Welcher Kinogänger kennt nicht das grüne Gummimonster
aus dem Land der aufgehenden Sonne" oder den aufsässigen Samurai,
den Toshiro Mifune in zahlreichen Filmen kongenial verkörpert. Aber
dann ist das Wissen eines durchschnittlichen westlichen Zuschauers auch schon
erschöpft. Das japanische Kino hat sich, bis weit in die 90er Jahre,
für abendländische Augen meist im Verborgenen abgespielt. Vielleicht
verdanken wir es dem Schlitzohr Takeshi Kitano und so wunderschönen
Filmen wie Tampopo und
Shall we Dance?,
dass auch hierzulande das Nippon-Film-Fieber endlich ausgebrochen ist.
Der amerikanische Journalist Mark Schilling, der seit 1975 in Japan
lebt, dort für die Japan Times, die japanische Ausgabe von
Premiere und das renommierte Cineasten-Magazin Kinema Jumpo
schreibt, hat es sich in seinem Buch zur Aufgabe gemacht, die zum Teil noch
unentdeckten Schätze des zeitgenössischen japanischen Kinos für
westliche Betrachter sichtbar zu machen. Die Wurzeln des japanischen Kinos
finden sich, entgegen der europäischen Tradition, nicht in der Fotografie,
sondern im Theater, was, wie Mark Schilling prägnant aufzeigt, gravierenden
Einfluss auf die Inhalte und die Filmsprache nimmt. Ähnlich den Filmstudios
in Amerika, prägen die Celluloidschmieden Nippons diverse Genre, wobei
sich frühzeitig zwei Hauptströmungen herausbilden: das jidaigeki
(historische Filme) und das gendaigeki (zeitgenössische Filme). Durch
die Jahrzehnte hindurch teilen die Studios Toho, Nikkatsu, Shochiku und Toei
den Kinomarkt unter sich auf, bis der wirtschaftliche Niedergang in den achtziger
und neunziger Jahren auch die Unterhaltungsindustrie erreicht. Nach diesem
kurzen filmhistorischen Abriss, richtet Schilling sein Augenmerk auf die
Neue Welle" der neunziger Jahre. Zu Beginn dieser Dekade meldet sich
eine Generation von Filmemachern und Produzenten zu Wort, die ihre ersten
Erfahrungen mit dem Medium außerhalb der Filmstudios sammeln. Anhand
von beschreibenden Profilen und Interviews öffnet der Autor ein Kaleidoskop
von 15 Regisseuren und Produzenten und ihren filmischen Aktivitäten.
Viele von ihnen haben keine klassische" Ausbildung an einer Filmhochschule
oder praktisches Training. Sie sind teils Autodidakten teils arbeiten sie
in artverwandten Branchen der Werbeindustrie, der digitalen Bildbearbeitung
oder kommen vom Dokumentarfilm her.
Zur Überraschung des Lesers beginnt der Journalist Schilling
mit den alten Meistern" des japanischen Kinos: Masahiro Shinoda, Akira
Kurosawa und Yoji Yamada, deren Schaffen er nur sehr spärlich umreißt
(für Kurosawa 4 ½ Seiten, für Yamada 2 ½ Seiten). Dabei
bedarf es einiger Vorkenntnisse dieser Regisseure und ihrer Filme, um zu
wissen, in wie weit ihre damaligen Filme heutige Regisseure beeinflussen
(oder auf vehemente Ablehnung stossen). Einer der aktivsten Produzenten ist
der 1961 geborene Takenori Sento, dessen Vorbilder Roger Corman und Akira
Kurosawa sind. Mit seiner Firma Suncent CinemaWorks produzierte er mehr als
30 Filme, u. a. auch den internationalen Erfolg Shall we Dance? Sento
geht mit seinen Filmen den schmalen Grad zwischen Anspruch und Wirklichkeit,
glaubt jedoch, dass man nur eine Chance gegen die quantitative und (nicht
immer) qualitative Übermacht aus Hollywood hat, wenn man seine eigenen
Ideen realisiert und dazu das kreative und kulturelle Potential nutzt, das
in jedem Land vorhanden ist. Ebenso denkt der Regisseur Makato Shinozaki,
der stark durch den europäischen und den amerikanischen Film der siebziger
Jahre beeinflusst ist. Special-Effects nachzueifern, sagt er, ist dumm und
langweilt die Leute. Auch dem nicht mehr ganz so jungen Jun Ichikawa (er
ist Mitte Fünfzig) merkt man eine Affinität zum europäischen
Kino an. Ken Loach, Eric Rohmer und nicht zuletzt Francois Truffaut zählen
zu seinen Lieblingsregisseuren. Der frühere Werbefilmer, der sich mit
BESU 1987 eine zweite Karriere aufbaute, dreht mit Tokyo Kyodai (1995)
eine Hommage an Yasujiro Ozus Tokyo Monogatari (1953) und stellt damit,
wie Ozu, das Schicksal einer Mittelstandsfamilie in den Vordergrund. Die
zwischenmenschlichen Beziehungen sieht Ichikawa als eines seiner Hauptthemen,
gewalttätige Genre-Filme über die Yakuza oder Horrorfilme liegen
ihm fern. Über allen Befragten liegt der lange Schatten Takeshi Kitanos,
dem das Buch mit einem neunseitigen Interview den meisten Platz einräumt.
Er wird von allen respektiert, wenngleich seine Filme auch bei Japanern nicht
immer auf Verständnis stoßen. Unerwähnt sollte auch nicht
das schöne Interview mit Juzo Itami bleiben, erteilte er den Japanern
in seinem Nudelsuppen-Film Tampopo und Super no Onna (Supermarket
Woman, 1996) doch einige ironische Seitenhiebe.
Mark Schilling zeigt das japanische Kino am Wendepunkt zwischen
Kreativität kombiniert mit kulturellen Eigenheiten und dem Mainstreamkino
Hollywoods. Auch wenn der ökonomische Erfolg eines Films außerhalb
Japans von immenser Bedeutung ist, so herrscht doch die Einsicht, dass dies
nur mit und nicht auf Kosten der eigenen kulturellen Identität möglich
ist; wie es der Produzent Takenori Sento formuliert, japanische Filme
die wie amerikanische Filme aussehen, wer will die sehen?". Für Kenner
des japanischen Kinos bietet sich diese leicht lesbare Lektüre besonders
als Nachschlagewerk an, da die 265seitigen alphabetisch geordneten
Filmbesprechungen in ihrer Ausführlichkeit keine Wünsche offen
lassen. Die (noch) Unkundigen erhalten einen Überblick über das
japanische Schaffen jenseits der Manga-Welt und wünschen sich ein Kino
in ihrer Nähe, dass bald eine Japan-Filmreihe auf dem Programm
hat.
Allen, die sich für das gesamte Spektrum des asiatischen Kinos
interessieren, sei noch folgendes sehr ans Herz gelegt: der überformatige
Bildband Asian Pop Cinema Bombay to Tokyo von Lee Server. Enthält:
ein John Woo Interview, gibt einen Überblick über den japanischen
Samurai-Film, Seijun Suzuki wird vorgestellt, Korea, die Philippinen und
nicht zuletzt das wunderbare Bollywood. Erschienen bei Chronicle Books, 1999,
132 Seiten, ca. $ 25.00
|