Unsere Massenkultur mag so global werden, wie sie will, Kipling
könnte dennoch recht behalten mit seiner Ansicht, dass der Osten und
der Westen sich nie begegnen würden. Als amerikanische Kinofans das
Hongkong-Action-Kino der 80er und 90er Jahre entdeckten, fühlten sie
sich sofort von seiner Rücksichtslosigkeit, seiner
Anything-goes-Mentalität angezogen; Filme wie Tsui Harks Peking Opera
Blues und Johnnie Tos The Heroic Trio mischten Stimmungen und
Stile mit einer vergnüglichen Sorglosigkeit, die der Action-Ware aus
Hollywood entschieden fehlte. Das gelang ihnen, ohne wirkliche Gefühle
oder ernsten moralischen und politischen Inhalt dafür zu opfern - Elemente,
mit denen wir hier oft nichts anfangen konnten. John Woos in Hongkong gedrehte
Filme sind dafür ein gutes Beispiel. In Amerika wurden ihr Sentiment
und die exzessive Gewalt als ironisch wahrgenommen. Wie jedoch der
Filmtheoretiker David Bordwell schreibt, "haben Hardcore-Fans des Hongkong-Kinos
kein Interesse an Spott. Statt sich an der Ironie zu weiden, die von der
Postmoderne zu unser aller Schicksal erklärt wurde, (erkennen diese
Fans) eine naive, nonkonformistische Aufrichtigkeit, die den Produkten für
den Massenmarkt fehlt." Die Genre-Experimente des Hongkong-Kinos sind seither
von auf Süffisanz setzenden amerikanischen Filmen wie Neil LaButes
Nurse Betty aufgegriffen worden, aber Jiang Hu - The Triad Zone,
eine Gangstersaga des Newcomers Dante Lam aus dem Jahr 2000, erinnert uns
daran, wie effektiv die Formel sein kann. Sein Ton springt wild von alberner
Komödie zu ernsthafter Nachdenklichkeit, aber irgendwie löscht
das eine nie das andere aus - ja, das schroffe Nebeneinander von beidem macht
die Emotionen des Films nur bewegender.
Jim Yam (Tony Leung Ka-fai aus The Lovers) ist der Anführer
der Hung-Bo-Gang, einer der vier wichtigen Triaden Hongkongs. Er hat sich
mit Vertrauten umgeben: seiner Frau Sophie (Sandra Ng), seinem Bodyguard
Yue (Roy Cheung), seiner Geliebten Jo Jo (Lee San-san) und seinem Anwlat
Wai (Chan Fai-hung). Der Film beginnt mit einer Szene in einem Restaurant,
in der Jim einen jungen Punk attackiert, der ihm Vorträge über
IPOs und die sich auftuende Kluft zwischen den Generationen hält, statt
seine Schulden zurückzuzahlen. In Zeitlupe segelt Wein durch die Einstellung
und Jim feiert seinen Triumph in einem Tanz auf dem Tisch. Seine
Selbstzufriedenheit währt jedoch nicht lange: jemand hat geschworen,
ihn innerhalb der nächsten 24 Stunden zu töten und beim Versuch,
den mysteriösen Attentäter ausfindig zu machen, muss er feststellen,
dass er die Menschen in seiner Umgebung weniger gut kennt als er gedacht
hat.
