Anspruch und Wirklichkeit
Anspruch und Wirklichkeit verabschieden sich an der Grenze zur Expo
voneinander, die Stadt von der Stadt in der Stadt und triste Vorstadtwirklichkeit
von der Flughafen-Kulisse des Skywalk, der einen über Tankstellen hinweg
ins Unwirkliche gleiten lässt, begleitet noch von den rührenden
Vorstellungen, die sich Schulkinder von der Zukunft machen durften. Dann
kommt man an, riesige Eingangssperren und Personenkontrollen, nur beinahe
ohne Personen, begibt sich in eine Flugsimulation des Welt-Partners Lufthansa,
es wird die erste Begegnung mit dem Läppischen.
Das Läppische wird man nicht los, von Pavillon zu Pavillon, von
Stand zu Stand, ein Muster mit Variationen, mit viel Computerunterstützung,
aber selten kamen einem Computerbildschirme so klein vor. Touch-Screens,
die einem bei Berührung immer weitere Bilder entgegenspeien, aber sie
sind so bunt, sie sind so beliebig, sie sagen nichts, sie wollen nichts,
man ignoriert sie alsbald. Nicht dass es nicht auch große Bilder
gäbe, riesige Leinwände - aber über die Ästhetik von
Koyaanisqatsi ist man weder in Australien (hier wird man von einem
aufblasbaren Känguruh begrüßt) noch in den Themenparks
hinausgelangt. Genau genommen unterschreitet man das handwerkliche Niveau
dieses Vorbilds an überwältigungsästhetischer Nullreflexion
noch um ein Deutliches. Am angenehmsten ist einem dann noch das unverblümt
Touristische, die Reisemagazinbilder, die einem etwa Portugal in seinem so
unprätentiösen wie lichten Pavillon präsentiert. Von innen
ein großes weißes Iglu, riesige Leinwand mit Portugiesischem,
das da ignorierbar vorüberfliegt, dazu sitzt man auf Pappkartons. Recycling
ist Zukunft
Hölzchen und Stöckchen
Am radikalsten haben sich dieses Motto die Schweiz und ihr Architekt
Zumthor zum Motto genommen. Hölzchen auf Hölzchen geschichtet,
absichtsvoll labyrinthisch, windschief und kein bisschen Pädagogik,
nur handgemachte Musik, die durch die Gänge zieht, die düster sind
und licht zugleich. Dann eine Bar, an der es Toblerone gibt und großartige
ebenfalls handgemachte Heisse Schokolade. Ein paar merkwürdige bis bizarre
Texte, die in den in der Schweiz vertretenen Sprachen an die Hölzchen-
und Stöckchenwand geworfen werden, und damit hat sie sich schon, die
nationale Repräsentation. Ein Gegenentwurf, der natürlich nur als
solcher Sinn und Effekt macht, im Angesicht der monumentalen Leere, der
pompösen Schlichtheit, von der sich die tapfere Schweiz von allen Seiten
umzingelt sieht.
Am pompösesten und zugleich dümmsten hat man sich im Themenpark
Planet of Visions und 21. Jahrhundert angestellt. Ein Raum (Panorama der
Utopien) demonstriert ungewollt, wie in ihrem Endstadium die postmoderne
Vorliebe für die Einebnung von Unterschieden von gewaltiger
Geisteszerrüttung nicht mehr unterscheidbar ist. Ein Panorama, entworfen
vom Szenographen Francois Schuiten, führt zu sphärisch dräuender
Musik und im Dämmerlicht schicke Installationen vor, getrennt vom Betrachter
durch eine Balustrade wie im Zoo. Gefüttert wird aber der Besucher,
wenn er virtuelle Bildschirmteleskope durch die Gegend schwenkt, die ihm
erklären, was er zu sehen vergeblich sich müht. Die
Inferno-Installation, die einem wohl klar zu machen versucht, dass es das
Böse gibt, lässt einem sanft ein paar Exemplare desselben
entgegengleiten, Vietnamgräuel etwa, Hieronymus Bosch oder der Holocaust.
Alles dasselbe, alles egal und wie der Begleittext versichert, "vermittelt
sich die ganze Fülle und Widersprüchlichkeit menschlicher Vorstellungen
von der Zukunft" an justament diesem Denkmal rasender Torheit. Nicht weniger
töricht, im selben Verhältnis von Gedanken-Kleckerei und
Material-Geklotze, bewegt man sich dann durchs 21. Jahrhundert, geleitet
von der schwarzen Stewardess Lisa, die einem auf der Auffahrt zum eigentlichen
Ausstellungsraum erst einmal unter den Augen davonstirbt. Danke auch. Danach
aber strotzender Optimismus. Angelegt ist das Gelände als
archäologische Grabungsstätte (von vier Städten aus
natürlich nicht aller Welt) der Zukunft nach dem 21. Jahrhundert. Was
man sieht, ist schlechte Science-Fiction, einfallslos aus der Gegenwart
verlängerte Gadgets, Lösungen für Gegenwartsprobleme im
großen und im kleinen Format. Eine dumme Zukunftsgläubigkeit springt
einen hier an, die nur der Massenkompatibilität und den Sponsoren geschuldet
sein dürfte.
