Martin Arnold ist, in der Trilogie, die ihn berühmt gemacht
hat, ein Manipulator, der das Bild selbst nicht versehrt. Anders als in seinem
jüngsten Werk "De-Animated" - in dem er Figuren aus dem Bild
retuschiert und Münder per Morphing verschließt - greift
er zu alleine auf die Techniken der Projektion und der Montage. Indem er
sie ordnungswidrig einsetzt, zerstört er die Illusion der filmischen
Linearität. Aus der Kunst des klassischen Hollywood-Erzählkinos,
einer Kunst des fließenden Erzählens, entwickelt er Pathologien
des Stockens, des Feststeckens, des Interrupten und Repetierten. Der Freiheit,
die der glatte und gleitende Ablauf der Bilder suggeriert, antwortet er mit
einer Zwanghaftigkeit, die das Original füllt und dehnt. Mit den ihm
zugehörenden, nun aber, in der Wiederholung aus der Fremde kommenden
Bildern schreibt er in die Vorlage hinein und tut dadurch Leerstellen auf,
die es zuvor nicht gab. Diese Leerstellen aber werden zwanghaft wieder
gefüllt mit den Tics, in die die Bewegungen der Figuren zerlegt sind,
vergleichbar dem Zwang des psychotischen Künstlers, alles vollzukritzeln
in den letzten Winkel, die Figuration ins Unübersichtliche zu zerstreuen.
Zugleich aber sind Arnolds Operationen ganz magischer Natur: die Wunde ist
nicht zu sehen, nicht das Skalpell, nicht der Eingriff: es ist, als geriete
der Film außer sich ohne Zutun eines andern, als entwickelte er seine
Pathologie ganz aus sich selbst. Und ist es nicht so? Die Technik, deren
Aufgabe es ist, sich verschwinden zu machen, wird als solche nicht einmal
sichtbar da, wo sie verrückt spielt.
Die Bilder - in "Passage a l'acte" und "Alone" auch die Klänge
- bleiben "found footage", sie werden nur neu zusammengesetzt. "Piece touchee"
beginnt mit der Eröffnung eines winzigen Spielraums: aus der katatonischen
Starre der ersten Sekunden, aus dem Standbild, entstehen minimale Bewegungen,
ein Zucken der Finger, des Kopfes, vielleicht noch eine Täuschung
zunächst, ein Flimmern, das auf die Anfälligkeit des Auges, das
visuelle Rauschen des Materials, den Wunsch des Betrachters nach
Veränderung zurückzuführen sein könnte. Dann aber, hinter
dem Rücken der Frau, die sich nicht/bewegt, eine diegetische Öffnung.
Die Tür, das 0/1 einer Bewegung, auf/zu, etwas tut sich. Es beginnt,
auch, eine Erzählung. Eine Frau wartet, ein Mann an der Tür. Die
Tür zur ehelichen Trautheit aber klemmt. Das ist der geniale Zug an
Arnolds Werk: im Vibrieren der Technik gerät auch die Semantik der
Konstellationen ins Vibrieren. Was unter der Hand abläuft in Bewegungen
aus einem Guss, die kleinsten Gesten, die Blicke, Berührungen, wird
monströs hinausprojiziert in eine Sichtbarkeit, die alle
Selbstverständlichkeit zerstört. Ein Entleerungsvorgang, eine
Sinnverdumpfung. Dasselbe Wort, zuoft gesprochen, zergeht zum phonetischen
Material. Dies ist einer der Effekte in Arnolds Werk, der destruktive, wenn
man so will: aus ihrem Zusammenhang gerissene Einzelteile werden entladen,
verlieren den Sinn, den sie der Stelle verdankten, an der sie, durch
Flüchtigkeit gefestigt, sitzen.
Zur Entladung gibt es stets eine Gegenbewegung, eine Neu-Aufladung.