Der Film reflektiert eine Reihe von Entwicklungen im Hongkong-Kino:
das neue Interesse an der Liebesgeschichte (weiteres Beispiel: Wilson Yips
Juliet in Love), die Wendung des Gangsterfilms zu Jugendlichen (Young and
Dangerous, der eine Menge Fortsetzungen, Prequels und Spin-Offs zur Folge
hatte) und, vor allem, ein stärkeres Bewusstsein für die eigene
Genre-Zugehörigkeit. Amerikanische Regisseure wie LaBute und die
Coen-Brüder verwenden gerne Genre-Referenzen, um sich über ihre
Charaktere lustig zu machen und ihre eigene kulturelle Überlegenheit
zu bestätigen, aber der Humur in Jiang Hu ist sanfter und liebevoller
- und mit der Synthese von Romanze und Gangsterfilm erschafft Lam einen
Genrefilm, der von der Sterblichkeit und von der Desillusionierung durch
das Älterwerden handelt. Auf seiner Jagd nach dem Attentäter zeigt
sich, dass Jim zwischen einer älteren Generation von Männern, die
nun dem natürlichen Verfall erliegen (einer seiner Rivalen stirbt an
Lungenkrebs, eine Szene, die Lam gekonnt mit einer extremen Nahaufnahme einer
Zigaretten-Rauchfahne einführt) und einer jüngeren Generation von
Möchtegern-Gangstern, die sich um Ethik noch weniger bekümmern
als er selbst.
Das Drehbuch von Chan Hing-kar und Amy Chin nimmt viel unterschiedliches
Material in sich auf, von einer Parodie auf Johnnie Tos The Mission
(1999) bis zu einem buchstäblichen Deus ex Machina. Auf ein bewegendes
und intensives Gespräch zwischen Jim und Sophie folgt die blutigste
Szene des Films, ein Schusswechsel, den das Paar mit Mühe und Not
überlebt. Und nach einer Folge von ungewöhnlichen Kameraperspektiven
und schnellen Schnitten gibt es eine Szene, die in einer einzigen Einstellung
aus der Distanz aufgenommen ist, fast wie bei Edward Yang.
Einige dieser raschen Wechsel sind verwirrend, aber der Film ist mehr
als die Summe seiner Teile. Ein taoistischer Gott, Master Kwan (Wong), erscheint
in einer Allee, um Jim vor dem Attentäter zu bewahren, aber was als
Gag beginnt, bekommt im weiteren Fortgang der Geschichte tiefere Bedeutung.
In einem blauen Kopfschmuck und einem Mantel, der Liberace peinlich gewesen
wäre, begleitet Kwan Jim nach Hause, erklärt, dass er Gebete nach
Lust und Laune erhört (gerade oft genug, dass die Leute noch an ihn
glauben), sieht sich Softporno im Fernsehen an und nimmt an einem Treffen
der Hung Bo teil. Schließlich bekommt dieser Nebenstrang eine Wendung
ins Nachdenkliche: nachdem Sophie entdeckt hat, dass Jim eine Geliebte hat,
klagt Kwan darüber, wie sehr ihn die Welt enttäuscht hat. Auf wunderbar
komische Episoden (eine romantische Montage von Jim und Sophie, die Leute
in London ausrauben) folgt eine Stimmung des Bedauerns in letzter Minute.
Anfangs erscheint Sophie wie die Männerfantasie einer eiskalten
Geschäftsfrau und Sexgöttin, aber am Ende des Films wird der Schmerz
ihrer Konzessionen an das Eheleben und das Gangsterdasein fühlbar. Einmal
hält sie Jim ein Messer an die Kehle, um ihn von der Rückkehr nach
Hongkong abzuhalten; jetzt bleibt ihr nur noch ihre traurige Resignation
angesichts seines Verhältnisses zu einer anderen Frau.
Lam verwendet das visuelle Vokabular des Hongkong-Kinos - schiefe
Perspektiven, irre Zooms, freeze frames, Jump Cuts - aber der virtuose Stil
gründet auf dem Fundament echten menschlichen Dramas, wenn er seine
Charaktere im Kampf mit dem Altern und der Erkenntnis, dass, wie in Jims
Fall, ihre Zeit zuende geht, zeigt. Mit seinen Schluss-Wendungen
beweist uns Lam, dass die Liebe zum Kino nicht in ein Spiegelkabinett
führen muss. Wenn er dieses Geheimnis nur anderen Filmemachern verraten
könnte.
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Übersetzung: Ekkehard Knörer |