Ein Text, ein Raum, drei Darsteller. Unsichtbar, gelenk, geschwind
und hin und wieder reißgeschwenkt: die digitale Kamera. Der Film als
klassisches Theater: Einheit von Raum, Zeit (die hier als Realzeit auftritt),
Handlung, dazwischen kommt nur der gesteuerte Blick. "Tape" könnte ein
wunderbares Experiment sein. Am Ende ist es doch nur ein Film von Richard
Linklater.
Zu Beginn: Nur Ethan Hawke, der durch ein Motelzimmer hampelt, Bier
trinkt, auf etwas wartet. Eine Figur, angelegt mit grobem Strich, und man
vermutet eher darstellerisches Unvermögen als gekonnte Darstellung einer
Figur, die sich mit grobem Strich selbst inszeniert. Die Künstlichkeit
jedenfalls, die aus dem Bemühen um Authentizität spricht, im Spiel,
in der Sprache, gibt das Stück vor. Hawke wie Robert Sean Leonard, der
bald darauf den Raum betreten wird, demonstrieren ein schauspielerisches
Bemühen, das auf einen Echtheits-Effekt angelegt ist, der mit wirklichem
Verhalten nichts zu tun hat. Und auch Linklater, der in seinen eigenen
Drehbüchern als wenig reflektierter Jäger nach großen Wahrheiten
hervorgetreten ist, geht dem Glauben des Stücks, es verhandle das Drama,
das es inszeniert, in ganz authentischer Weise, auf den Leim.
Dabei ist alles ein rechter, an ein paar Klischees entlang konstruierter
Krampf. Gerade darum gilt, was für Linklaters Filme grundsätzlich
gilt: Sie sind ungebrochene ästhetische Dokumente einer von aller
intellektuellen Raffinesse freien Ernsthaftigkeit, die früher mal Slackertum
hieß und sich heute selbst überlebt hat. Nur dass darin immer
schon ihr Wesen lag: Slackertum war nie anderes als überlebte
europäische Hermann-Hesse-Haftigkeit in einer gründlich
amerikanisierten Fassung. Wie Austin, Linklaters Heimatstadt, die amerikanische
Vorstellung einer europäischen Studentenstadt ist, im Herzen von Texas.
Wochenlang hat Linklater mit Ethan Hawke und Julie Delpy einst geprobt, in
Austin, für "Before Sunrise", den Film, der die Europasehnsucht seines
Autors aufs Bildklischee bringt. Natürlich spielt "Before Sunrise" dann
auch nur zum Schein in Wien. Es ist ein Wien, das es nicht gibt außer
als Sehnsuchtsprojektion eines Amerikamüden, der freilich nichts als
die Stereotypen eines kritischen Bewusstseins im Kopf hat, mit denen gar
nichts zu erfassen ist: Amerika nicht, Europa nicht und auch nicht ihr
gegenseitiges Verhältnis. Authentisch ist die totale Verkennung dieses
Sachverhalts. Und authentisch ist die Darstellung von Figuren, die diese
Verkennung mit der dazugehörigen Inbrunst vorführen.
Traumatisiert sind Linklaters Figuren von einer Jugend in Amerika,
von der sie nicht freikommen. Man könnte auch sagen: die Jugend und
das, was sich für die Rebellion gegen das glatte Cheerleader-Leben der
Mehrheit hält, ohne mehr zu sein als ziellose Verwirrung, bleiben der
Horizont dieser Figuren.Sie finden nicht ins Leben, weil sie den Weg für
das Ziel halten. Nur dass dieser Weg gepflastert ist mit kulturkritischen
Gemeinplätzen und abgelatschten Träumereien und also der falsche
auch ohne Ziel. Im schlimmsten Fall - der mit "Waking Life" eingetreten ist
- denken Linklaters Figuren in seinen Worten vor sich hin, wälzen Fragen
der menschlichen Existenz, nicht ohne dabei allen Sinn für Analyse,
Präzision, Leichtigkeit oder Selbstkritik vermissen zu lassen.
"Tape" ist kein Stück von Linklater, aber man erkennt sofort,
was ihn daran reizen musste: Zwei Jungs, Freunde einst, älter geworden,
verbeißen sich zehn Jahre danach ins entscheidende Trauma ihrer
Highschool-Jahre. Das kann nur eine Frau sein, die erste Freundin des einen,
die nie mit ihm schlafen wollte, die eine Affäre mit dem anderen hatte,
in deren Verlauf, wie der eine den anderen nun zuzugeben zwingt, dieser sie
vergewaltigt hat. Der eine nimmt das Geständnis der Tat auf Band auf
- und dann kommt Amy dazu, das Opfer, gespielt von Uma Thurman, die als einzige
ohne sichtliche darstellerische Anstrengung auskommt und daher ihrer Figur
als einziger das Rätsel bewahrt. Ein Rätsel allerdings, das
im Dramaturgischen beinahe aufgeht - und als Pointe schal bleibt. Uma Thurman
rettet, was zu retten ist; im ganzen aber ist der Film, der experimentellen
Anlage zum Trotz, nicht mehr als eine ambitionierte Studententheater-
Aufführung.
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