Filmkritik Anders Thomas Jensen: The Green Butchers (Dk 2003)

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Anders Thomas Jensen: The Green Butchers (Dk 2003)

 

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Anders Thomas Jensen: The Green Butchers (Dk 2003)
Kritik v
on Stefan Höltgen

»Fressen und Gefressenwerden«

... ist eine Leitmetapher kapitalistischer Wirtschaftslogik. Das Bild des "Fressens" zieht sich durch die gesamte Wirtschaftstheorie und -terminologie und ist als solches selbst schon Gegenstand kulturwissenschaftlicher Überlegungen geworden. Was läge also näher, als diesen Begriff von "Fressen" einmal wörtlich zu nehmen und die sozial-ethischen Konsequenzen der Produktions-, Vermarktungs- und Konsumptionslogik an der wörtlich genommenen Metapher auszubuchstabieren? Der Däne Anders T. Jensen hat dies getan und den Betrieb einer Kleinschlachterei zur Parabel für den Wirtschaftskreislauf erklärt.

In "The Green Butchers" bauen sich der narzisstische Choleriker Svend und sein depressiver junger Freund Bjarne einen eigenen Metzgereibetrieb auf. Ihr erstes und wichtigstes Problem ist, was sie ihren künftigen Kunden Besonderes anbieten können. Die Buletten Svends sind nach Ansicht eines konkurrierenden Kollegen so zäh, dass man sie aufblasen könnte und die Marinade, die die vor der Tür stehende Grillsaison einläuten soll, schmeckt angeblich auch nach nichts. Der Zufall will es, dass Svend am ersten Geschäftsfeierabend einen Elektriker in der Kühlkammer der Fleischerei einschließt. Als er diesen am nächsten Morgen tot auffindet, schneidet er ihm - wie er Bjarne gegenüber angibt - "aus Stress und Verzweiflung" einen Unterschenkel ab und verkauft diesen an eine Grillparty als "Hähnchen-Happen". Die Gäste der Grillparty sind überwältigt und bald schon wird Svend der Laden eingerannt und er kann mit der "Produktion" von "Hühnerfleisch" kaum noch nachkommen.

Indes hat Bjarne Probleme mit dem Geld. Sein Zwillingsbruder Egil liegt im Koma und er will dessen lebenserhaltenden Maschinen abschalten lassen, um an die eine Million Kronen zu gelangen, die zum Erbe des Bruders gehören. Der hat nämlich - aus lauter Tierliebe - vor sieben Jahren einen Autounfall verursacht, bei dem Bjarnes Eltern und seine Ehefrau getötet wurde - das auf der Straße stehende Tier hat den Unfall unverletzt überlebt. Bjarne grollt seitdem allen Tieren und sieht auch keinen Anlass, seinem Bruder Mitgefühl entgegenzubringen. Das Krankenhauspersonal hat nichts gegen die Abschaltung, zumal man die Organe Egils für Transplantationen benötigt. Doch ein Wunder geschieht: Just als Egils seziert werden soll, erwacht dieser aus dem Koma. Er, der leichte Gehirnschäden vom Unfall davongetragen hat, ist fortan vom Gedanken beseelt, sich mit Bjarne zu vertragen. Daran hat dieser jedoch nach wie vor kein Interesse.

Die Fleisch- und Verwertungs-Metaphorik dekliniert "The Green Butchers" konsequent auf allen Ebenen seiner Erzählung durch. Das Töten von Tieren und Menschen stellt der Film als denselben Prozess dar. Es geht einzig und allein darum, Gewinn zu erwirtschaften und sich gegenüber der Konkurrenz zu behaupten. Das "Alleinstellungsmerkmal" von Svends Metzgerei ist nur durch einen bösen Zufall entstanden - aber als die Marktlücke einmal "exploriert" war, war es für Svend eine Selbstverständlichkeit, sie auch zu schließen. Dass er Menschenfleisch an seine Kunden verkauft, ist für ihn kein moralisches Problem: Sie wollen es haben und er liefert es. So sind die Gesetze des Marktes. Als er damit die Konkurrenz, vor allem aber seinen feindseligen ehemaligen Vorgesetzten aussticht, wird dieser misstrauisch und stellt Vermutungen in genau die richtige Richtung an. Die Lebensmittelkontrolle - ein Markt regulierendes Instrument anti-wirtschaftsliberaler Prägung - hetzt er Svend auf den Hals. Diesem ist jedoch nichts nachzuweisen und so lässt man den Geschäften wieder ihren freien Gang.

"The Green Butchers" ist ein a-moralischer Film, weil er sein Sujet zu keiner Zeit als das nimmt, was es ist - nämlich eine extreme Tabuverletzung (Kannibalismus) verknüpft mit Rechtsbruch (Mord). Er ist auf der Metaebene dennoch ein sehr moralischer Film, weil recht bald klar wird, dass das Abgebildete für etwas anderes stehen kann - nämlich die eingangs erwähnte marktwirtschaftliche Parabel. Und als solche ist er hochgradig kritisch. Die Verwertungslogik, der in "The Green Butchers" alles untergeordnet wird - von der zwischenmenschlichen Beziehung über Popularitätsgewinne bis hin zu Organspenden, wird als allumfassend gekennzeichnet. Die Gefühlskälte, die solch ein durchökonomisiertes Leben mit sich führt, verdeutlicht vor allem Svends narzisstische Persönlichkeit genauestens: Er opfert jeden emotionalen und logischen Zusammenhang seiner Rechthaberei. Er dreht den Menschen das Wort im Munde herum und interpretiert die Wirklichkeit so, dass sie in sein bilanzierendes Weltbild passt. Die Komik, die daraus entsteht, ist absolut originell, denn sie arbeitet weder mit Wortwitz noch mit Pointen. Vielmehr entsteht sie aus der Absurdität, mit der Svends Denken ihn in den Untergang zu führen droht.

Dieser Untergang bleibt jedoch aus: Die Verbrechen und Tabubrüche werden nicht gesühnt. Als herauskommt, dass gar nicht die "Hähnchen-Happen" der geschäftliche Erfolgsfaktor waren, sondern doch Svends Marinade, wird das Geschäftsziel einfach daran angepasst, und man benutzt künftig weniger aufwändig zu beschaffendes Fleisch. Doch darin offenbart sich nur einmal mehr das Problem des Films und hinterlässt einen unguten "Geschmack" beim Zuschauer: Letztlich ist die Grenze zwischen Tier- und Menschenfleisch dann doch nicht gegeben, wenn man sie aus der Perspektive der Verwertungslogik betrachtet. Moralische Zweifel sind in wirtschaftlichen Zusammenhängen - so suggeriert der Film - nicht angebracht. Als der gelernte Schlachter Bjarne am Anfang des Films einer etwas pikierten Frau nüchtern berichtet, dass er bis zu 1100 Schweine täglich schlachten kann, ist sie über dessen "Kaltblütigkeit", mit der er dies beiläufig erwähnt, erschüttert. Ihre Verwunderung und Bestürzung sind Bjarne jedoch unverständlich - nur deshalb kann er ja für Svend später die "Hähnchen-Happen" fabrizieren. Vegetarische Zweifel (in diesem Sinne "Konsumverweigerung") sind nicht angebracht. Und der Vegetarier/"Idiot" Egil wird konsequenterweise auch erst dann wieder in die Arme der Familie geschlossen, als er sein erstes selbstgeschlachtetes Huhn als Friedensangebot überreicht.

The Green Butchers

(De Grønne Slagtere, DK 2003)

Regie: Anders Thomas Jensen

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