Niki Caro: Whale Rider  (Neuseeland 2002)

.

Jump Cut Filmkritik
__________________
Magazin für Film & Kritik:
Rezensionen und News.

Impressum



.

Videos bei Amazon
Videos & DVDs bei Amazon

Niki Caro: Whale Rider  (Neuseeland 2002)

 

Schwesterseiten

Auteur.de - Lexikon der Regisseure
Comix-Corner - die Comic-Website
Crime-Corner - die Krimi-Website
Literatur-Corner - die Seite für Literaturkritik
.

Archiv

Filmkritik
Filmbuchkritik
Filmklassiker
Alle alten Kritiken in der Übersicht
.

Interaktiv

Forum
Diskutieren Sie über Filme und/oder unsere Kritiken!

Mail
Was immer Ihnen an uns passt oder nicht passt.

.

Niki Caro: Whale Rider  (Neuseeland 2002)
Kritik v
on Ulrike Mattern

 

Es kann nur eine geben

Der weltweite Erfolg des neuseeländischen Films „Whale Rider“ ist ein Phänomen. Mit einem für einheimische Produktionen relativ üppigen Budget von sechs Millionen Dollar drehte ein Ensemble aus Laien- und professionellen Darstellern in einem kleinen Ort am East Cape Neuseelands einen Film über einen Wal und ein Mädchen.

Die 1966 geborene Regisseurin Niki Caro, deren Filmbiographie bis dato einige Kurz- und einen preisgekrönten Spielfilm („Memory & Desire“) enthielt, wurde als Neuseeländerin europäischer Herkunft die Verfilmung des gleichnamigen Romans eines berühmten Maori-Schriftstellers angeboten. Witi Ihimaera schrieb „Whale Rider“ 1987 bei einem Aufenthalt in New York und widmete das Buch seinen Töchtern, die sich nach einer weiblichen Heldin gesehnt hatten. Es verknüpft eine tausend Jahre alte Geschichte der Maori, die lange vor den europäischen „Entdeckern“ die beiden Inseln im Südpazifik besiedelten, mit dem Kampf eines Teenagers um die Zuneigung ihres Großvaters und die Anerkennung als legitime Nachfolgerin des „Walreiters“.

In den letzten Jahren machte Neuseeland vorwiegend als Drehort der aufwändigen „Herr der Ringe“-Trilogie von dem in Wellington ansässigen Regisseur Peter Jackson sowie „Der letzte Samurai“ mit Tom Cruise von sich reden. Mit Land und Leuten haben diese Filme primär nichts zu tun. Sie nutzen die spektakuläre Landschaft als Kulisse, profitieren von günstigen Arbeitsbedingungen und – bis auf Ausnahmen – von der ihnen entgegen gebrachten Begeisterung, ein kleines Land am Rande der Weltkarte für kurze Zeit in das Zentrum des (Film-)Interesses zu rücken.

Originäre Stoffe aus Aotearoa, dem Land der langen weißen Wolke, wie Neuseeland in der Sprache der Maori heißt, kamen erst in den 90ern mit Filmen von Jane Campion („Das Piano“), Peter Jackson („Heavenly Creatures“) oder Lee Tamahori („Die letzte Kriegerin“) in die internationalen Kinos. Bis auf letzteren übernehmen in allen Filmen die ersten Einwohner Neuseelands eine marginale Rolle. Cliff Curtis, einer der Hauptdarsteller aus „Die letzte Kriegerin“ und seit diesem Erfolg auf der Besetzungsliste internationaler Produktionen („Training Day“, „Three Kings“), beschreibt sein Debüt in „Das Piano“ als „exotische Beigabe zur Story“.

Die Interpretation der Maori-Kultur oblag seit der Inbesitznahme Neuseelands durch die englische Krone im 19. Jahrhundert den Nachfahren der europäischen Kolonialherren. In den Archives of New Zealand in Wellington liegt das Original des Treaty of Waitangi, des 1840 unterzeichneten Vertrages zwischen den Stammesführern der Maori und den Vertretern der englischen Krone. Ein Abkommen, dessen fragwürdige Interpretation und praktizierte Ungerechtigkeit heute von Regierungsseite offiziell bedauert wird. Nach mehr als hundertjährigem Ringen um Identität und Autonomie auf Seiten der Maori veränderte sich seit den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts bei der von den Europäern abstammenden Bevölkerung, den Pakeha, schrittweise die Wahrnehmung der nationalen Geschichte. Entschädigungszahlungen und vereinzelte Landrückgabe sowie die Definition als bikulturelle Nation führten zu einer partiellen Annäherung zwischen Pakeha und Maori sowie zu einem wachsendem Selbstbewusstsein bei letzteren. Als „Maori Renaissance“ wird der Prozess der Rückbesinnung auf die eigenen Traditionen und ihre Vermittlung an die jüngere Generation bezeichnet.

Fast zehn Jahre liegen zwischen dem 1994 in den Kinos startenden Sozialdrama „Die letzte Kriegerin“ und der seit zwei Wochen auch bei uns laufenden Emanzipationsgeschichte „Whale Rider“. Nie zuvor hatte ein Autor das Elend der ersten Bewohner Neuseelands, die heute 15 Prozent der Gesamtbevölkerung stellen, so drastisch zu Papier gebracht wie Alan Duff, auf dessen Roman „Once Were Warriors“ der Film von Lee Tamahori basiert.

