Alain Corneau hat sich Amélie Nothombs Erfolgsroman zur
Vorlage gemacht, für einen Film, der erfrischend radikal mit der
Unüberbrückbarkeit kultureller Unterschiede umgeht. Sylvie Testud
spielt Amélie, eine junge Belgierin, die die ersten fünf Jahre
ihres Lebens in Japan verbrachte. Sie erfüllt sich als erwachsene Frau
ihren Traum und heuert beim japanischen Großkonzern Yamamoto an.
Es gibt in diesem Film keine einzige Szene, die uns hinausführt,
aus den Büroräumen im 44.Stock. Die Verbindung zur Außenwelt
findet konsequenterweise statt durch einen Blick, durch ein Fenster, auf
die endlos sich weit über den Horizont erstreckende Betonwüste
Tokyos, und es ist gleichzeitig eine Reise ins Innerste von Amélie,
an einen Ort, an den sie sich zurückzieht um zu überleben, in dieser
Hölle, als die uns Alain Corneau den japanischen Büroalltag
präsentiert. Doch ist dies nur der erste Blick auf eine Kultur, die
uns so unbegreifbar erscheint und die sich selbst denen hartnäckig
verschließt, die alles daransetzen sie zu begreifen.
Corneau reichert seine Geschichte mit komödiantischen Elementen
an, hat in Sylvie Testud eine Hauptdarstellerin, die ihm bedingungslos folgt,
die mit ihrer Ausstrahlung irgendwo zwischen kindlicher Naivität und
sinnlicher Neugier idealtypisch besetzt ist. Zwischen ihr und der
eifersüchtigen Fubuki (grandios unterkühlt: Kaori Tsuji) flackert
eine homoerotische Beziehung auf, die am Ende in einer wunderbar inszenierten
Szene gipfelt, in der das ganze Ausmaß emotionaler Deformationen
spürbar wird, zu denen rigide hierarchische Systeme imstande sind.
Es sei Corneau und natürlich Amélie Nothomb gedankt, dass
der erhobene moralische Zeigefinger gänzlich fehlt, dass wertfrei beobachtet
wird, ohne dabei den eigenen Standpunkt aus den Augen zu lassen. Amélie
erhält nach der Veröffentlichung ihres ersten Romans, lange nachdem
sie wieder nach Belgien zurückgekehrt ist, einen Brief von ihrer einstigen
Widersacherin. Knapp, ohne den leisesten Anflug von Sentimentalität,
gratuliert sie Amélie zu ihrem Erfolg. Der Brief ist in japanisch
verfasst. Spät schließt sich der Kreis.
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