Die Welt im Bild, als das, was im Kino der Fall ist, reduziert
sich in "Ten" auf das, was die Kamera aus nur drei Perspektiven in den Blick
fallen lässt. Es zeigt sich aber, überdeutlich in der Reduktion,
dass auch mit dem, was außerhalb des Rahmens liegt, den die Perspektive
gibt, zu rechnen ist. Am Ort, im Inneren des Autos, in das, die meiste Zeit,
die Kamera blickt, ist der Rahmen stets mit im Bild, und mehr als einer.
Als Seitenfenster, gerahmter Ausschnitt, Öffnung, Grenze zwischen Innen
und Außen, nicht überschreitbar für die Kamera, die aber
selbst an einer Grenze positioniert zu sein scheint, vor der Frontscheibe,
nicht im Innern, sondern außen, einem Außen, das mit dem direkten
Innenton verschnitten wird zur Illusion unmittelbarer Anwesenheit.
Das Außen ist Hintergrund in Bewegung, vor dem die Fahrerin
und die Mitfahrer still sitzen, wenngleich kaum stumm. Ein Katzensprung für
den Blick, zum Fenster hinaus, das doch die Grenze setzt, einen Rahmen, einen
Abschluss. Die Außenwelt ist getrennt, für den Moment der Setzung,
des schlichten Sitzens, vor der Kamera, im Auto, von den Innenwelten, die
"Ten" vorführt in zehn Episoden. Nicht nur die jeweils durchlaufende
Countdown-Zählung, bereits der Schnitt, der die Erzählung setzt
mit jedem Eintritt in den Innenraum, zieht weitere Rahmen in die Rahmen des
Episodischen, das die Dialoge einen vom anderen trennt. Die Alltäglichkeit
der Situation naturalisiert die Künstlichkeit der Setzungen zum
Schein-Dokumentarischen, das in den Improvisationen der Darsteller sich
ausspielt.
Die Setzung aber der Rahmen, in deren Verschachtelung die Grenze zwischen
Fiktion und Dokumentation immer wieder überschritten und dadurch beinahe
unbestimmbar wird, ist reiner Kiarostami. Als Raum eigener Art prägt
das Auto seit längerem seine Filme. Als abgeschlossener: genauer: sich
immer wieder schließender Raum in Bewegung, damit auch als Raum im
Raum, unbewegter Innenraum im vorüberziehenden Außenraum. Oszillierend
zwischen Eigenraum, mithin Freiheitsraum und klaustrophobischer Enge als
sozialer Bedrängung wie Konzentration. "Ten" ist, mehr als etwa "Der
Geschmack der Kirsche" oder "Der Wind wird uns tragen", ein Film, der zwischen
beiden Logiken des Autos kreuzt. Diese gekreuzte Logik von Freiheit und Enge
ist zudem die genaue kinematische Form der gesellschaftlichen Dinge, die
der Film, im Dialog verhandelt.
Dia-Logik, an der Bild und Ton, dann doch, immer wieder auseinanderfallen.
Nicht alles, was gesagt wird, fällt in den Blick. Nicht ein einziges
Mal sind die Fahrerin und ihre Beifahrer im Innenraum, nächster Nähe
zum Trotz, im selben Bild. Einmal wird die Hors-Scène in der Szene
vorgeführt, in der Episode um die Prostituierte, die im Off bleibt,
Stimme nur, halb übermütig, halb wahnsinnig, auf Scherz oder Ernst
nicht festzulegen, keinen Moment zu sehen. Fast bis zuletzt, denn hier, nur
hier, an dieser Stelle, erfolgt der Sprung hinaus, wird der Blick der Kamera
gewendet von innen nach außen, auf die Prostituierte, die man nun von
hinten sieht, am Straßenrand, ein Auto hält, ein Freier nun, sie
steigt ein, das Auto, das andere Auto, fährt davon.
In der Form dessen, was in den Blick gerät, geraten darf, entfaltet
der Film eine Bild-Logik der Sichtbarkeit, die mit den Tabus in vermittelter
Beziehung steht, die er vorführt. Der Schleier, den die Frau abnimmt,
die sich den Schädel rasiert hat, als Akt der Verzweiflung, als Akt
der Befreiung. Die Prostituierte als verdrängte Wahrheit über das
Verhältnis von Mann und Frau im Iran. Vehement stellt sich die Frage
nach der Position der Frau, die fährt. Zu ihrem Porträt, in
Momentaufnahmen, wird der Film. Sie trägt ein Kopftuch, ist aber geschminkt,
attraktiv und farbig gekleidet im Grau und Schwarz der Frauen, an denen das
Auto vorüberfährt. Immer wieder überprüft sie den Sitz
des Kopftuchs, das für sie offenkundig Schmuck ist, nicht Schleier.
Sie ist Fotografin, Künstlerin, kühl, ja souverän im Umgang
mit den anderen Frauen. Auch mit dem Sohn, der sie ohne Unterlass attackiert,
ihrer Unabhängigkeit wegen, die zur Scheidung geführt hat. Auf
sie fällt der Blick der Kamera am häufigsten, sie scheint
Identifikationsfigur und Instanz der Thematisierbarkeit der Rolle, der
möglichen Rollen, der Frau im Gottesstaat Iran. Als Freundin, als Mutter,
als Ehefrau, als eigenständige Person. Als Zentrum der Welt, die "Ten"
ins Bild bringt, eines mehrfach gerahmten Ausschnitts, einer Innenwelt, in
der das Soziale gerade durch die Reduktion der Form, jenseits eines naiven
Dokumentarismus, darstellbar und damit reflektierbar wird.
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