Keine Sorte Film, sollte man meinen, gibt es, die das blühende
koreanische Kino in den letzten Jahren nicht hervorgebracht hätte. Vom
brisanten Politthriller wie "Joint Security Area" über das durchgeknallte
Sci-Fi-Epos wie "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" bis zu den
so bildgewaltigen wie gewalttätigen Kunstfilmen Kim Ki-Duks ("The Isle"
oder, vor zwei Jahren in Berlin, "Bad Guy"), alles, denkt man, ist jetzt
da gewesen. Und dann gelingt die Verblüffung doch wieder: Mit "Untold
Scandal" nämlich hat sich der junge Regisseur E J-yong nichts anderes
vorgenommen als die Verfilmung des französischen Klassikers
"Gefährliche Liebschaften" von Choderlos de Laclos, dem Filmliebhaber
vertraut in der Version von Stephen Frears.
Yong verlegt die Geschichte dabei keineswegs in die Gegenwart, sondern
transportiert sie, ohne mehr als nur ein paar Knöchelchen ihres Skeletts
zu verändern, ins Korea des 18. Jahrhunderts, die Zeit der Chosun-Dynastie.
Das ist ein Wagnis, und mehr als das, eine wahre Tollkühnheit, denn
wenn ein Roman einen historisch wie kulturell spezifischen Ort hat, dann
Laclos' Vorlage, die das französische Rokoko an jenem Gipfelpunkt erwischt,
an dem die durchgeklügeltste Semantik und Semiotik des Liebens, die
die Geschichte - jedenfalls nach der Antike - kennt, sich in der souveränen
Handhabung doppelmoralischer Raffinessen an den Rand des noch Handhabbaren
komplizierte. Voraussetzung der neuen Wertgesetze des Liebens ist dabei gerade
die Skrupellosigkeit, die mit den Skrupeln derer spielt, die noch Skrupel
kennen: die Überschreitung der moralischen Standards gibt den Kitzel
und die Entkopplung von Sex und Liebe im ehelichen Alltag treibt den Preis
für den Zusammenfall beider - was, versteht sich, nur außerhalb
der Ehe denkbar ist - in schwindelnde Höhen.
Der Plot der "Gefährlichen Liebschaften" ist so einfach wie infam:
Ein Mann des Hofes liebt eine Frau des Hofes, die ihm zur Aufgabe stellt,
die unschuldigste und unzugänglichste Frau, die sich in Reichweite befindet,
zu verführen. Der Preis ist sie selbst. Das ist im Grunde auch die
Geschichte von "Untold Scandal", statt mit Valmont und der Marquise de Merteuil
bekommt man es hier mit Lady Cho und Cho Won zu tun, die Verstrickungen aber
bleiben - im Grundriss - dieselben. Man muss nun über die koreanische
Chosun-Dynastie nichts wissen, um zu ahnen, dass dergleichen dort wohl kaum
sich zutragen konnte - und in jedem Fall ist derartiges aus dieser Zeit nicht
überliefert. Auf diesen letzteren Tatbestand bezieht sich der Titel,
darauf bezieht sich auch ein kurzer Vorspann, der die Zweifel
beiseiteräumt, indem er sie teilt und damit, im eingeräumten
Unwahrscheinlichen, die Lücke öffnet für die skandalösen
Vorgänge, die er schildert.
Und man sehe und staune, das ganze höfische Intrigenspiel wird
entfaltet, nun aber im koreanischen Gewand, mit erstaunlichsten Hüten,
asiatischen Kleidern undsoweiter. Man sitzt meist auf dem Boden - und schon
das macht einen gewaltigen Unterschied. Das Tempo ist verlangsamt, statt
Dynamik setzt E J-yong auf Statik, die Entwicklung ist ins mehr ins Einzelbild
verlagert, ins Zucken der Mundwinkel, ins Hochziehen der Braue. "Untold Scandal"
ist ein Kostümfilm (der sich mit Absicht über historische Akuratesse
hinwegsetzt), ein Ausstattungsfilm, ein Schauspielerfilm, ein Augenfilm.
Auch ein Ohrenfilm, denn auf der Tonspur kommentiert er seine gewagte
interkulturelle Zwischenlage selbst. Meist umspielt er die koreanischen Intrigen
mit europäischer Musik, viel Bach, nur einmal reißt er den Betrachter
aus dieser schnell vertrauten Melange und setzt ein koreanisches Musikensemble
an einen See, das die vertraute Geschichte im unvertrauten Gewand fürs
westliche Ohr geradezu schockartig verfremdet. Das ist der Zwischenton, der
bleibt.
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