Doppelte Bewegung Martin Arnolds Filme "Pièce touchée", "Passage à l'acte" und "Alone. Life Wastes Andy Hardy"

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Doppelte Bewegung Martin Arnolds Filme "Pièce touchée", "Passage à l'acte" und "Alone. Life Wastes Andy Hardy"

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Doppelte Bewegung

Martin Arnolds Filme "Pièce touchée" (1989), "Passage à l'acte" (1993) und "Alone. Life Wastes Andy Hardy" (1998)
Ein Kommentar von Ekkehard Knörer


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Martin Arnold ist, in der Trilogie, die ihn berühmt gemacht hat, ein Manipulator, der das Bild selbst nicht versehrt. Anders als in seinem jüngsten Werk "De-Animated"  - in dem er Figuren aus dem Bild retuschiert und Münder per Morphing verschließt - greift er zu alleine auf die Techniken der Projektion und der Montage. Indem er sie ordnungswidrig einsetzt, zerstört er die Illusion der filmischen Linearität. Aus der Kunst des klassischen Hollywood-Erzählkinos, einer Kunst des fließenden Erzählens, entwickelt er Pathologien des Stockens, des Feststeckens, des Interrupten und Repetierten. Der Freiheit, die der glatte und gleitende Ablauf der Bilder suggeriert, antwortet er mit einer Zwanghaftigkeit, die das Original füllt und dehnt. Mit den ihm zugehörenden, nun aber, in der Wiederholung aus der Fremde kommenden Bildern schreibt er in die Vorlage hinein und tut dadurch Leerstellen auf, die es zuvor nicht gab. Diese Leerstellen aber werden zwanghaft wieder gefüllt mit den Tics, in die die Bewegungen der Figuren zerlegt sind, vergleichbar dem Zwang des psychotischen Künstlers, alles vollzukritzeln in den letzten Winkel, die Figuration ins Unübersichtliche zu zerstreuen. Zugleich aber sind Arnolds Operationen ganz magischer Natur: die Wunde ist nicht zu sehen, nicht das Skalpell, nicht der Eingriff: es ist, als geriete der Film außer sich ohne Zutun eines andern, als entwickelte er seine Pathologie ganz aus sich selbst. Und ist es nicht so? Die Technik, deren Aufgabe es ist, sich verschwinden zu machen, wird als solche nicht einmal sichtbar da, wo sie verrückt spielt.

Die Bilder - in "Passage a l'acte" und "Alone" auch die Klänge - bleiben "found footage", sie werden nur neu zusammengesetzt. "Piece touchee" beginnt mit der Eröffnung eines winzigen Spielraums: aus der katatonischen Starre der ersten Sekunden, aus dem Standbild, entstehen minimale Bewegungen, ein Zucken der Finger, des Kopfes, vielleicht noch eine Täuschung zunächst, ein Flimmern, das auf die Anfälligkeit des Auges, das visuelle Rauschen des Materials, den Wunsch des Betrachters nach Veränderung zurückzuführen sein könnte. Dann aber, hinter dem Rücken der Frau, die sich nicht/bewegt, eine diegetische Öffnung. Die Tür, das 0/1 einer Bewegung, auf/zu, etwas tut sich. Es beginnt, auch, eine Erzählung. Eine Frau wartet, ein Mann an der Tür. Die Tür zur ehelichen Trautheit aber klemmt. Das ist der geniale Zug an Arnolds Werk: im Vibrieren der Technik gerät auch die Semantik der Konstellationen ins Vibrieren. Was unter der Hand abläuft in Bewegungen aus einem Guss, die kleinsten Gesten, die Blicke, Berührungen, wird monströs hinausprojiziert in eine Sichtbarkeit, die alle Selbstverständlichkeit zerstört. Ein Entleerungsvorgang, eine Sinnverdumpfung. Dasselbe Wort, zuoft gesprochen, zergeht zum phonetischen Material. Dies ist einer der Effekte in Arnolds Werk, der destruktive, wenn man so will: aus ihrem Zusammenhang gerissene Einzelteile werden entladen, verlieren den Sinn, den sie der Stelle verdankten, an der sie, durch Flüchtigkeit gefestigt, sitzen.

