»Fressen und Gefressenwerden«
... ist eine Leitmetapher kapitalistischer Wirtschaftslogik. Das Bild des
"Fressens" zieht sich durch die gesamte Wirtschaftstheorie und -terminologie
und ist als solches selbst schon Gegenstand kulturwissenschaftlicher
Überlegungen geworden. Was läge also näher, als diesen Begriff
von "Fressen" einmal wörtlich zu nehmen und die sozial-ethischen
Konsequenzen der Produktions-, Vermarktungs- und Konsumptionslogik an der
wörtlich genommenen Metapher auszubuchstabieren? Der Däne Anders
T. Jensen hat dies getan und den Betrieb einer Kleinschlachterei zur Parabel
für den Wirtschaftskreislauf erklärt.
In "The Green Butchers" bauen sich der narzisstische Choleriker Svend und
sein depressiver junger Freund Bjarne einen eigenen Metzgereibetrieb auf.
Ihr erstes und wichtigstes Problem ist, was sie ihren künftigen Kunden
Besonderes anbieten können. Die Buletten Svends sind nach Ansicht eines
konkurrierenden Kollegen so zäh, dass man sie aufblasen könnte
und die Marinade, die die vor der Tür stehende Grillsaison einläuten
soll, schmeckt angeblich auch nach nichts. Der Zufall will es, dass Svend
am ersten Geschäftsfeierabend einen Elektriker in der Kühlkammer
der Fleischerei einschließt. Als er diesen am nächsten Morgen
tot auffindet, schneidet er ihm - wie er Bjarne gegenüber angibt - "aus
Stress und Verzweiflung" einen Unterschenkel ab und verkauft diesen an eine
Grillparty als "Hähnchen-Happen". Die Gäste der Grillparty sind
überwältigt und bald schon wird Svend der Laden eingerannt und
er kann mit der "Produktion" von "Hühnerfleisch" kaum noch nachkommen.
Indes hat Bjarne Probleme mit dem Geld. Sein Zwillingsbruder Egil liegt im
Koma und er will dessen lebenserhaltenden Maschinen abschalten lassen, um
an die eine Million Kronen zu gelangen, die zum Erbe des Bruders gehören.
Der hat nämlich - aus lauter Tierliebe - vor sieben Jahren einen Autounfall
verursacht, bei dem Bjarnes Eltern und seine Ehefrau getötet wurde -
das auf der Straße stehende Tier hat den Unfall unverletzt überlebt.
Bjarne grollt seitdem allen Tieren und sieht auch keinen Anlass, seinem Bruder
Mitgefühl entgegenzubringen. Das Krankenhauspersonal hat nichts gegen
die Abschaltung, zumal man die Organe Egils für Transplantationen
benötigt. Doch ein Wunder geschieht: Just als Egils seziert werden soll,
erwacht dieser aus dem Koma. Er, der leichte Gehirnschäden vom Unfall
davongetragen hat, ist fortan vom Gedanken beseelt, sich mit Bjarne zu vertragen.
Daran hat dieser jedoch nach wie vor kein Interesse.
Die Fleisch- und Verwertungs-Metaphorik dekliniert "The Green Butchers"
konsequent auf allen Ebenen seiner Erzählung durch. Das Töten von
Tieren und Menschen stellt der Film als denselben Prozess dar. Es geht einzig
und allein darum, Gewinn zu erwirtschaften und sich gegenüber der Konkurrenz
zu behaupten. Das "Alleinstellungsmerkmal" von Svends Metzgerei ist nur durch
einen bösen Zufall entstanden - aber als die Marktlücke einmal
"exploriert" war, war es für Svend eine Selbstverständlichkeit,
sie auch zu schließen. Dass er Menschenfleisch an seine Kunden verkauft,
ist für ihn kein moralisches Problem: Sie wollen es haben und er liefert
es. So sind die Gesetze des Marktes. Als er damit die Konkurrenz, vor allem
aber seinen feindseligen ehemaligen Vorgesetzten aussticht, wird dieser
misstrauisch und stellt Vermutungen in genau die richtige Richtung an. Die
Lebensmittelkontrolle - ein Markt regulierendes Instrument
anti-wirtschaftsliberaler Prägung - hetzt er Svend auf den Hals. Diesem
ist jedoch nichts nachzuweisen und so lässt man den Geschäften
wieder ihren freien Gang.
"The Green Butchers" ist ein a-moralischer Film, weil er sein Sujet zu keiner
Zeit als das nimmt, was es ist - nämlich eine extreme Tabuverletzung
(Kannibalismus) verknüpft mit Rechtsbruch (Mord). Er ist auf der Metaebene
dennoch ein sehr moralischer Film, weil recht bald klar wird, dass das
Abgebildete für etwas anderes stehen kann - nämlich die eingangs
erwähnte marktwirtschaftliche Parabel. Und als solche ist er hochgradig
kritisch. Die Verwertungslogik, der in "The Green Butchers" alles untergeordnet
wird - von der zwischenmenschlichen Beziehung über Popularitätsgewinne
bis hin zu Organspenden, wird als allumfassend gekennzeichnet. Die
Gefühlskälte, die solch ein durchökonomisiertes Leben mit
sich führt, verdeutlicht vor allem Svends narzisstische Persönlichkeit
genauestens: Er opfert jeden emotionalen und logischen Zusammenhang seiner
Rechthaberei. Er dreht den Menschen das Wort im Munde herum und interpretiert
die Wirklichkeit so, dass sie in sein bilanzierendes Weltbild passt. Die
Komik, die daraus entsteht, ist absolut originell, denn sie arbeitet weder
mit Wortwitz noch mit Pointen. Vielmehr entsteht sie aus der Absurdität,
mit der Svends Denken ihn in den Untergang zu führen droht.
Dieser Untergang bleibt jedoch aus: Die Verbrechen und Tabubrüche werden
nicht gesühnt. Als herauskommt, dass gar nicht die "Hähnchen-Happen"
der geschäftliche Erfolgsfaktor waren, sondern doch Svends Marinade,
wird das Geschäftsziel einfach daran angepasst, und man benutzt
künftig weniger aufwändig zu beschaffendes Fleisch. Doch darin
offenbart sich nur einmal mehr das Problem des Films und hinterlässt
einen unguten "Geschmack" beim Zuschauer: Letztlich ist die Grenze zwischen
Tier- und Menschenfleisch dann doch nicht gegeben, wenn man sie aus der
Perspektive der Verwertungslogik betrachtet. Moralische Zweifel sind in
wirtschaftlichen Zusammenhängen - so suggeriert der Film - nicht angebracht.
Als der gelernte Schlachter Bjarne am Anfang des Films einer etwas pikierten
Frau nüchtern berichtet, dass er bis zu 1100 Schweine täglich
schlachten kann, ist sie über dessen "Kaltblütigkeit", mit der
er dies beiläufig erwähnt, erschüttert. Ihre Verwunderung
und Bestürzung sind Bjarne jedoch unverständlich - nur deshalb
kann er ja für Svend später die "Hähnchen-Happen" fabrizieren.
Vegetarische Zweifel (in diesem Sinne "Konsumverweigerung") sind nicht
angebracht. Und der Vegetarier/"Idiot" Egil wird konsequenterweise auch erst
dann wieder in die Arme der Familie geschlossen, als er sein erstes
selbstgeschlachtetes Huhn als Friedensangebot überreicht.
The Green Butchers
(De Grønne Slagtere, DK 2003)
Regie: Anders Thomas Jensen
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