Was ist über die Stimme Julie Koltais zu sagen. Wie spricht sie
zu uns. Spricht sie zu uns. Zu wem spricht sie, wenn nicht zu uns. Wer spricht.
Cézanne spricht. Julie Koltai spricht Cézanne. Zu uns? Nur
ganz gelegentlich die Erinnerung, als Einwurf, als Frage: Sie spricht, als
Cézanne, zu Joachim Gasquet (den Jean-Marie Straub spricht).
Wie spricht sie Cézanne, vielleicht zu uns. Mit Verve. Woher kommt
diese Verve, wohin zielt sie. Modulationen, die sich vom Sinn der Worte nie
ganz lösen. Die den Worten eine Verve geben, die sie dann immer schon
zu haben scheinen. Verve - Nachdruck. Druck. Dringlichkeit. Ausrufezeichen
in der Stimme. Höhepunkte der Suada: Verfluchungen. Verflucht, ist das
schön! Das lebt! Das ist keine Malerei! Er ist kein Maler!
Zu den Tönen die Bilder. Den Bezug sieht jedes Kind. Die Stimme
Cézannes spricht über die Bilder, die wir sehen. Ingres, Courbet,
Delacroix. Die Stimme Cézannes, der vielleicht zu uns spricht, mit
der Stimme Julie Koltais, macht uns sehen, was wir sehen. Sie behauptet die
Bilder, die uns gezeigt werden. Als Reproduktionen und Originale. Die Kamera
reproduziert die Originale. Straub und Huillet stellen die Kamera im Louvre
vor die Bilder, mit Wand, ohne Wand, auch einmal den Ausschnitt
vergrößernd, mit Rahmen, ohne Rahmen und machen mit der Stimme
Cézannes uns sehen, geben uns zu sehen. Eine Sehaufgabe.
Die Stimme Cézannes, die Stimme von Julie Koltai, die Stimme von
Jean-Marie Straub und Danièle Huillet. Oder geht das jetzt zu schnell.
Wir dürfen die Schwarzbilder nicht vergessen. Wir dürfen die Bilder
der Natur, die Bilder von Paris zu Beginn, die Bilder der Natur am Ende,
die dürfen wir nicht vergessen. Sie sprechen zu uns ohne Stimme, sie
sind uns zu sehen gegeben durch den Schnitt, der sie von den Bildern des
Museums trennt. Die Stille der Kamera angesichts der Bilder und der Stimme,
die Cézanne spricht. Die Kamera bewegt sich nicht, im Museum.
(Andächtig?) Die Kamera bewegt sich, auf den Louvre zu über die
Seine, den Louvre entlang und wieder zurück. Die Kamera bewegt sich,
im Wald, in der Natur, ein Bach, Wasser, Bäume, Steine. Bewegung. Ruhe.
Der Druck, die Verve, das Schweigen. Die Stimme Cézannes, die Stimme
von Straub und Huillet. (Andächtig?)
Die Wahrheit in der Malerei für Cézanne: Es lebt. Es kreist.
Ca, das. Die Ausrufezeichen in der Stimme Julie Koltai scheinen immer wieder
nur sagen zu wollen: Ca, das. Ecce, siehe. Es lebt, es kreist. Nur zum Beispiel,
sagt die Stimme und richtet unseren Blick auf die linke Seite des Bildes,
die Säule, der Marmor. Da, siehe. Die Stimme trotzt uns die Bewegung
ab, der Blick der Kamera bleibt unbewegt. Dies also nur zum Schein. Die Stimme
bewegt sich gegen den starren Blick der Kamera, der ihr doch folgt zu den
Gemälden, von denen sie spricht. Der Kamerablick, der den Blickraum
öffnet für die Anweisungen der Stimme. Straub und Huillet stellen
die Kamera vor die Gemälde, vor denen die Stimme Cézannes - zu
uns! - sagt: Ca, siehe. Das lebt.
Jetzt aber die entscheidende Frage: Welche Freiheit lässt mir der Film?
Welche Freiheit wünscht er sich für mich? Ist Platz für mich
zwischen der Verve der Stimme Cézannes/Koltais und den zu sehen
aufgegebenen Bildern. Wie habe ich mich, wie darf ich mich, wie kann ich
mich zu den Ausrufezeichen verhalten. Was ist, wenn ich sage: Nein, non.
Nein! Ideologie! Blödsinn! Darf ich das, darf mir das, was die Stimme
Cézannes hier sagt, nicht weiter interessant vorkommen? Ist das nicht
eine Predigt der verschiedenen Stimmen (Cézanne, Koltai, Straub/Huillet,
die Gemälde, die Kamera), die nur eines sagt: Ca, das lebt, ecce, siehe.
Habe ich die Freiheit, den Kopf zu schütteln. Habe ich die Freiheit,
nichts zu sehen, anderes zu sehen? Was bleibt dann vom Film?
Meine Antwort (denn ich habe den Kopf geschüttelt): Es bleibt die Klarheit
einer Sprache der Bevormundung, die sich als Sprache der Freiheit ausgibt.
Es ist kein Raum für eine Gegenstimme. Die Fahrt durch die Natur, am
Ende, versteht sich als Probe aufs Exempel des erlernten Blicks. Die Freiheit
ist Schein. Man muss sie wollen, um sie haben zu dürfen. Mit dem, der
den Kopf schüttelt, will dieser Film nichts zu tun haben, mit dem, der
nicht sehen will, was ihm zu sehen aufgegeben wird, will er nichts anfangen.
Wer die Bewegung des Films zur Reinheit nicht mitmachen will, wird aus ihm,
unwiderruflich, exkommuniziert. Wer die Gegenstimme erhebt, ist der Feind.
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