Ruheräume
Auch hier gibt es freilich wieder ein Gegenprogramm. Das ist ohnehin
die grundsätzliche Stärke der Expo: allem Schrott, allem verblasen
oder schlicht Merkantilen steht Gelungenes oder wenigstens Interessantes
immer wieder überraschend gegenüber. Im Themenpark etwa (zum Thema
Wissen) die großen weißen Wale des ZKM in Karlsruhe, die in ihrem
dunklen Raum wie stille und sanfte Urtiere ihre Kreise ziehen - in ihrer
angekündigten Reaktionsbildung auf die Besucher weitaus eigensinniger
als einem zunächst erzählt wird. Die Installation ist weniger
sinnfällig (Netzwerke, gut und schön) als sinnenfällig:
schön, beinahe anrührend.
Schlicht angenehm ist dagegen der große weiße Ruheraum,
in dem man (Thema Gesundheit) in gemütliche Sessel gebettet und aufs
Entspannendste leise durchgerüttelt wird. Dazu ist sogar die wie
überall so auch hier gegenwärtige Sphären-Muzak zu ertragen,
die Lösung für unsere Krankheitsprobleme, die sich an den Wänden
abspielt, kann man mit geschlossenen Augen ignorieren. Vorne schlägt
ein kleiner Teich leise Wellen, sollen schon Leute hineingefallen sein.
Neben den öden Messeständen gibt es dann auch Interessantes
unter den Länderpavillons. Symptomatisch, wie beim durch und durch
kommunistischer Ästhetik verpflichteten Stand der Ukraine mit einem
Walhall aus erfolgreichen Sportlern und beeindruckend unattraktiven Schaubildern
zu wissenschaftlichen Errungenschaften und erstaunlich ungebrochenem Stolz
auf ukrainische Raketentechnologie. Das Café, das günstiges
ukrainisches Bier im Angebot hat, ähnelt dem, das ich zuletzt auf dem
Flughafen in Sofia gesehen habe - man wartet nur vergeblich auf uniformierte
Wächter, die einen verscheuchen wollen. Interessant, weil gelungen,
ist dagen der brasilianische Stand, der ganz unspektakulär vorführt,
wie man mit ein wenig Einfallsreichtum Länderkunde ohne Folklorismus
betreiben kann, wie man die Balance hält zwischen Wiedererkennung
(Fußball und Musik) und Verfremdung (viel Poesie und leicht parodistische
Betonung von Klischees) - und trotzdem, was ja nicht an sich verwerflich
ist, Spaß für die ganze Familie bietet.
Lang lebe
Albanien.
Der bizarrste (und am nachdrücklichsten in Erinnerung bleibende)
Stand verdankt sich allerdings schlicht dem Mut der Verzweiflung. Albanien
hatte nichts zu verlieren und präsentiert sich als ironische
Kunst-Installation. Die Front bildet eine aufgeblasene Fotografie der
Küstenlinie, in die Bäume großformatig hineingemalt ein
ENVER-Schriftzug.
Man betritt die Installation durch einen Bunker, der verdammt echt
aussieht. Darinnen eine monströse Heldenfigur, rötlich angestrahlt,
sonst Finsternis und auf mehreren Monitoren Filmausschnitte, die kein
düsteres Kapitel der albanischen Geschichte des 20. Jahrhunderts auslassen.
Die meisten machen hier wieder kehrt, wen wundert's, aber es gibt einen
Hinterausgang. Hier tritt man ins Freie, stößt aber sogleich auf
das nächste Schreckensbild: eines der großen überfüllten
Schiffe, mit denen verzweifelte Albaner vor wenigen Jahren nach Italien geflohen
sind. Links davon ein kleines Stadion, besetzt mit verschiedenen Pappkameraden,
Mutter Teresa darunter, ein Militär und sein Opfer, dann Lord Byron.
Alle bestückt mit Expo-Badges. Muss alles seine Richtigkeit haben hier.
Dann der ad astra-Teil der narrativ zu durchwandernden Installation: aus
der Not macht man eine Tugend und behauptet frech, dass Albanien das 20.
Jahrhundert eben übersprungen habe, man sieht Schautafeln, läuft
über blauen und grünen Stoff, Naturreservate, das Motto der Expo
soll schließlich nicht zu kurz kommen.
Wir nehmen das ironisch, und freuen uns, dass es einer der Kleinsten
mal wieder allen anderen gezeigt hat.
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