West of Tracks wurde zwischen 1999 und 2001
in der Industrieregion Tie Xi im nordostchinesischen "rust belt" gedreht.
Der Film zeigt das Leben, die Liebesbeziehungen, den Erwerb des Unterhalts,
die Hoffnungen und Enttäuschungen von chinesischen Fabrikarbeitern und
ihren Familien. West of Tracks dokumentiert schonungslos die Auswirkungen,
die Chinas überstürzte Bemühungen um Modernität auf Familien
der Arbeiterklasse haben; dabei geht es um Reform und Neustrukturierung,
Konkurs und Schließung von Fabriken, Abriss und Verlegung von Wohnvierteln
und das komplexe, sich verändernde Verhältnis zwischen staatseigenen
Firmen und ihren Angestellten.
Regisseur Wang Bing, der mit dem ersten Teil (Tie Xi-Qu) dieser
auf drei Teile angelegten Dokumentation bereits im letzten Jahr im Forum
präsent war, stammt selbst aus dieser Region. Das mag vielleicht die
große Qualität von Yan Fen Jie erklären: die Nähe
zu den Menschen, die Wang Bing scheinbar wahllos aus den Bewohnern eines
vom Abriss bedrohten Wohnviertels herausgreift und begleitet. Es geht dem
Regisseur ums Dokumentieren, um möglichst direkte, unverfälschte
Eindrücke. Die Bilder folgen entsprechend dieser Logik der Chronologie
der Ereignisse, darüberhinaus aber wirkt vieles strukturell unausgegoren,
mitunter sogar beliebig. In selten unterschnittenen, unterschiedlich langen
Einstellungen werden nacheinander, später im losen Wechsel zueinander,
eine Reihe chinesischer Teenager samt ihres familiären Umfeldes vorgestellt.
Manch einer mag diese geduldigen Beobachtungen als Zumutung empfinden, wenn
Wang Bing etwa den siebzehnjährigen Bobo begleitet, der der Nachbarstochter
Nana den Hof macht. Diese Sequenz, in drei lange Einstellungen unterteilt,
quält sich zäh und unnachgiebig bestimmt eine halbe Stunde dahin,
bevor dem nächsten Schauplatz mit vergleichbarer Hartnäckigkeit
Impressionen abgetrotzt werden. Jedoch, und damit wären wir wieder bei
den durchaus positiven Eindrücken, geschieht das mit einer kaum fassbaren
Selbstverständlichkeit. Sowohl die Menschen, die Wang Bing vor die Linse
bekommt, als auch der Regisseur selbst, verhalten sich, als wäre die
Kamera nicht vorhanden. Es ist, als wäre man als Unsichtbarer in eine
fremde Welt geraten. Mal wackelt's bei einer langen Brennweite, dass einem
schwindelt, mal ist das Bild minutenlang weich. Wenn man sich die Augen reibt,
dauert es eben auch 'ne Zeit bis man die Welt wieder scharf wahrnimmt.
Während die anderen sich aber mit dem Wintereinbruch oder dem
naßkalten Wetter auseinanderzusetzen haben, bleibt man selbst dennoch
merkwürdig trocken.
zur Jump Cut Startseite |