Junge japanische Frauen, die Bogen spannen. Auf der einen Seite der
Rücken an Rücken im Raum gequerten Leinwand von links gefilmt,
auf der anderen von rechts. Der Betrachter muss sich entscheiden, beide Seiten
zugleich bekommt er nicht zu Gesicht. Auf der Vorderseite: Nur die Konzentration,
der Blick der Kamera fokussiert die Finger, den Bogen. Als Ton: das leise
Klicken und Surren der Bogenarbeit. Auf der Rückseite: Die Gesichter
der Frauen, von Spannung zu Entspannung, darunter ein dunkles Brummen der
Tonspur. Die Frauen sind aufwendig gekleidet und geschmückt, es ist
klar, dass es sich nicht um einen sportlichen Wettbewerb handelt - oder
überhaupt einen Wettbewerb. Die Ziele kommen niemals in den Blick, ja,
auch den Moment des Abzugs selbst fängt die Kamera selten ein (auf der
Vorderseite gar nicht). Es ist ein altes Ritual, das erklärt der Katalog.
Um Konzentration, das Aufgehen in einem genauen Ablauf, das Versunkensein
in eine Tätigkeit scheint es den Aufnahmen zu tun, die im Close Up alle
weitere Situierung und Erläuterung verweigern. Der Titel, "Saint Sebastian",
reißt die Bilder aus ihrem Kontext und zerrt sie hinüber - ohne
dass das gelingen kann: die Pfeile kommen nie an - in die christliche
Ikonografie.
Im nächsten Raum, rechts um die Ecke, läuft ein Dokumentarfilm
von Fiona Tan, der einen ganz unmittelbar wieder zurücknimmt in die
vertraute Bild-Welt medialer Gegenwarten. Tan spricht mit Fotografen, die
über ihr Gewerbe reden. Bild-Skepsis, die Wahrheit der Bilder und ihre
Lüge - oder jedenfalls: ihr Schweigen von dem, was sie nicht zeigen.
Der Film mündet in eine Reihe von unkommentierten Fotografien und bewegten
Bildern, Schatten von Eisläufern auf Eis und eine eigene Arbeit Tans,
die im nächsten Raum zu sehen ist: "Downside Up", schwarz-weiße
Film-Aufnahmen von Gehenden in tiefstehender Sonne, das Bild um 180 Grad
gedreht. Es bewegen sich die langen Schatten, die kleine Körper werfen
im Dauerloop. Weitere Loops im großen Raum: "Lift" zeigt neben Stills
der Künstlerin, die in der Luft hängt an roten Ballons ein kleines
Kind in einem Raum, schwebend, sinkend, steigend in einem Fallschirmgurt,
lachend, glucksend levitierend, von weißen Ballons zur Decke getragen.
Es korrespondiert, auf eine durchsichtige Leinwand geworfen, ein
rotgefärbtes Dauerpendeln einer baumelnden Schaukelvorrichtung - "Cradle"
- mit einem Kind, das in der patinierten Farbigkeit des 16mm-Films jedoch
fast untergeht. In "Rain" sind zwei Loops zu sehen, übereinander, auf
kleinen Bildschirmen. Oben und unten dieselben zwei blauen Eimer, oben zu
zwei Dritteln voll, unten kurz vor dem Überlaufen. Heftiger Regen, die
Eimer aber bleiben, wie sie sind, füllen sich nicht. Das leise Nicken
eines Hunds, der sich in eine Mauerspalte zurückgezogen hat, markiert
die Gestücktheit, die die wenigen Sekunden zur Ewigkeitsschlaufe macht,
in einem toten Winkel der Regenzeit. Ein anderer Film, von 2003, scheint
sich auf eine platte Ökobotschaft zu reduzieren, Bilder aus einer
überfluteten Zukunft, Tan war unterwegs in Amsterdamer Archiven und
zeigt überschwemmte Innenstädte, Schiffe auf See, historisches
found footage aus einer Zukunft im Wasser.
Wenn der große Raum mit den Loops Entortungen zeigt, Entzeitungen und
Verfremdungen, so unterimmt Fiona Tans auf der letzten Documenta gezeigtes,
in Berlin ausgeführtes Großprojekt "Countenance", auf den ersten
Blick jedenfalls, das Gegenteil. Das Werk ist das Update von Augstu
Sanders - derzeit noch im Martin-Gropius-Bau zu sehenden - menschenerkundendem
Großprojekt: In Jahrzehnten hat Sander die Gesellschaft seiner Zeit
auf den Nenner überzeitlicher Typisierung zu bringen versucht. Während
aber bei Sander das jedenfalls behauptete Desinteresse an den Individuen
auf die Bilder durchschlägt, indem es ihnen den dokumentarischen Charakter
nimmt (ohne dass, natürlich, Sanders anthropologische Behauptungen von
der Typisierbarkeit über ein paar offenkundige Erkennbarkeiten hinaus
wahr würden), treten die von Tan gleichfalls nur über ihre Berufe
oder als Mitglieder von Familienverbünden (Mutter mit Kind, Familie)
markierten Personen als Individuen hervor. Denn "Countenance" ist - im
größeren seiner beiden Teile jedenfalls - ein Projekt am Saum
zwischen Film und Fotografie. Die Bilder, die man sieht, sind nicht "Stills",
sondern Stillstellungen der gezeigten Personen in ihren Umgebungen (zuhause
oder bei ihrer beruflichen Tätigkeit), dies aber in etwa
zehnsekündigen Filmaufnahmen. In jedem Fall genug Zeit, sich der von
den Zwischentiteln vorgenommenen Typisierung (Bauarbeiter, Galerist,
Künstler, Autor...) zu entziehen ins Bewegte, einen, sei es minimalen,
Eigensinn ins Bild zu bringen. Ein geringer Spielraum, keine Frage, aber
doch die Gelegenheit, am eigenen Porträt mitzumalen im vielleicht
trügerischen Schein eines Entzugs, der in einem versteckten Lächeln,
in der Andeutung einer Distanz liegen könnte. Man muss darin gar nicht
das Pathos eines Freiheitsmoments als Wahrheit unterstellen: der Zug aber
ins Dokumentarische arbeitet ausdrücklich gegen das Sander-Vorbild.
Ob die in der Lücke zwischen Berufsbezeichnung und zehnsekündigem
Bewegungs-Still sich einschleichende Unterstellung individueller
Freiheitsräume innerhalb gesellschaftlicher Tätigkeitszuweisungen
weniger "falsch" ist als Sanders aufs fotografische Einzelbild durchschlagende
menschheitliche Vollständigkeitsbehauptungen, ist dann allerdings eine
andere, die neue Frage, die Fiona Tans jetzt an den Ort seiner Entstehung
zurückgekehrtes Großprojekt zu stellen erlaubt.
Zu sehen in der Akademie der Künste, Berlin, noch bis
15.2.2004.
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