Während der ersten Szenen des Films, eines Dialogs um ewige
Liebe, bleibt die Leinwand schwarz. Dann aber stürzen die Bilder umso
hektischer auf uns ein: verwackelte, gezoomte, gebleichte, im Stakkato
geschnittene Aufnahmen vom Leben am Fluss, der der zentrale Schauplatz, auch,
aber ganz unaufdringlich, die zentrale Metapher des Films sein wird: Schicksale
entscheiden sich im Fluss, am Fluss durch Shanghai. Diese Bilder, vom Fluss,
von Shanghai, blicken auf unvertraute Weise in die Welt: es ist nicht der
jeden und keinen repräsentierende Blick der Kamera, er ist gebunden
an ein Ich, das erzählt, das wir nie zu Gesicht bekommen, das diese
Kamera ist.
Dieses Ich wird so auf doppelte Weise zum Erzähler: als Kamerablick
(das Experiment wird streng durchgehalten wie einst bei The Lady in the
Lake) aber auch als Autor einer Binnengeschichte. An der Stelle, an der
der Saum der Narration für diese Binnenerzählung aufgetrennt wird,
lässt der Erzähler Spielraum: hier und an mehreren Wendepunkten
der folgenden Geschichte von der absoluten Liebe, die nur im Tod enden kann,
öffnet er kurzzeitig Fenster als Aussichten in den Kontingenzcharakter
des Erzählten. Es könnte so geschehen sein oder auch nicht. Eine
wahre Geschichte oder auch nicht. Dieses spielerisch eingesetzte Motiv von
der (ausgestellten) spontanen Verfertigung der Fiktion beim Erzählen
macht deutlich, dass Lou Ye nicht umsonst Chris Marker als eines seiner Vorbilder
nennt.
Dieses Einlassen von Kontingenzbewusstsein ist eine heikle Sache,
ein weiterer Schritt und man ist im kunterbunten Ödland der Beliebigkeit.
Lou Ye weiß darum und verdichtet seine Fiktion zum Ausgleich für
die offenen Ränder im Inneren vielfältig: durch Motivwiederholungen,
ja, durch den Zirkelschluss der Narration, die am Ende zum Anfang
zurückkehrt, Souzhou riverrun. Durch die Verdopplung eines
Gesichts, dadurch Verrätselung der Zusammenhänge. Umso dringlicher
wünscht man, sie zu begreifen. Die Rahmen- und die Binnenerzählung
werden zusammengeführt: fließen, wie zwei Flüsse, zu einem
ineinander. Die beiden Liebesgeschichten überkreuzen sich, spiegeln
sich, kommentieren sich zuletzt auch noch ironisch. Mit der letzten Wendung,
den lakonischen Worten des Ich-Erzählers, rückt der Film die
Absolutheit der romantischen Liebe zwischen Mardar und Moudan überraschend
in ein neues Licht: distanziert sich, weist ihnen einen Platz im rein Fiktionalen
an. Um sie so umso unangefochtener in diesem Raum der Suspension geradezu
emblematisch doch bewahren zu können: als Mythos.
Daran ist nichts bedenklich, denn es ist eine sehr schöne und
lakonisch genug erzählte Geschichte vom Motorradkurier und vom Mädchen
Moudan als Frachtgut, das so unerwartet zu lieben anfängt und wiedergeliebt
wird. Die Kamera ist auch in der Binnenerzählung, wo sie nicht subjektiv
ist, am Christopher Doyle/Wong Kar-Weischen Handkamerastil geschult. Ist
immer in Bewegung, rückt dicht an Gesichter und Gegenstände, verweigert
Überblicke, schneidet an, verzichtet auf elegante Ausleuchtung und
präzise Kadrierung. Anders als die artverwandte Dogma-Schule setzt
Souzhou River auf Musik: ein Liebes-Leitmotiv, streicherlastig, und
viele weitere Nebenmotive, laut, deutlich, extradiegetisch: große Liebe,
große Gefühle, pathetische Musik, konterkariert, eben, von der
Wackelkamera. So fügen sich das Pathos, auf das der Film bewusst artifiziell
zielt, und die Doku-Lakonik reizvoll zusammen. Das ist nicht mehr neu,
funktioniert aber überzeugend, unterstützt die Sogwirkung, die
der Film über seine ganze Strecke entfaltet.
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