Die aber bleibt ambivalent. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass aus dem
trautesten, dem heimeligsten Innern des Privaten, der Rückkehr des Mannes
zu seiner Frau, im Aufschub des Bewegungssinns und im Aufbrechen der Erwartung
der blanke Horror bricht. Ein Unheimliches, das nicht Wiederkehr des Vertrauten
ist, sondern ein Bruch, der sich nicht im Moment des Schocks erledigt, sondern
diesen gerade perpetuiert. Dieses Moment, die Herausvergrößerung
der Geste, im nächsten Film auch des Klangs, führt weg vom
Ausgangspunkt und lädt sich, in der Wiederholung wie der minimalen
Variation, neu auf. Das Material, der zum Klang, zur Bewegung zerhäckselte
Sinn, wird keineswegs nur defiguriert. Es gibt hier eine Insistenz des
Illusionären - oder eine Wiederkehr. Man leidet an den Pathologien,
am Zucken und Flattern, am Vor und Zurück. Die arretierte Bewegung,
der endlose Anlauf zum Kuss etwa, weckt den Affekt. Im ersten Film ist das
rudimentär, im Musikfilm "Alone" ist diese Re-Affizierung des Zuschauers
dann gewaltig. "Passage à l'acte" ist das Zwischenspiel ins Absurde,
der Übergang vom Virtuosenstück zur Großen Oper. Der Dialog
wird hier zersetzt in den Knall. Der Schlag der Tür verwandelt sich
in einen Kine-Techno-Rhythmus. Eine Familie im Zustand der Aphasie. Das Lallen,
Zischen, Klopfen, Spucken, Bellen ist kaum anders aufzunehmen denn als Serie
höchst aggressiver Akte.
Von "Piece touchée" dagegen bleibt ein Eindruck höchster
Eleganz zurück. Die Tonspur verweist hier aufs Maschinelle und bildet
doch den stampfenden Generalbass zum zunehmend rhythmisierten Bild. Es ist,
als fände, nach den interruptiven Schocks der ersten Minuten, der Film
seinen eigenen Takt. In der nahtlosen Aneinander-Montage der seitenverkehrten
Bilder beginnen sich die Bewegungen vom stop and go des Beginns in einen
neuen Fluss zu begeben, brechen nach vorsichtigen ersten Versuchen aus in
einen Tanz, aus dem alles Ruckende sich für längere Sequenzen
verflüchtigt. Auch hier eine doppelte Bewegung: dem Erzählkino
wird sein gewohnter, unsichtbarer Rhythmus ausgetrieben - und im nächsten
Zug ein neuer eingetrieben. Das Bild löst sich von seiner Referenz,
wird zum Trickfilmmaterial. Die Narration entleert sich und wird überlagert
von einer Logik der Erweiterung der Bearbeitungs-Parameter: auf das Vor und
Zurück folgt die Seitenverkehrung, zuletzt der Kopfstand der Bilder.
Der Zerstörung des Ausgangsmaterials arbeitet diese Bewegung entgegen,
die Banalität des Vorgangs verwandelt sich vor den Augen des Betrachters
in einen eleganten Pas de Deux.
In "Alone" bricht Arnold erstmals mit der lückenlosen
Linearität der Vorlage und schneidet unmarkiert zwischen drei Filmen
mit Mickey Rooney. Es dominieren Großaufnahmen, Affektbilder: ein Kuss,
ein Schlag, eine zärtliche Berührung. Judy Garlands Gesang, dessen
Pathos im Verweilen auf einzelnen Wörter und einzelnen Silben eher
gesteigert als beeinträchtigt wird. Ein ganz anderer Umgang mit dem
Klang als in der aggressiven Zersetzung von "Passaga à l'acte" -
wenngleich im einen wie im anderen Fall nicht ohne komischen Effekt. Und
hier der Auftritt eines Geistes: in der Unschärfe, hinter Mickey Rooneys
Gesicht, eine Frau, die sich nicht materialisiert, da und nicht da, auftretend
und nicht auftretend, rätselhaft. Kaum minder
erklärungsbedürftig die in die Vorlagen durch das Herausreißen
aus den ursprünglichen Zusammenhängen hinein präparierten
Beziehungen der anderen. Der Junge scheint der Mutter in ödipaler Liebe
zugetan, der Vater straft - dann der Gesang, den Arnold nicht zerstört,
sondern umspielt, beinahe zärtlich moduliert. Es ist, als würde
hier das Material als solches affirmiert, als könne hier die doppelte
Bewegung der Entladung des Materials und seiner Neu-Aufladung im Gegenzug
in eine verschmelzen. Als arbeite Arnold hier nicht gegen den Film, sondern
mit ihm. Dem Affektkino Hollywoods, das das Musical war, in Liebe
verbunden. |