In einer heruntergekommenen Gegend von Auckland, neben einem Highway, lebt eine siebenköpfige Maori-Familie, die an Gewalt und Alkoholismus fast zugrunde geht. Die Tochter erhängt sich nach ihrer Vergewaltigung durch den Onkel (Cliff Curtis, der in „Whale Rider“ den meist abwesenden, aber liebevollen Vater von Paikea spielt). Der großmäulige Vater Jake weiß sich in seinem Schmerz nicht anders zu helfen, als den Baum zu fällen, an dem sich die Tochter aufknüpfte. „I make the desicions for my family“, schleudert ihm seine Frau Beth, die er in den 18 Ehejahren regelmäßig schlug, in der letzten Szene auf einem Parkplatz vor der Stammkneipe ins Gesicht. „Our people once were warriors, people with manga, with pride.“ Wie eine große stolze Schwester der zarten Paikea aus „Whale Rider“ wirkt die von Verlust und Schmerz gezeichnete Beth.

Alan Duff hat die Geschichte der Familie weiter erzählt. „What becomes of a broken hearted?“, der zweite Teil seiner Trilogie (der dritte erschien Weihnachten 2002 als Buch in Neuseeland) war als gleichnamiger Film 1999 bei der Verleihung der New Zealand Film Awards in mehreren Kategorien nominiert – und wurde in der Abteilung „Bester Film“ von dem Spielfilmdebüt „Memory & Desire“ der damals noch unbekannten Regisseurin Niki Caro geschlagen.

Innerhalb der Maori-Community regt sich immer dann lautstarker Protest, wenn eines ihrer Themen von einem/einer Pakeha interpretiert wird. Schenkt man dem Presseheft und zahlreichen Artikeln aus Neuseeland Glauben, überzeugte die junge Regisseurin die kritische Gemeinschaft am East Cape durch gute Sprachkenntnisse in Maori und einen sensiblen Umgang mit dem Thema.

Anders als dem von einem Festival zum anderen schwimmenden „Whale Rider“ – unter anderem Publikumspreis in Toronto sowie Auszeichnungen in Sundance, Rotterdam und San Sebastian – sind Produktionen von Maori normalerweise kein großes Publikum vergönnt. In seinem Essay „Maori im neuseeländischen Film. Die Sichtweise eines Pakeha“ stellt der neuseeländische Professor Sam Edwards die wenigen Filme vor und diskutiert unter anderem das ihnen teilweise inhärente Problem der „kulturellen Kolonialisierung“, das heißt das Zurückgreifen auf ein Stereotyp – zum Beispiel das Image des Kriegers, des edlen Führers, des „noblen Wilden“ – bei gleichzeitiger Kritik an der selektiven Wahrnehmung ethnischer Vielfalt.

Einen anderen Weg schlug vor zwei Jahren der Schauspieler („Sleeping Dogs“) und Regisseur Don Selwyn ein: Er drehte den ersten Film auf Maori, mit englischen Untertiteln, nach einem Stück von Shakespeare. „The Maori Merchant of Venice“ erhielt den Publikumspreis auf dem Filmfestival in Hawaii und tourte durch einige neuseeländische Kinos. Betrachtet man das Phänomen „Whale Rider“, nach dem Start von „Rain“ im Frühjahr bereits der zweite neuseeländische Film in diesem Jahr – nicht zu vergessen, dass in wenigen Monaten der dritte Teil von „ Herr der Ringe“ wieder das ganz große internationale Publikum erreichen wird –, lässt sich sein Erfolg auf die Adaption einer simplen Textur zurückführen, mit der Hollywood an der Kinokasse seit jeher Millionen einspielt: Held(in) wider Willen überwindet alle Barrieren und triumphiert am Ende. „Whale Rider“ schickt dazu die charismatische Debütantin Keisha Castle-Hughes als tugendhaftes Mädchen Paikea auf die spirituelle Sinnsuche. Ein Konzept, das, trotz unterschiedlicher Problematik, bereits den australischen Film „Long Walk Home“ über die Stolen Generation aus den Arthouse-Kinos in die Multiplexe und damit in eine große Öffentlichkeit brachte.

Als Rollenvorbild für moderne junge Frauen, Anliegen ihres Schöpfers, des Schriftstellers Witi Ihimaera war, gerät Paikea im Film zu perfekt, fast aseptisch. Sie personifiziert eine Strömung innerhalb der Maori-Gesellschaft, die in der Bewahrung der Tradition, der Rückkehr zu den alten Werten, die Lösung für aktuelle Probleme sieht. Der Moment der Emanzipation, das deutlich angelegte feministische Profil der Figur, bekommt einen Hang zum Heroismus im Sinne einer stetig gegen den Widerstand des sturen Großvaters ankämpfenden, jede Zurückweisung schluckenden Leidensgestalt. Es kann nur eine geben, suggeriert der Film von Anfang an, und viele magische Momente weisen auf diese mythische Bestimmung hin. Doch wenn Paikea in der letzten Szene den Ton im Waka, dem Kriegskanu, angibt, fragt man sich ungläubig, wohin die Reise geht. Lebt’s sich so am anderen Ende der Welt?

*In: Hartmut Jäcksch (Hg.): Maori und Gesellschaft. Wissenschaftliche und literarische Essays. Berlin: Mana-Verlag 2000, S. 117–140

Siehe auch:

David Flickling: „The return of the native“, The Guardian, 10.7.2003

Nicola Shepheard: „Making Waves“, North & South, February 2003

OnFilm, December 2002
Interview mit Niki Caro in: Metro, January 2003

Zum „Maori Merchant of Venice“

zur Jump Cut Startseite

zum Diskussionsforum

.

Suche


powered by crawl-it
.

Newsletter

Anmelden zum Jump Cut Newsletter mit wöchentlichen News und Updates

Powered by KBX7

.

Jump Cut Partner

DVDs & Videos
Suchbegriffe:



In Partnerschaft mit Amazon.de

.

Internet Movie Database


Filmtitel Person
Powered by www.IMDb.com