mit Sirenengeheul
und Straßenlärm, zufällig eingefangenen Gesprächsfetzen
in reizvollem Kontrast. Es situiert den absolut synchron aufgenommenen Ton
an anderer Stelle als das Bild, der Natur der Sinneswahrnehmung - akustischer
Nah- und optischer Fernsinn - ganz gemäß und gerade dadurch die
Aufmerksamkeit auf die Wahrnehmung lenkend, die einem der Film nicht vorschreibt,
der er einen aber sehr buchstäblich aussetzt.
Es versteht sich von selbst, dass auch im Räumlichen jede
Kontinuität, jede eindimensionale Vernetzung der Bilder zum
Stadtporträt vermieden wird. Was man vielmehr sieht, ist eine Art
generischer Großstadt-Raum aus - mit dem französischen Soziologen
Marc Augé gesprochen - "Non-Lieus", Nicht-Orten, die als unspezifische
Orte fast reiner, nicht mit Notwendigkeit spezifischer Funktionalität
eher Allerweltsorte sind, als dass sie Chicago als Stadt-Individuum kenntlich
werden ließen. Betrachtet wird das mit distanziertem Interesse, von
aller Gesellschaftskritik oder auch nur explizitem Kommentar hält sich
Eisenbergs Film fern. Er ist in der Form weit weniger streng als James Bennings
nicht ganz unverwandte "Porträt"-Projekte - näher auch an der
Dokumentation im hergebrachten Sinn. Einer Dokumentation aber, die die Reflexion
ihres Blicks so implizit wie unabweisbar leistet.
Und ein Bild gibt es, das in seiner Privatheit ganz herausfällt
aus der Reihe: ein schlafender Junge, gefilmt mit dem liebenden Blick, der
Verdacht legt sich sehr nahe, eines Vaters.
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