Zur Entladung gibt es stets eine Gegenbewegung, eine Neu-Aufladung. Die aber bleibt ambivalent. Vielfach wird darauf hingewiesen, dass aus dem trautesten, dem heimeligsten Innern des Privaten, der Rückkehr des Mannes zu seiner Frau, im Aufschub des Bewegungssinns und im Aufbrechen der Erwartung der blanke Horror bricht. Ein Unheimliches, das nicht Wiederkehr des Vertrauten ist, sondern ein Bruch, der sich nicht im Moment des Schocks erledigt, sondern diesen gerade perpetuiert. Dieses Moment, die Herausvergrößerung der Geste, im nächsten Film auch des Klangs, führt weg vom Ausgangspunkt und lädt sich, in der Wiederholung wie der minimalen Variation, neu auf. Das Material, der zum Klang, zur Bewegung zerhäckselte Sinn, wird keineswegs nur defiguriert. Es gibt hier eine Insistenz des Illusionären - oder eine Wiederkehr. Man leidet an den Pathologien, am Zucken und Flattern, am Vor und Zurück. Die arretierte Bewegung, der endlose Anlauf zum Kuss etwa, weckt den Affekt. Im ersten Film ist das rudimentär, im Musikfilm "Alone" ist diese Re-Affizierung des Zuschauers dann gewaltig. "Passage à l'acte" ist das Zwischenspiel ins Absurde, der Übergang vom Virtuosenstück zur Großen Oper. Der Dialog wird hier zersetzt in den Knall. Der Schlag der Tür verwandelt sich in einen Kine-Techno-Rhythmus. Eine Familie im Zustand der Aphasie. Das Lallen, Zischen, Klopfen, Spucken, Bellen ist kaum anders aufzunehmen denn als Serie höchst aggressiver Akte.

Von "Piece touchée" dagegen bleibt ein Eindruck höchster Eleganz zurück. Die Tonspur verweist hier aufs Maschinelle und bildet doch den stampfenden Generalbass zum zunehmend rhythmisierten Bild. Es ist, als fände, nach den interruptiven Schocks der ersten Minuten, der Film seinen eigenen Takt. In der nahtlosen Aneinander-Montage der seitenverkehrten Bilder beginnen sich die Bewegungen vom stop and go des Beginns in einen neuen Fluss zu begeben, brechen nach vorsichtigen ersten Versuchen aus in einen Tanz, aus dem alles Ruckende sich für längere Sequenzen verflüchtigt. Auch hier eine doppelte Bewegung: dem Erzählkino wird sein gewohnter, unsichtbarer Rhythmus ausgetrieben - und im nächsten Zug ein neuer eingetrieben. Das Bild löst sich von seiner Referenz, wird zum Trickfilmmaterial. Die Narration entleert sich und wird überlagert von einer Logik der Erweiterung der Bearbeitungs-Parameter: auf das Vor und Zurück folgt die Seitenverkehrung, zuletzt der Kopfstand der Bilder. Der Zerstörung des Ausgangsmaterials arbeitet diese Bewegung entgegen, die Banalität des Vorgangs verwandelt sich vor den Augen des Betrachters in einen eleganten Pas de Deux.

In "Alone" bricht Arnold erstmals mit der lückenlosen Linearität der Vorlage und schneidet unmarkiert zwischen drei Filmen mit Mickey Rooney. Es dominieren Großaufnahmen, Affektbilder: ein Kuss, ein Schlag, eine zärtliche Berührung. Judy Garlands Gesang, dessen Pathos im Verweilen auf einzelnen Wörter und einzelnen Silben eher gesteigert als beeinträchtigt wird. Ein ganz anderer Umgang mit dem Klang als in der aggressiven Zersetzung von "Passaga à l'acte" - wenngleich im einen wie im anderen Fall nicht ohne komischen Effekt. Und hier der Auftritt eines Geistes: in der Unschärfe, hinter Mickey Rooneys Gesicht, eine Frau, die sich nicht materialisiert, da und nicht da, auftretend und nicht auftretend, rätselhaft. Kaum minder erklärungsbedürftig die in die Vorlagen durch das Herausreißen aus den ursprünglichen Zusammenhängen hinein präparierten Beziehungen der anderen. Der Junge scheint der Mutter in ödipaler Liebe zugetan, der Vater straft - dann der Gesang, den Arnold nicht zerstört, sondern umspielt, beinahe zärtlich moduliert. Es ist, als würde hier das Material als solches affirmiert, als könne hier die doppelte Bewegung der Entladung des Materials und seiner Neu-Aufladung im Gegenzug in eine verschmelzen. Als arbeite Arnold hier nicht gegen den Film, sondern mit ihm. Dem Affektkino Hollywoods, das das Musical war, in Liebe verbunden.

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