Willst du ficken, eine eher ungewöhnliche Frage,
um das Opfer seiner Begierde auf sich aufmerksam zu machen. Vielleicht noch
ungewöhnlicher wenn eine Frau einer anderen Frau dieses Angebot macht.
Doch genau das geschieht Marcia (Tatiana Saphir), einer etwas pummeligen
Dessous-Verkäuferin, die ein ereignisloses Dasein in Buenos Aires
führt. Bis sie eines Tages auf der Straße von zwei lesbischen
Frauen - Mao (Carla Crespo) und Lenin (Verónica Hassan) - angesprochen
wird. Mit eben diesen Worten. Marcia zeigt jedoch kein Interesse, wird daraufhin
kurzerhand von den beiden entführt und ans Meer verschleppt. Noch nie
zuvor hatte Marcia das Meer gesehen - sie ist glücklich und beginnt,
Gefallen an ihrer Entführung zu finden. Als Mao und Lenin ihr freistellen,
nach Buenos Aires zurückzukehren, lehnt Marcia ab. Sie folgt den beiden
zum Hause der Großmutter Lenins. Hier lässt sich Marcia von Mao
verführen, doch ihr neu entdecktes Glück soll nicht lange
währen
In der tiefsten Provinz Argentiniens treffen Generationen
außergewöhnlicher Frauen aufeinander - die lesbischen Aussteigerinnen
Mao und Lenin, begleitet von einer frustrierten Unterhosenverkäuferin
begegnen den lebenserfahrenen Dorffrauen - allen voran Lenins Großmutter
Blanca (Beatriz Thibaudín) -, die ihre Tage damit verbringen Hühner
zu füttern, Cointreau zu trinken und Kette zu rauchen. Liebevoll hat
der argentinische Regisseur Diego Lermann diese Frauen in Szene gesetzt,
erzählt in seinem Road-Movie von Einsamkeit, Ängsten,
unterdrückten Aggressionen, schlummernden Sehnsüchten und der Suche
nach dem Sinn des Lebens. So wird der Trip der drei Großstädterinnen
auch zu einer Reise zu sich selber.
Tan de repente gehört zu den Arbeiten des neuen
argentinischen Kinos. Eine neue Generation von RegisseurInnen zeigt den
ZuschauerInnen ein anderes Bild des heutigen Argentinien. Es geht ihnen nicht
darum, die reale Welt einfach nur abzubilden - ähnlich wie beim
italienischen Neorealismus machen sie sich die Realität zu eigen, um
ihre Geschichten zu erzählen. Dabei erzählt der Film von einer
Reise in einem sehr realen Argentinien: Buenos Aires, das Dorf am Meer -
eine große Kulisse, geprägt von sozialen Konflikten, Verfall und
eigenwilliger Schönheit. Der Film besteht aus Kontrasten, die
grobkörnigen Schwarzweiß-Bilder unterstreichen diese
Gegensätze.
Lerman erzählt von den Veränderungen und Unabwägbarkeiten
im Leben. Von Frauen, die so sind wie sie sind (Großmutter Blanca)
und von solchen, die sich noch finden müssen (Mao, Lenin, Marcia). Es
ist keine Geschichte von dem lesbischen Glück schlechthin, keine stereotype
Coming-Out-Story - nicht einmal greift Lerman in die Klischeekiste, um das
im Kino so gern gezeigte Klischee von der homosexuellen Frau zu bedienen.
Homosexualität gilt hier als selbstverständliche Liebes- und
Lebensalternative. So wird der Film nicht nur Lesben gefallen. Das - sicherlich
durchaus heterosexuelle - Publikum auf dem Filmfestival in Buenos Aires war
begeistert und Tan de repente erhielt den Publikumspreis - in
einem Land, das nicht gerade für seine Offenheit Homosexuellen
gegenüber bekannt ist. Wenngleich sich die Zeiten zu ändern scheinen:
Die Stadt Buenos Aires schickt sich an, neue argentinische Rechtsgeschichte
zu schreiben: Gleichgeschlechtliche Paare sollen künftig mit heterosexuellen
Paaren gleichgestellt werden.
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