Zwischen Tradition und Moderne
Der iranische Spielfilm Ten erzählt zehn Episoden
aus dem Leben von sechs Frauen.
Der Junge fuchtelt mit den Händen, seine Augen funkeln, er hält
sich die Ohren zu, schüttelt den Kopf, ruft: Sei ruhig, ich will
das nicht hören, schimpft arme Irre. Am Steuer des
Autos sitzt eine junge Frau, die Mutter des Jungen. Sie hat sich scheiden
lassen. Der Junge will nicht wissen warum. Für ihn ist es klar: Seine
Mutter hat sich unehrenhaft verhalten, so verhält sich eine Frau nicht,
zumindest nicht, wenn sie im Iran lebt.
Ten, gedreht von dem iranischen Regisseur Abbas Kiarostami,
ist ein Film über den Iran, ein Film über Frauen im Iran, ein Film,
der nur im Auto spielt - zehn (Ten) Episoden lang. Fünf Frauen wechseln
den Beifahrersitz - manchmal sitzt dort der Junge - und reden mit der Fahrerin.
Alle zusammen, obwohl sehr unterschiedlich, spiegeln die Situation
der Frau im heutigen Iran wieder, sind Frauen zwischen Tradition und Moderne.
Die Schwester der Fahrerin streicht sich mit Tränen in den Augen ihr
Kopftuch zurück, zeigt schüchtern die kurz geschorenen Haare.
Schön siehst du aus, sagt die Fahrerin und streichelt
zärtlich ihre Wange - Die Frau lächelt. Ich fühle mich
befreit.
Die Kamera verfolgt die streichelnde Hand, hautnah, beobachtet jede
Regung, lässt die Gesichter der Frauen nicht los, nie. Die Situationen
im Auto sind persönlich, die Zuschauerin ist involviert, ist Beifahrerin
mit Kamerablick. Sie lauscht den intimen Gesprächen der Frauen, lernt
sie kennen. Manchmal wirft sie einen Blick aus dem Seitenfenster, auf die
vorbeirauschende Stadt, auf überholende Autos, besetzt mit Männern,
mit Männern, die in dem Film eigentlich keine Rolle spielen - aber dann
irgendwie doch, indirekt. Denn die Gespräche der Frauen drehen sich
um Liebe, um Scheidung, um Ablehnung, um unerfüllte Sehnsüchte,
um den Zwiespalt zwischen Ehe und Beruf, um Religiosität. Zuletzt aber
geht es nur um das eine: die Rolle der Frau im heutigen Iran.
Ist sie so emanzipiert wie die Fahrerin - Mania ist Fotografin und
will kein traditionelles Leben am heimischen Herd fristen -, muss sie sich
den Anfeindungen ihres Sohnes aussetzen. Denn sie hat sich für ihren
Beruf entschieden, fühlte sich in der Ehe lebendig begraben Man
kann nur sich selber gehören, sagt sie ihrem Sohn - ein erster
von vielen Schritten, das männlich-fundierte Rollenverständnis
des heranwachsenden Jungen zu verändern.
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