Ohne Dogma in Schottland
Es war einmal eine Gruppe von Regisseuren aus Dänemark, die das
Metier mit radikalen Thesen auf den Kopf stellten. Sie drehten intime Filme
mit Handkamera ohne technischen Schnickschnack.
Ihre Geschichten über Inzest, Irre, Familienfeiern und Beziehungen
wurden von Festival zu Festival weitergereicht und mit Preisen
überschüttet. Als sie allen gezeigt hatten, dass authentisches
Kino ohne Bombast möglich ist und die halbe Branche mit der Handkamera
herumwackelte, beendeten sie das Kapitel und brachen auf zu neuen Ufern.
Dogma war gestern. Jetzt dreht auch die "Schwester" aus der
dänischen Bruderschaft um Lars von Trier und Thomas Vinterberg in
Cinemascope, mit fettem Soundtrack und internationalen Schauspielern. Zusammen
mit Anders Thomas Jensen schrieb die Filmemacherin Lone Scherfig das Drehbuch
zu der nun startenden schwarzen Komödie "Wilbur wants to kill
himself".
Vor zwei Jahren erhielt Scherfig den Silbernen Bären auf den
Berliner Filmfestspiele für ihr melancholisches Werk "Italienisch für
Anfänger". "Wilbur wants to kill himself" lief dieses Jahr gleichzeitig
mit dem Ende März im Kino gestarteten Film "It's all about love" von
Thomas Vinterberg in einer Sondervorführung auf dem Festival in Berlin.
Beide Regisseure bewegen sich nach der freiwillig verordneten
Abmagerungskur wieder im filmischen Speckgürtel - mit unterschiedlichen
Resultaten. Vinterberg opferte seine Figuren in einer im eiskalten Weißblau
inszenierten Science-Fiction-Story über die letzten Tage der Menschheit
in einem Schneesturm. Lone Scherfig verpflanzte ihre traurigen Gestalten,
die in vielen Zügen an die nach Liebe suchenden Sprachschüler aus
"Italienisch für Anfänger" erinnern, zwischen die verstaubten Regale
einer Buchhandlung im schottischen Glasgow.
Dort versucht Wilbur mit immer neuen Varianten seinem Leben ein Ende
zu setzen. Wenn er seinen Kopf in den Gasherd steckt oder eine Überdosis
Tabletten schluckt, ist stets der ältere Bruder Harbour zur Stelle,
um ihn zu retten. Das Leben der ungleichen Geschwister spielt sich zwischen
dem vom Vater geerbten Secondhand-Buchladen und der Psychiatrie ab, in der
Wilbur nach jedem Suizidversuch landet. Als Harbour sich in verliebt und
heiratet, verändert sich das Leben der Brüder.
Im Gegensatz zu Vinterbergs apokalyptischem Szenarium, das einen in
seiner Künstlichkeit zum Frösteln brachte, pflegt Scherfig ihre
Charaktere wie zarte Pflänzchen, deren Triebe durch den Einsatz klassischer
Filmtinktur nicht manipuliert werden. Sie habe sich erlaubt, "sehr viel lauter
zu sein" als in ihrem letzten Film, sagt die Regisseurin. Auf dieser angenehm
modulierten Frequenz schuf sie erneut eine wehmütige Liebesgeschichte
mit schrägen Typen.
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